WUSCH_A5_Herbst_2023

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Inhalt: Chris Alexander Braunstein Multifunktionalität im Fussballstadion: Zwischen sozialer Verantwortung und ökonomischem Wandel Björn Bresk Resilienz und Nachhaltigkeit: digitale Unterstützung bei Implementierungsproblemen in der Supply Chain Edyta Ebrahimpour Werkvertrag versus Dienstvertrag am Beispiel der Kaufuntersuchung eines Pferdes Michael Eiber Share Deal oder Asset Deal Michael Eiber Unternehmensbewertungen Mithilfe der DCF- und Multiple-Methode Szilvia Fodor Der Pflegenotstand als gesellschaftliches Problem? Markus Hausmann Akzeptanz von Robotic Process Automaten in Fachbereichen deutscher Energieversorger Louise Hey Der Einfluss von digitalen Empfehlungsmechanismen auf Nutzer von online Medienangeboten Claudia Hilber Multikausale Perspektive auf die berufsbedingten Belastungen von Lehrpersonen Claudia Hilber Die Stärkung der Resilienz-Kompetenz als Gegenprogramm von Stress Sarah Jahjah Die SGB II Reform in Deutschland – intendierte Wirkung des Bürgergeldes 7 15 29 35 41 47 57 65 79 95 109 4

Annika Jessat Die Einstellungs-Verhaltens-Lücke im Lebensmitteleinzelhandel Simon Kupp Das Onlinezugangsgesetz als Treiber der Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland Simon Kupp Die digitale Gesundheitsversorgung in Deutschland Michael Meier Die Verbreitung des ROPO-Effekts in Deutschland Dirk Menzel Anforderungen an die Erbringung von Dienstleistungen unter dem Aspekt der Kundenbegeisterung Patrick Pöchlauer Innovationsmanagement – Eine Informationswissen- schaftliche Perspektive Alexander Schlee Geschäftsmodellanalyse im Zuge der Entwicklung des Open Banking Muhammet Hüseyin Soysal Die Relevanz von Business-Process-Management im ERP-Projekt Frank Zingelmann Die Delegation von Steuerpflichten an in der Betriebs- organisation nachgeordnete Mitarbeiter Lars Feller Die MCDA als Methode zur Bewertung des Voranschreitens der Energiewende im Industriesektor Lars Feller Bewertung von Politikinstrumenten zur Umsetzung der industriellen Energiewende 121 131 139 145 153 165 177 189 201 215 227 5

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 „MULTIFUNKTIONALITÄT IM FUSSBALLSTADION: ZWISCHEN SOZIALER VERANTWORTUNG UND „MULTIFUNKTIONALITÄT IM FUSSBALLSTADION: ZWISCHEN SOZIALER VERANTWORTUNG UND ÖKONOMISCHEM WANDEL“ ÖKONOMISCHEM WANDEL“ C. A. Braunstein1 C. A. Braunstein1 University of Library Studies and Information Technologies Bulgarien University of Library Studies and Information Technologies Bulgarien Keywords: Multifunktionalität, Zukunftstrends, Stadionsegment, Stadion der Zukunft Keywords: Multifunktionalität, Zukunftstrends, Stadionsegment, Stadion der Zukunft ABSTRACT ABSTRACT Fußballstadien sind nicht mehr nur reine Austragungsorte für Sportveranstaltungen, sondern entwickeln sich immer mehr zu multifunktionalen Einrichtungen. Diese Entwicklung hat weitreichende Fußballstadien sind nicht mehr nur reine Austragungsorte für Auswirkungen auf die Nutzungsmöglichkeiten, die wirtschaftliche Sportveranstaltungen, sondern entwickeln sich immer mehr zu Rentabilität und die soziale Bedeutung der Stadien. Dieser Artikel multifunktionalen Einrichtungen. Diese Entwicklung hat weitreichende untersucht die verschiedenen Aspekte der Multifunktionalität in Auswirkungen auf die Nutzungsmöglichkeiten, die wirtschaftliche Fußballstadien, angefangen von alternativen Veranstaltungen bis hin Rentabilität und die soziale Bedeutung der Stadien. Dieser Artikel zu sozialen Einrichtungen. Durch die kritische Betrachtung dieser untersucht die verschiedenen Aspekte der Multifunktionalität in vielfältigen Dimensionen beleuchtet die Studie, wie das Konzept der Fußballstadien, angefangen von alternativen Veranstaltungen bis hin Multifunktionalität die Essenz der Fußballstadien neu formt. zu sozialen Einrichtungen. Durch die kritische Betrachtung dieser vielfältigen Dimensionen beleuchtet die Studie, wie das Konzept der Multifunktionalität die Essenz der Fußballstadien neu formt. 1Chris Alexander Braunstein, D- 81243 München, Aubinger Straße 97, chris.braunstein1@hotmail.de 1Chris Alexander Braunstein, D- 81243 München, Aubinger Straße 97, chris.braunstein1@hotmail.de Seite 1 7 Seite 1

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 1. Einführung Fußballstadien haben im Laufe der Zeit eine bemerkenswerte Wandlung durchlaufen. Ursprünglich konzipiert, um ausschließlich Fußballspiele zu beherbergen, haben sich diese Stätten im Laufe der letzten Jahrzehnte zu multifunktionalen Räumlichkeiten entwickelt, die weit über den Sport hinausgehen. Diese Entwicklung spiegelt die sich verändernden Anforderungen der Gesellschaft wider und ist eng mit der Zielsetzung verbunden, die ökonomische Rentabilität der Stadien zu maximieren und ihre soziale Bedeutung für die Gemeinschaft zu erweitern. Die Verwandlung von Fußballstadien in multifunktionale Arenen hat eine Vielzahl von Vorteilen mit sich gebracht. Neben der offensichtlichen Nutzung für Fußballspiele können diese Stadien nun auch für eine breite Palette von Veranstaltungen genutzt werden, darunter Konzerte, Messen, Ausstellungen, politische Versammlungen und kulturelle Veranstaltungen. Dies hat nicht nur zur Steigerung der Einnahmen aus der Stadion- nutzung beigetragen, sondern auch dazu, dass die Stadien das ganze Jahr über ein Zentrum der Aktivitäten und Unterhaltung sind. Ein entscheidender Faktor für die Veränderung der Stadionlandschaft war die Erkenntnis, dass die Errichtung und Instandhaltung von Stadien erhebliche Investitionen erfordern. Um diese Investitionen zu rechtfertigen, mussten die Stadien vielfältiger genutzt werden. Die Integration von modernster Technologie, wie beispielsweise High-Definition-Bildschirmen, erst- klassiger Akustik und interaktiven Einrichtungen, hat die Attraktivität der Stadien als Veranstaltungsorte für Unternehmen und Unterhaltungsveranstaltungen erhöht. Die soziale Bedeutung der Stadien hat sich ebenfalls erweitert. Sie sind zu Symbolen der Gemeinschaft geworden und bieten eine Plattform Interaktion, Identitätsstiftung und kulturellen Austausch. Stadien ziehen Menschen aus ver- schiedenen Bereichen an und fördern die lokale Wirtschaft, da sie Hotels, Restaurants und andere Geschäfte in der Umgebung beleben. Insgesamt spiegelt die Trans- formation von Fußballstadien zu multifunktionalen Räumlichkeiten die Anpassungs- fähigkeit und Innovationsbereitschaft der Gesellschaft wider. Diese Entwicklung hat nicht nur die wirtschaftliche Rentabilität der Stadien gesteigert, sondern auch ihre Bedeutung als soziale Knotenpunkte in der Gemeinschaft verstärkt. Sie sind ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie sich Tradition und Moderne in einem dynamischen Gleichgewicht vereinen können. für soziale 8 Seite 2

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 2. Methode Die Forschungsmethode dieser Veröffentlichung basiert auf Literaturanalyse. Der Ansatz beruht auf der Untersuchung vorhandener Daten aus seriöser Fachliteratur. Das Ergebnis ist eine Untersuchung der aktuellen und zukünftigen Stadionsituation. 3. Ergebnis Vielfältige Veranstaltungen In der heutigen Zeit sollte ein Fußballstadion nicht mehr nur für Fußballspiele genutzt werden, sondern auch für viele andere Zwecke wie Hotels, Freizeiteinrichtungen, Konzerte oder Gottesdienste. Dabei ist es wichtig, sowohl Komfort als auch Vielseitigkeit zu bieten. In der heutigen Zeit müssen moderne Stadien eine große Anzahl von Menschen sicher unterbringen können. Sicherheitsaspekte sind dabei von höchster Bedeutung. Neben dem Dach muss auch die Sicht von den Tribünen bei der Planung neuer Stadien berücksichtigt werden. Zusätzliche Bereiche wie Fitnessstudios oder Büros müssen vorhanden sein, um wirtschaftlich effizient zu sein. Die Richtlinien des DFB und der UEFA sind ebenfalls wichtig für den Bau von Stadien. Wenn das Stadion international genutzt werden soll, müssen auch die Vorgaben der UEFA erfüllt werden. Es ist auch entscheidend, ausreichend Parkplätze und gute Verkehrsanbindung zu bieten. Das Stadion sollte bei jedem Wetter und für verschiedene Veranstaltungen nutzbar sein. Außerdem ist es wichtig, die Zuschauer so nah wie möglich am Spielfeldrand zu platzieren (vgl. Rohlwing, 2015, S. 85-88). Moderne Fußballstadien bieten heute Platz für eine Vielzahl von Veranstaltungen abseits des Fußballs. Konzerte, Messen, Festivals und andere kulturelle Ereignisse können in den Räumlichkeiten stattfinden. Die technische Ausstattung, die für Fußballspiele erforderlich ist, erlaubt oft eine nahtlose Umgestaltung für verschiedene Anlässe. Dies ermöglicht den Stadienbetreibern, ihre Einnahmequellen zu diversifizieren und die Auslastung der Anlage zu erhöhen. Die Einführung multifunktionaler Veranstaltungen hat erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen. Die diversifizierten Einnahmequellen aus Konzerttickets, Standmieten für Messen, Werbeeinnahmen und Gastronomie tragen dazu bei, die finanzielle Stabilität der 9 Seite 3

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Stadien zu erhöhen. Die Möglichkeit, das Stadion das ganze Jahr über zu nutzen, anstatt es nur während der Fußballsaison leer stehen zu lassen, maximiert die Rendite auf die ursprünglichen Investitionen. Die Umwandlung eines Fußballstadions in einen multifunktionalen Veranstaltungsort erfordert jedoch auch technische Anpassungen. Die Akustik für Konzerte, die Beleuchtung für unterschiedliche Veranstaltungstypen und die Schaffung geeigneter Logistik und Zugänge sind nur einige der Heraus- forderungen, die bewältigt werden müssen. Die Fähigkeit, die Stadionumgebung flexibel an die Anforderungen verschiedener Veranstaltungen anzupassen, ist entscheidend für den Erfolg. Soziale Verantwortung Untersuchungen über das Freizeitverhalten in westlichen Gesellschaften haben gezeigt, dass Sport heutzutage einen festen Platz im Leben der Menschen einnimmt. Dies liegt daran, dass Sport vielfältige Bedürfnisse der Gesellschaft erfüllen kann. Es geht dabei nicht nur um praktische Ziele wie Gewichtsabnahme oder Gesund- heitsförderung, sondern auch um soziale Aspekte wie das Knüpfen und Pflegen von sozialen Kontakten. Sport bietet den Menschen die Möglichkeit, verschiedene emotionale Erfahrungen zu erleben, darunter Spannung, Begeisterung und auch Enttäuschung. Diese Erfahrungen tragen zur Stärkung der persönlichen Identität bei. Ein Beispiel dafür ist die Identifikation mit einem bestimmten Sportteam (vgl. Drengner, 2013, S. 3). Multifunktionalität in Stadien geht über kommerzielle Veranstaltungen hinaus. Immer mehr Stadien beinhalten öffentliche Einrichtungen wie Fitnessstudios, Restaurants, Kinderspielplätze und Bildungseinrichtungen. Diese dienen nicht nur der Gemeinschaft, sondern fördern auch eine kontinuierliche Nutzung der Stadien, unabhängig von den Fußballsaisons. Sie stärken die Bindung zwischen dem Sport, dem Stadion und den Menschen in seiner Umgebung. Von Märkten über kulturelle Festivals bis hin zu Workshops - diese Veranstaltungen schaffen Gelegenheiten für Menschen unterschiedlicher Hintergründe, sich zu treffen, auszutauschen und voneinander zu lernen. Dies fördert den kulturellen Reichtum und die Vielfalt einer Region. Die Integration von sozialen Einrichtungen und Gemeinschaftsnutzung in Fußballstadien kann die lokale Integration und Identität stärken. Indem Stadien zu Zentren der Gemeinschaft werden, können sie die Verbundenheit der Menschen mit 10 Seite 4

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 ihrem Stadtviertel oder ihrer Stadt vertiefen. Dies trägt zur Entwicklung eines gemeinsamen Gefühls der Zugehörigkeit bei und fördert das Engagement für soziale Projekte. Zukünftige Stadien könnten speziell dafür konzipiert werden, eine breite Palette sozialer Dienstleistungen anzubieten und als Mittelpunkt für soziale Aktivitäten zu dienen. Dies wird es ermöglichen, das volle Potenzial der Stadien als Plattformen für soziale Verantwortung auszuschöpfen. Ökonomischer Wandel in die „Eine weitere Option, Vermarktungs- bzw. Refinanzierungsaspekte Stadionplanung einzubinden, bietet die Stadionperipherie. Mit der baulichen Integration von Gastronomie-, Hotel-, Kinoangeboten oder ähnlichem können selbst bei einer rein funktionalen Fußballarena, die eine Drittnutzung für andere Sport- und Kulturveranstaltungen nicht erlaubt, Einnahmen abseits der Heimspieltage generiert werden (Keller, 2008, S. 280).“ Die Einführung von Multifunktionalität in Fußballstadien hat signifikante wirtschaftliche Auswirkungen. Die gesteigerte Nutzung führt zu höheren Einnahmen durch Ticketverkäufe, Mieteinnahmen von Veranstaltungen, Merchandising und Gastronomie. Zudem steigert die Vielfältigkeit der Veranstaltungen das Ansehen des Stadions als Veranstaltungsort, was langfristig zu höherem Interesse von Sponsoren und Investoren führen kann. Die Multifunktionalität eröffnet den Stadionbetreibern verschiedene Einnahmequellen. Neben den traditionellen Fußballspielen können Stadien für Konzerte, Messen, Kongresse, kulturelle Veranstaltungen und mehr genutzt werden. Dies führt zu einer kontinuierlichen Einkommensquelle, da die Stadien das ganze Jahr über genutzt werden können, anstatt nur während der begrenzten Fußballsaison. Durch die Vielfalt der Veranstaltungen ziehen Stadien eine breitere Palette von Besuchern an. Dies kann dazu beitragen, den Tourismus in der Region anzukurbeln, da Menschen von außerhalb für Veranstaltungen anreisen. Die erhöhte Besucherzahl hat positive Auswirkungen auf lokale Hotels, Restaurants und andere Dienstleistungssektoren. Die Multifunktionalität von Stadien erhöht ihre Sichtbarkeit und Präsenz in den Medien. Dies kann zu höheren Werbeeinnahmen führen, da Unternehmen Interesse daran haben, auf einer vielfältigen Plattform zu werben. 11 Seite 5

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 um die Anziehungskraft und Effizienz der Stadien weiter zu steigern. Modular aufgebaute Sitzbereiche, versenkbare Tribünen und anpassbare Dachstrukturen sind Beispiele für Features, die es Stadien erlauben, sich schnell an unterschiedliche Anforderungen anzupassen. Die Integration von Technologie wird eine Schlüsselrolle in der Zukunft der multifunktionalen Stadien spielen. Verbesserte Audio- und visuelle Systeme, fortschrittliche Beleuchtungstechnologien sowie interaktive Displays können das Erlebnis der Besucher bei Konzerten, Messen und anderen Veranstaltungen erheblich steigern. Zukünftige multifunktionale Stadien werden darauf abzielen, das ganze Jahr über genutzt zu werden, unabhängig von der Fußballsaison. Die Entwicklung von Indoor-Veranstaltungsflächen und wetterunabhängigen Einrich- tungen wird dazu beitragen, die Nutzungsvielfalt und die wirtschaftliche Rentabilität der Stadien zu erhöhen. Fazit Die Transformation von reinen Sportarenen zu multifunktionalen Einrichtungen hat weitreichende Auswirkungen auf die wirtschaftliche Rentabilität, die soziale Bedeutung und die architektonische Gestaltung der Stadien. Es wird deutlich, dass moderne Fußballstadien nicht für Fußballspiele genutzt werden. Stattdessen dienen sie als Veranstaltungsorte für eine breite Palette von Events, darunter Konzerte, Messen, Festivals und kulturelle Ereignisse. Diese Vielfalt an Veranstaltungen ermöglicht den Stadionbetreibern eine Diversifizierung ihrer Ein- nahmequellen und eine ganzjährige Nutzung der Anlagen. Die damit einhergehenden wirtschaftlichen Auswirkungen sind signifikant, da Stadien durch die Multifunktionalität ihre finanzielle Stabilität erhöhen und neue Einkommensströme generieren können. Die Analyse zeigt auch die Bedeutung der Integration sozialer Einrichtungen und Gemeinschaftsnutzung in Fußballstadien. Diese Aspekte gehen über kommerzielle Veranstaltungen hinaus und fördern eine nachhaltige Bindung zwischen dem Stadion und der umliegenden Gemeinschaft. Die Schaffung von Gemeinschaftsräumen, Fitnessstudios, Bildungseinrichtungen und kulturellen Treffpunkten trägt zur Stärkung der lokalen Identität und Integration bei. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Multifunktionalität sind vielfältig und umfassen gesteigerte Einnahmen aus ver- schiedenen Quellen wie Ticketverkäufen, Mietgebühren, Werbung und Gastronomie. länger ausschließlich 12 Seite 7

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Die Sichtbarkeit der Stadien in den Medien und die Anziehungskraft auf Sponsoren werden ebenfalls erhöht. Die Integration von Technologie und nachhaltigen Innovationen wird als zukünftiger Trend gesehen, um die Flexibilität und Attraktivität der multifunktionalen Stadien weiter zu steigern. Insgesamt wird deutlich, dass die Multifunktionalität von Fußballstadien eine transformative Entwicklung darstellt, die sowohl die wirtschaftliche Nachhaltigkeit als auch die soziale Integration fördert. Die zunehmende Vielfalt der Nutzungen trägt zur Stärkung der Stadien als Gemein- schaftszentren und wirtschaftliche Antriebskräfte bei. Mit Blick auf die Zukunft wird erwartet, dass Stadien weiterhin ihre Funktionen erweitern und durch innovative Ansätze eine nachhaltige Entwicklung fördern. 4. Literaturverzeichnis Drengner, J. (2013): „Sporterlebniswelten als Kommunikationsplattform im Eventmarketing“, in C. Zanger (Hrsg.): Events und Sport. Stand und Perspektiven der Eventforschung. Wiesbaden: Springer. Keller, C. (2008): Steuerung von Fußballunternehmen: finanziellen und sportlichen Erfolg langfristig gestalten. Berlin: Erich Schmidt. Rohlwing, C. (2015): Fußballstadien als Hysterieschüsseln? Soziologische Studie zum Verhältnis von Architektur, Raum und Gemeinschaft. Marburg: Tectum. Schroer, M. (2009): „Materielle Formen des Sozialen. Die Architektur der Gesellschaft aus Sicht der sozialen Morphologie“, in J. Fischer und H. Delitz (Hrsg.): Die Architektur der Gesellschaft: Theorien für die Architektursoziologie. Bielefeld. Transcript, S. 34-35. 13 Seite 8

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 „RESILIENZ UND NACHHALTIGKEIT: DIGITALE „RESILIENZ UND NACHHALTIGKEIT: DIGITALE UNTERSTÜTZUNG BEI IMPLEMENTIERUNGSPROBLEMEN UNTERSTÜTZUNG BEI IMPLEMENTIERUNGSPROBLEMEN IN DER SUPPLY CHAIN “ IN DER SUPPLY CHAIN “ B. Bresk1 B. Bresk1 University of Library Studies and Information Technologies, Sofia University of Library Studies and Information Technologies, Sofia axxessio GmbH Deutschland axxessio GmbH Deutschland Keywords: Resilienz , Nachhaltigkeit, Supply Chain, Strategie, Digitalisierung, Transformation. Keywords: Resilienz , Nachhaltigkeit, Supply Chain, Strategie, Digitalisierung, Transformation. ABSTRACT ABSTRACT Resilienz und Nachhaltigkeit sind heute wesentliche Bestandteile Resilienz und Nachhaltigkeit sind heute wesentliche Bestandteile von Supply Chains. Um beides zu erreichen, müssen Strategien von Supply Chains. Um beides zu erreichen, müssen Strategien innerhalb der Supply Chain umgesetzt werden. Für Supply Chains innerhalb der Supply Chain umgesetzt werden. Für Supply Chains treten dabei auf unterschiedlichen Ebenen Probleme und Ziel- treten dabei auf unterschiedlichen Ebenen Probleme und Ziel- probleme auf. Mit Hilfe geeigneter digitaler Instrumente und Strategien probleme auf. Mit Hilfe geeigneter digitaler Instrumente und Strategien versuchen Supply Chains aufkommende Probleme zu vermeiden oder versuchen Supply Chains aufkommende Probleme zu vermeiden oder abzuschwächen. Mit Hilfe von Experteninterviews soll geklärt werden, abzuschwächen. Mit Hilfe von Experteninterviews soll geklärt werden, wie diesbezüglich die aktuelle Situation in Supply Chains aussieht. wie diesbezüglich die aktuelle Situation in Supply Chains aussieht. Aus den Ergebnissen werden wichtige betriebswirtschaftliche und Aus den Ergebnissen werden wichtige betriebswirtschaftliche und praktische Erkenntnisse gewonnen. praktische Erkenntnisse gewonnen. 1 Björn Bresk; 64673 Zwingenberg, Hans-Gärtner-Weg 4; bjoern.bresk@web.de 1 Björn Bresk; 64673 Zwingenberg, Hans-Gärtner-Weg 4; bjoern.bresk@web.de 1 1 15

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 1. Einleitung In Zeiten der fortschreitenden Globalisierung müssen Supply Chains auf unübersichtlichen, agilen und wettbewerbsorientierten Märkten operieren (Munoz- Villamizar et al., 2019) (Agrawal & Narain, 2018). Ein Haupttreiber dabei sind neuartige Technologien und eine beschleunigte Digitalisierung, die Prozesse, Marktverhältnisse sowie Geschäftsbeziehungen verändern (Büyüközkan & Göcer, 2018). Digitalisierung bezieht sich hierbei auf „the increasing penetration of digital technologies and their behavior“ und ermöglicht den Supply Chains die Implementierung neuer Prozesse und Praktiken (Agrawal & Narain, 2018, S. 2). Im heutigen Zeitalter der Globalisierung ist es wesentlich, dass mittels digitaler Transformation dazu beigetragen wird, nachhaltige Werte zu erschließen (Sanders et al., 2019) und Resilienz zu fördern (Ivanov et al., 2021) (Quayson et al., 2020). Unter Nachhaltigkeit wird " sustainable development [...] that meets the needs of the present without risking that future generations will not be able to meet their own needs" verstanden (Hauff, 1987, S. 46). Das Nachhaltigkeitskonzept an sich besteht aus drei Bereichen - Ökologie, Ökonomie und Soziales - welche gleichermaßen entwickelt werden sollen (Hofmeister, 2018, S. 1589). Unter Resilienz verstehen Roberta Pereira et al. (2014, S.627) "the capability of supply chains to respond quickly to unexpected events so as to restore operations to the previous performance level or even to a new and better one". Für Jüttner & Maklan (2011, S. 246) muss auch der Wettbewerbs- charakter berücksichtigt werden, da Resilienz zusätzlich als "[...] ability of some supply chains to recover [...] more effectively than others" verstanden wird. 16 2

Schlüsseltechnologie Basistechnologie Verdrängte Technologie Frühes Entwicklungsstadium Hohe Wettbewerbsfähigkeit / -potential Geringe Prozess-/Produktintegration Impact auf Wettbewerbsfähigkeit Differenzierter Einsatz Moderater Einsatz bei Wettbewerbern Fortgeschrittene Prozess-/Produktintegration Erfolgsfördernd Weit verbreiteter Einsatz Allg. Zugang zu dafür notwendigen Informationen Geringe Ertragswirkung Vollständige Prozess-/Produktintegration Nicht mehr wettbewerbsfähig Oftmals negative Erträge Neukauf billiger als Weiterführung Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Hinsichtlich der einzusetzenden Technologien gibt es unterschiedliche Reifegrade in Bezug auf ihre Relevanz und ihren Impact (s. Voigt, o.D.): Technologieart Schrittmachertechnologie Beschreibung Tabelle 1: Technologiearten Die Implementierung digitaler Strategien entlang der Supply Chain hängt davon ab, welche Zielsetzungen damit verfolgt werden sollen (Produkt – Betrieb – Nebeneffekte) (De Giovanni, 2021) und ob die Unternehmenskultur darauf ausgerichtet werden kann (Tortorella et al., 2020). Wesentliche Bestandteile der branchen- und lieferketten- übergreifenden digitalen Transformation sind daher Technologien, die es erlauben, sich an die immer schneller sich verändernde Umgebung anzupassen und entsprechende Prozesse und Maßnahmen zu optimieren. Aufgrund des großen Impacts auf die Wettbewerbsfähigkeit von Schlüsseltechnologien wird diesen der größte Wert bei der Vermeidung bzw. Abschwächung von Implementierungs- problemen beigemessen. Ob und wie dies gegenwärtig in Supply Chains passiert, soll mit Hilfe von vier Experteninterviews näher beleuchtet werden. Hierzu wird zunächst ein Überblick über das methodische Vorgehen gegeben, wieso die Wahl auf semistrukturierte Interviews gefallen ist, wie das Interview entwickelt und ausgewertet und welche Experten interviewt wurden. Anschließend werden die Ergebnisse der Experteninterviews aufgezeigt. 3 17

Ausgabe Herbst 2023 2. Methode Um an Kenntnisse von Fachleuten zu gelangen, ist es nötig, diese durch Interviews zu erlangen. Interviews stellen hierbei die häufigste Methode zur Datenerhebung dar (Kallio et al., 2016, S. 2956). Unter einen Interview wird „a face-to-face verbal exchange, in which one person, the interviewer, attempts to elicit information or expressions of opinion or belief from another person or persons” (Maccoby & Maccoby, 1054, S. 449) verstanden. Gemäß Williamson (2018) gibt es Einzel- und Gruppeninterviews. Ein Einzelinterview ist eine Form des qualitativen Forschungsinterviews, bei der der Forscher oder Interviewer eine einzige Person befragt. Hierbei kann zwischen einer strukturierten, semi-strukturierten und einer nicht-strukturierten Interviewform unter- schieden werden. Für strukturierte Interviews ist eine Standardisierung der Fragen in Form eines vorgefertigten Fragebogens nötig (Williamson, 2018, S. 388). Diese haben das Ziel, möglichst viele Personen mit einzubinden (Adams, 2015, S. 492). Bei einem semi-strukturierten Interview ist eine gewisse Steuerung des Interviews durch den Interviewer in Richtung der aus seiner Sicht wichtigen Themen möglich (Brinkmann, 2014, S. 286). Dies wird durch eine Mischung aus offenen und geschlossenen Fragen realisiert, an die sich oftmals Folgefragen anschließen (Adams, 2015, S. 493). Baker (1998, S. 247) versteht unter dieser Interviewform „[…] discourse between two or more people which is not so fully controlled by the interviewer´s questions but is in fact constructed by both the interviewer and the respondent over the course of the discussion”. Bei einem nicht-strukturierten Interview wird vollständig auf vorgefertigte Fragen verzichtet (Williamson, 2018, S. 391). Der Interviewer nimmt hier vielmehr die Rolle eines exklusiven Zuhörers ein, der zur Klärung sporadisch Fragen einwirft (Brinkmann, 2014, S. 286). Einzelinterviews bieten den Vorteil, Interviewergebnisse durch direkte Aussagen der Interviewpartner zu untermauern (Williamson, 2018, S. 392). Auch können bei kritischen Fragen aufgrund der Wechselbeziehung zwischen Interviewer 18 4

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 und Interviewten (Kallio et al., 2016, S. 2957) die Interviewpartner ihre unabhängigen Gedanken unbeeinflusst von Partnern und Kollegen offen kommunizieren. Bei Gruppeninterviews – auch Fokusgruppeninterview genannt - werden mehrere Teilnehmer gleichzeitig in einer Gruppe interviewt. Fokusgruppeninterviews werden hauptsächlich durchgeführt, um Gefühle, Erfahrungen und Reaktionen der Teil- nehmenden zu erfassen. Dies ist mit anderen Interviewformen nicht oder nur bedingt möglich (Gibbs, 1997, S. 2). Unter einer Fokusgruppe versteht man „a technique involving the use of in-depth group interviews in which participants are selected because they are a purposive, although not necessarily representative, sampling of a specific population, this group being ‘focused’ on a given topic’” (Rabiee, 2014, S. 655). Um sicherzustellen, dass die Aussagen und die sich darauf aufbauenden Schlussfolgerungen qualitativ hochwertig und vertrauenswürdig sind, muss hierfür gemäß Kallio et al. (2016) ein passender Interviewleitfaden entwickelt werden. Im ersten Schritt muss identifiziert werden, welche Voraussetzungen bezüglich der geeigneten Interviewform vorherrschen. Bei der vorhandenen Fragestellung gilt es herauszufinden, wie die aktuelle Situation in Supply Chains bezüglich digitaler Problemlösungspotenziale im Hinblick auf Resilienz- und Nachhaltigkeitsstrategien aussieht. Hierfür ist es sinnvoll, einzelne Experten direkt zu befragen, da qualitative Aussagen für die Auswertung notwendig sind. Des Weiteren ist sowohl eine vollständige Standardisierung als auch eine komplett fehlende Struktur des Interviews nicht zielführend, da einerseits Folgefragen notwendig und sinnvoll sein können, andererseits das Thema dem Interviewer nicht erlaubt, nur als bloßer Zuhörer dem Interview beizuwohnen. Infolge dieser Argumente ist die gewählte Interviewform das semi-strukturierte Einzelinterview. Im zweiten Schritt muss ausreichend Wissen und ein grundlegendes Verständnis über das Thema aufgebaut werden. Dies kann u.a. mittels Durchführung einer Literaturanalyse oder durch das Rückgreifen auf das Wissen anderer Forschender mit Hilfe geeigneter Recherchearbeiten geschehen. Der dritte und gleichzeitig wesentliche Schritt betrifft die Formulierung des Interviewleitfadens. Dieser Leitfaden dient „as a data collection tool, by operationalizing the previous knowledge to the structural logical and coherent 5 19

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 form.” (Kallio et al., 2016, S. 2963). Bei der Erstellung des Leitfadens müssen ebenfalls drei unterschiedliche Phasen innerhalb des Interviews berücksichtigt werden: Eröffnungsphase – mittlere Phase - Abschlussphase (Galletta, 2013, S. 47-53). Im letzten Schritt wird der fertige Interviewleitfaden präsentiert. Nach diesem richten sich die Interviews und qualitativ auswertbare Daten sollten daraus generiert werden (Kallio et al., 2016). Als geeignete Interviewpartner wurden Experten aus unterschiedlichen Hierarchie- ebenen innerhalb und außerhalb von Supply Chains identifiziert. Hierbei ist es wichtig, Interviewpartner zu haben, die notwendiges Fachwissen und ausreichende Erfahrung in Bezug auf die zu untersuchende Fragestellung besitzen. Rolle Partner – Head of Supply Chain Management and Production Principal Supply Chain Management & Production Senior Project Manager Senior Project Manager Supply Chain Analytics Themenschwerpunkte Value Chain Design Performance Optimierung Sales & Operations Planning Supply Chain Planung Netzwerkplanung, S&OP Integrated Business Planning Prozessmanagement/ -optimierung Prozessdigitalisierung Digital Operations Supply Chain Strategie Prozessdigitalisierung Prozessvalidierung Tabelle 2: Interviewpartner & Themenschwerpunkte Drei Interviewpartner sind im Supply Chain-externen Bereich in der Unternehmens- beratung tätig und ermöglichen somit eine Blick auf verschiedenen Branchen und Märkte, wohingegen der vierte Interviewpartner Teil einer globalen pharmazeutischen Supply Chain ist und einen internen Blick ermöglicht. Nach Durchführung der Interviews müssen diese transkribiert und mittels eines eigens dafür erstellten Kodierleitfadens ausgewertet werden. Hierfür wird ein Kategoriensystem ausgearbeitet, welches entweder deduktiv, d.h. die Antworten werden vorab definierten Kategorien zugeordnet (Ramsenthaler, 2013, S.24, S. 29f.) 20 6

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 (Mayring, 2000), oder induktiv, bei der die Kategorien aus den Daten entwickelt werden (Ramsenthaler, 2013, S. 29) (Mayring, 2000). Abbildung 1: Übersicht Prozess qualitative Inhaltsanalyse (Quelle: eigene Darstellung) Aufgrund der Fragestellung und den darin enthaltenden Themenschwerpunkten wurde zunächst die deduktive Kategorienbildung gewählt. Nach Auswertung der Interview- daten musste das Kategoriensystem induktiv erweitert werden, so dass bei zur qualitativen Analysen der Daten das Kategoriensystem gemischt entwickelt wurde. 3. Ergebnis Das deduktive Kategoriensystem ergibt sich aus der Fragestellung, wie digitale Instrumente Implementierungsprobleme bei Nachhaltigkeits- und Resilienzstrategien abschwächen bzw. vermeiden können, so dass nachfolgende Kategorien vorab festgelegt werden: Nachhaltigkeit & digitale Transformation in der Supply Chain Resilienz & digitale Transformation 7 21

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Nach der Analyse der vorliegenden Daten ergibt sich eine weitere induktive Kategorien: Nachhaltige & resiliente Supply Chain Struktur Nachhaltigkeit & digitale Transformation in der Supply Chain Nachhaltigkeit hat in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Wichtigster Faktor hierbei für Unternehmen ist Transparenz herzustellen. Beschleunigt wird das durch staatlich und institutionell auferlegte neue Gesetzgebungen, wie bspw. das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz oder ESG-Reporting. Schlüsseltechnologien, Datenanalysetools und ERP-Systemen kommen hierbei eine hohe Bedeutung bei. Auch wenn es aufgrund der Komplexität vieler globaler Supply Chains fraglich ist, ob eine vollständige Transparenz hergestellt werden kann, können vor allem in bestimmten Bereichen eingesetzte Technologien Vorteile bringen. Auch wenn noch nicht ausgereift, kann bspw. Blockchain dazu beitragen, dass entlang der Supply Chain Klarheit über die Herkunft von Waren herrscht. Dadurch können Umweltstandards leichter durchgesetzt und nachverfolgt werden. Gegenwärtig kämpfen jedoch v.a. große Logistiklieferketten mit dem Problem, überhaupt erstmal eine lieferkettenweite ganzheitliche Übertragung von Geschäftsdokumenten zwischen den Supply Chain Partnern in einem Standardformat (EDI: Electronic Data Interchange) herzustellen. Dies würde papierbasierte Dokumente überflüssig werden lassen und entsprechend den CO2-Abdruck reduzieren. Des Weiteren kann bspw. Augmented Reality dazu beitragen, die Mitarbeitergefährdung bei Wartungsarbeiten mittels situationsspezifischer Informationen zu reduzieren. Durch den Einsatz digitaler Instrumente und die damit einhergehende verbesserte Transparenz kann Vertrauen hinsichtlich Nachhaltigkeit zwischen den SC-Partnern aufgebaut bzw. optimiert werden, da versteckte schädigende Tätigkeiten einfacher entdeckt werden können. Ein weiterer wichtiger Faktor, um v.a. Stakeholder-bezogene Probleme zu beseitigen, sind staatliche Investitionszuschüsse. Dadurch werden Kosten-Nutzen-Entscheidungen erleichtert und neue Technologien entwickelt und implementiert und Mitarbeiter und Manager dahingehend aus- und weitergebildet. Bei 22 8

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 der Einführung nachhaltigsorientierter Strategien müssen Lieferketten digitale Instrumente derart einsetzen, dass eine Optimierung der Strategien hinsichtlich Kosten, Umweltauswirkungen und Kundenwahrnehmung erzielt wird und sich letztendlich auf den Umsatz positiv auswirken. Resilienz & digitale Transformation in der Supply Chain Im Zuge der Corona-Pandemie ist den Supply Chains bewusst geworden, wie fragil ihre Lieferketten sind. Unternehmen müssen daher Investitionen in ihre digitale Infrastruktur tätigen, um langfristig die Resilienz zu erhöhen und wettbewerbsfähig zu bleiben. Hierfür müssen Risiken mittels Lieferkettenüberwachung identifiziert und rechtzeitig geeignete Vermeidungsstrategien eingeleitet werden. Wichtig hierfür ist wiederum Transparenz, welche vor allem durch geeignete ERP-Systeme, Big Data Analysetools und Szenariomodelle gefördert wird. Auch der Einsatz eines digitalen Zwillings kann dazu beitragen, die Resilienz zu erhöhen, indem alle relevanten Daten und infolgedessen Optimierungspotenziale identifiziert werden können. Ein weiteres Instrument kann Internet of Things (IoT) sein, welches ein großes Thema für Maschinen- und Anlagenhersteller ist. Bei einer vollständigen Umsetzung entlang der Lieferkette können Maschinen 100% autonom arbeiten. Dies würde Ausfälle reduzieren und die Zuverlässigkeit verbessern. Aktuell ist die Akzeptanz für diese Technologie ist noch nicht sehr hoch, so dass hierbei noch Optimierungspotenzial entlang der Supply Chains besteht. Informationen über die Lieferketten eingespeist und Für Lieferketten ist es wesentlich, mit Hilfe geeigneter digitaler Strategien eine optimale Balance zwischen Resilienz und Profitabilität zu finden. Diese digitalen Strategien sind kostenintensiv und können einfacher von großen als von mittelständischen Unternehmen implementiert werden. Die digitalen Instrumente müssen letztendlich so eingesetzt werden, dass gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit in Form einer zuverlässigen Lieferkette und ausreichend Profit gewährleistet werden können. 9 23

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Nachhaltige & resiliente Supply Chain Struktur Die globalen Lieferketten haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Schwellenländer sind zu wichtigen Wirtschaftsteilnehmern geworden und dienen nicht mehr nur als Zulieferer von entwickelten Ländern. Dieser Trend wird sich in Zukunft fortsetzen, so dass die globale Lieferkette nicht mehr so stark globalisiert sein wird wie heute. Re-Regionalisierungen von Supply Chains können die Folge sein. Dadurch lassen sich Wege verkürzen und Risiken verringern. Ein hierfür potenziell wichtiges digitales Instrument ist additives Manufacturing. Die Implementierung kann zu neuen Supply Chain Strukturen führen, da Produktionsprozesse ortsunabhängig aufgestellt werden können. Durch die Produktion eigener Teile kann sich die Lieferkettenstruktur vereinfachen, so das weniger Komplexität und Länge vorherrscht. Daraus resultieren kürzere und verringerte Logistikprozesse mit dem Resultat eines geringes ökologischen Fußabdrucks sowie eine geringere Anzahl an Ausfall- und Störmöglichkeiten entlang der Supply Chain. Prinzipiell versuchen Supply Chains ihre Struktur auch im Sinne der durch den Klimawandel verursachten Risiken bzw. Störfälle anzupassen. Das führt dazu, dass digitale Strategien dazu eingesetzt werden, die Resilienz zu erhöhen. Nachhaltigkeit ist für viele Lieferketten nur extrinsisch motiviert und wird nur durch passende Reportings und Transparenz-fördernde Technologien gemäß den gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen verfolgt. Dies bedeutet für die Lieferkettenstruktur, dass es Anpassungen gibt, solange diese nicht dauerhaft die Resilienz der Supply Chain benachteiligen. In den vorangegangenen Kapiteln wurde ein Überblick die Digitalisierung in Supply Chains und dessen Auswirkungen und Möglichkeiten für deren Nachhaltigkeits- und Resilienzbestrebungen aufgezeigt. Auch wenn viele unterschiedliche Technologien und Strategien bekannt sind, werden diese nicht vollumfänglich ausgeschöpft. Innerhalb von Lieferketten können Gründe hierfür fehlender Nutzen, zu hohe Kosten, unzureichender Reifegrad, bestehende Skepsis oder auch anders gelagerte Investitionsschwerpunkte sein. Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass Lieferketten die Instrumente der Digitalisierung kennen, allerdings, wie zuvor an Beispielen aufgezeigt, die potenziellen Möglichkeiten in Bezug auf die Verbesserung 24 10

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 bei der Implementierung von Nachhaltigkeits- und Resilienzstrategien nicht voll ausschöpfen oder gar brach liegen lassen. Was nötig ist, um das hier angesprochene Thema für Supply Chains und deren Manager greifbarer zu machen, muss in Zukunft weiter untersucht werden. Gegenstand zukünftiger Forschung kann die Analyse einzelner Technologien im Speziellen, wie bspw. Augmented Reality, Künstliche Intelligenz, digitaler Zwilling oder Big Data Analytics und deren potenzielle Auswirkungen auf die Implementierung von Nachhaltigkeits- und Resilienzstrategien sein. Auch kann untersucht werden, welche Schwierigkeiten bei der Entwicklung neuer digitaler Strategien in den beiden betrachteten Bereichen auftreten und wie diese gelöst werden können. Welche Maßnahmen einerseits von den Unternehmen bzw. Lieferketten selbst oder andererseits von externen Stellen wie politischen oder anderen regulatorischen Instanzen durchgeführt werden können, um den vorhanden Problemen bei der Implementierung digitaler Strategien entgegenzuwirken, ist ebenfalls ein Thema, das zukünftig untersucht werden sollte. Mit Hilfe der durchgeführten Experteninterviews wurde die bestehende Forschungslücke zur aktuellen Situation in Unternehmen und Supply Chains zu digitalen Strategien in Bezug auf Probleme bei der Implementierung von Nachhaltig- keits- und Resilienzstrategien geschlossen. Die erarbeiteten Ergebnisse sollen Entscheidungsträgern in Unternehmen und Supply Chains dazu anregen, den aktu- ellen Stand in ihren eigenen Lieferketten zu hinterfragen und neue digitale Einsatz- möglichkeiten zu bedenken, um durch die daraus entstehenden Prozessopti- mierungen die Nachhaltigkeit und Resilienz im Großem und im Kleinen zu verbessern. 11 25

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 4. Literaturverzeichnis Adams, W. (2015). Conducting semi-structured interviews. In K. Newcomer, H. Hatry, & J. Wholey (Hrsg.), Handbook of Practical Program Evaluation (4. Ausg., 492-505). Hoboken: John Wiley & Sons, Inc. Agrawal, P., & Narain, R. (2018). Digital supply chain management: An Overview. IOP Conference Series Materials Science and Engineering, Vol. 455 (012074), 1-6. Baker, T. (1998). Doing Social Research (3. Ausg.). New York: Professional, McGraw Hill. Brinkmann, S. (2014). Unstructured and Semi-Structured Interviewing. In P. Nathan (Hrsg.), The Oxford Handbook of Qualitative Research (S. 277-299). Oxford: Oxford University Press. Büyüközkan, G., & Göçer, F. (2019). Digital Supply Chain: Literature review and a proposed framework for future research. Computers in Industry, Vol. 97, 157-177. De Giovanni, P. (2021). Dynamic Quality Models and Games in Digital Supply Chains. Cham: Springer Nature. Galletta, A. (2013). Mastering the Semi-Structured Interview and Beyond : from research design to analysis and publication. New York: New York University Press. Gibbs, A. (1997). Focus Groups. Social research update, Vol. 19(8), 1-8. Hauff, V. (1987). Unsere gemeinsame Zukunft: der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Greven: Eggen amp. Hofmeister, S. (2018). Nachhaltigkeit. In H. Blotevogel (Hrsg.), Handwörterbuch der Stadt- und Raumentwicklung, 1587-1602. Hannover: ARL - Akademie für Raumforschung und Landesplanung. Ivanov, D., Blackhurst, J., & Das, A. (2021). Supply chain resilience and its interplay with digital technologies - making innovations work in emergency situations. International Journal of Physical Distribution & Logistics Management, Vol. 51(2), 97-103. Jüttner, U., & Maklan, S. (2011). Supply chain resilience in the global financial crisis: an empirical study. Supply Chain Management: An International Journal, Vol. 16(4), 246-259. Kallio, H., Pietela, A., Johnson, M., & Kangasniemi, M. (2016). Systematic methodological review: developing a framework for a qualitative semi-structured interview guide. JAN - Leading Global Nursing Research, Vol. 72(12), 2954-2965. Maccoby, E., & Maccoby, N. (1954). The interview: A tool of social science. In G. LIndzey (Hrsg.), Handbook of social psychology (S. 449-487). Cambridge: Addison-Wesley Publishing Co. Mayring, P. (2000). Qualitative Content Analyse. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum Qualitative Social Research, Vol. 1(2). Munoz-Villamizar, A., Solano, E., Quintero-Araujo, C., & Santos, J. (2019). Sustainability and digitalization in supply chains: A bibliometric analysis. Uncertain Supply Chain Management, 7, 703-712. Quayson, M., Bai, C., & Osei, V. (2020). Digital Inclusion for Resilient Post-COVID-19 Supply Chains: Smallholder Farmer Perspectives. IEEE Engineering Management Review, Vol. 48(3), 104-110. Rabiee, F. (2004). Focus-group interview and data analysis. Proceedings of the Nutrition Society, Vol. 63(4), 655-660. 26 12

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Wiener Universitäre Schriften Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Frühjahr 2023 Ausgabe Frühjahr 2023 „Werkvertrag versus Dienstvertrag am Beispiel der „Werkvertrag versus Dienstvertrag am Beispiel der Kaufuntersuchung eines Pferdes“ Kaufuntersuchung eines Pferdes“ E.Ebrahimpour1 E.Ebrahimpour1 University of Library Studies and University of Library Studies and Information Technologies, Sofia Information Technologies, Sofia Keywords: Standardisierungsprozess der Pferdekaufuntersuchung, europäische Keywords: Standardisierungsprozess der Pferdekaufuntersuchung, europäische Kaufuntersuchung, Kaufuntersuchung, europäischer Pferdekauf, Standarduntersuchung, Kaufuntersuchung, Kaufuntersuchung, europäischer Pferdekauf, Standarduntersuchung, Werkvertrag, Dienstvertrag beim Pferdekauf, tierärztliche Kaufuntersuchung. Werkvertrag, Dienstvertrag beim Pferdekauf, tierärztliche Kaufuntersuchung. 1. ABSTRACT 1. ABSTRACT Die im Rahmen des Pferdekaufs relevanten Aspekte (Fortbewegungsmittel, Arbeits- Die im Rahmen des Pferdekaufs relevanten Aspekte (Fortbewegungsmittel, Arbeits- bzw. Nutztier, Freizeitbegleiter) änderten sich im Laufe des gesellschaftlichen Wandels bzw. Nutztier, Freizeitbegleiter) änderten sich im Laufe des gesellschaftlichen Wandels der Pferdehaltung gleichermaßen, und zwar von Ausdauer- über Eignung bis zur der Pferdehaltung gleichermaßen, und zwar von Ausdauer- über Eignung bis zur heutigen Gesundheitsprüfung des Pferdes (Kaufuntersuchung). Bereits 1983 stellte heutigen Gesundheitsprüfung des Pferdes (Kaufuntersuchung). Bereits 1983 stellte Huskamp (1983: 141 – 145) in seiner Publikation „Tierärztliche Aspekte bei der Ankauf- Huskamp (1983: 141 – 145) in seiner Publikation „Tierärztliche Aspekte bei der Ankauf- untersuchung“ fest, dass der Begriff der Gesundheit eines Pferdes wesentlich groß- untersuchung“ fest, dass der Begriff der Gesundheit eines Pferdes wesentlich groß- zügiger gesehen werden müsste, denn dieses könnte als „gesund“ bezeichnet werden, zügiger gesehen werden müsste, denn dieses könnte als „gesund“ bezeichnet werden, sofern keine krankhaften Erscheinungen vorliegen, die seine Einsatz- bzw. Leistungs- sofern keine krankhaften Erscheinungen vorliegen, die seine Einsatz- bzw. Leistungs- fähigkeit (bezogen auf den gewünschten Verwendungszweck) beeinträchtigen würden. fähigkeit (bezogen auf den gewünschten Verwendungszweck) beeinträchtigen würden. Demnach war die Dringlichkeit einer standardisierten Vorlage für die tiermedizinische Demnach war die Dringlichkeit einer standardisierten Vorlage für die tiermedizinische Untersuchung umso mehr gegeben, als dass im selben Jahr die deutsche Rechtsprechung dem bisherigen Dienstvertragsverhältnis im Rahmen der Kaufunter- Untersuchung umso mehr gegeben, als dass im selben Jahr die deutsche suchung, das innerhalb der europäischen Länder größtenteils bis heute gilt, der Rechtsprechung dem bisherigen Dienstvertragsverhältnis im Rahmen der Kaufunter- Werkvertrag zugrunde gelegt wurde (Urteil des Bundesgerichtshofes vom 05.05.1983 – suchung, das innerhalb der europäischen Länder größtenteils bis heute gilt, der VII ZR 174/81). Werkvertrag zugrunde gelegt wurde (Urteil des Bundesgerichtshofes vom 05.05.1983 – VII ZR 174/81). Die Arbeit stellt die beiden für die medizinischen Leistungen zugrundeliegenden Verträge (Dienst- und Werkvertrag) am Beispiel einer tiermedizinischen Kaufunter- Die Arbeit stellt die beiden für die medizinischen Leistungen zugrundeliegenden suchung bei Pferden gegenüber. Dabei soll insbesondere die Wahrnehmung der Sorgfalt Verträge (Dienst- und Werkvertrag) am Beispiel einer tiermedizinischen Kaufunter- des untersuchenden Tierarztes betrachtet werden. suchung bei Pferden gegenüber. Dabei soll insbesondere die Wahrnehmung der Sorgfalt des untersuchenden Tierarztes betrachtet werden. 1 Edyta Ebrahimpour; ebrahimpour@freenet.de 1 Edyta Ebrahimpour; ebrahimpour@freenet.de Seite 1 Seite 1 29

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Frühjahr 2023 1. Einführung Im Jahr 1987 erschien erstmalig in Deutschland (Hippiatrika Verlag) die erste europäische Standardempfehlung für eine Kaufuntersuchung (in Anbetracht der aktuellen Mitgliedsländer der Europäischen Union). Der „Vertrag über die Unter- suchung eines Pferdes“ beinhaltet den tiermedizinischen Standard einer Kauf- untersuchung und die vertraglichen Geschäftsbedingungen gemäß aktueller deutscher und europäischer Rechtsprechung. Darüber hinaus kann es als Gutachten an den Kunden ausgehändigt werden, da es mit festen Umschlägen vor Schmutz und Witterungseinflüssen geschützt ist. Das in Österreich empfohlene Formular „Vertrag über die Untersuchung eines Pferdes“ (Vereinigung österreichischer Pferdetierärzte (VÖP)) verfügt über zahlreichen Parallelen zum deutschen Standard, da der Untersuchung auch hierzulande ein Werkvertrag zugrunde liegt (Pollhammer 2017: 59). Allerdings derzeit nur in diesen beiden Ländern, denn sonst liegt den in für den Pferdemarkt relevanten Ländern ein Dienstvertrag zugrunde. Demnach treten nur die untersuchenden Tierärzte in Deutschland und in Österreich im Rahmen der Kaufuntersuchung als Gutachter auf. Konkret liegt der Unterschied zwischen den beiden Verträgen darin, dass sich der Sachverständige nicht nur für den Erfolg seiner Arbeit (Pollhammer 2017: 60), nämlich ein vollständiges und sachlich richtiges Gutachten (Adolphsen 2009: 114-119), sondern auch für eine gewissenhafte und sorgfältige Untersuchung „wesentliche Plicht“, zu verantworten hat (Plewa 2019: 126-128). Die Vollständigkeit umfasst den Umfang der klinischen Untersuchung und die Richtigkeit drückt die Einhaltung der Sorgfaltspflichten aus. Im Zuge der Kardinalpflicht (wesentliche Pflicht) haftet der Gutachter demnach auch bei leichter Fährlässigkeit bei einer Kaufuntersuchung, da sie nicht ausgeschlossen werden darf (BGB § 307 Abs. 2 Nr. 2). Der untersuchende Tierarzt aus dem Dienstvertrag dagegen, ist weder an den Erfolg seiner Arbeit noch an die Kardinalpflicht gebunden, obwohl es sich bei einer Kaufuntersuchung aus tiermedizinischer Sicht, um dieselbe Untersuchung handelt. 30 Seite 2

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Frühjahr 2023 Da das Pferd bei der Kaufuntersuchung kein Patient ist, da es gemäß § 434 BGB mangelfrei sein muss, daher weder von diagnostischer, noch gar kurativer Leistung/Behandlung die Rede ist, sorgt die Anwendung dieses Vertrages in der Tiermedizin seit 1983 für einen Disput (Bemmann et al, 2010: 208-212). Das Ziel der Arbeit soll die Struktur des Werkvertrages gegenüber dem Dienstvertrag aufzeigen und darstellen, mit welcher der oben genannten Verträge die Sorgfaltspflichten des untersuchenden Tierarztes (leichter) erfüllt werden können. Denn alle Tierärzte sind an diese gebunden (unabhängig vom Vertrag und Nationalität). 2. Methode Für die Überarbeitung der Arbeit wurden die europäischen Standardempfehlungen für tiermedizinische Kaufuntersuchungen bei Pferden innerhalb Europäischer Union recherchiert, betrachtet und gegenübergestellt. Des Weiteren wurden die gesetzlichen Vorschriften des Vertragsrechts berücksichtigt. Tab. 1: Rollen der standarisierten Standardempfehlung einer Kaufuntersuchung bei Pferden mit zugrundeliegendem Werkvertrag (Quelle: Ebrahimpour, 2023) Seite 3 31

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Frühjahr 2023 Anhand des Modells können einer Standardempfehlung mit einem zugrunde- liegenden Werkvertrag drei Rollen zugewiesen werden: Arbeitsvorlage, Unter- suchungsvertrag mit Geschäftsbedingungen und individuellen Abreden und Gutachten (Deutschland und Österreich bzw. Zertifikat in anderen Ländern). Das Formular mit einem zugrundeliegenden Dienstvertrag kommt vor allem als Arbeitsvorlage mit wenigen Hinweisen (meist zwecks Haftungsausschlusses) zur Anwendung, da es gewöhnlich über keinen vertraglichen Inhalt verfügt. 3. Ergebnis / Erkenntnis Mit den ersten beiden Inhaltsbestandteilen eines Formulars aus dem Werkvertrag kann der untersuchende Tierarzt die Dokumentationspflicht (Arbeitsvorlage) und die Wahrnehmung der Aufklärung/Hinweispflicht (vertraglicher Inhalt) plausibel darlegen. Diese beiden Sorgfaltspflichten müssen lückenlos dokumentiert werden, da sie am häufigsten beanstandet werden (Neuhaus 2007). Mit einem Formular, das lediglich als Arbeitsvorlage dient, ist eine vergleichbare (vollständige) Beweisführung kaum möglich. Die fachliche Diskrepanz ist hinsichtlich der Qualität bei der strittigen Anwendung der Verträge damit begründet, dass die Kaufuntersuchung eines potenziell gesunden Pferdes, die eine fehlerfreie Gesundheitsfeststellung zur Aufgabe hat (BGB § 631), das Werk ist, das dem Gutachter obliegt. Andernfalls könnten nicht nur das Pferd zu Unrecht ab- bzw. aufgewertet, sondern auch der Tierarzt zur Schadenszahlung verpflichtet werden, sofern er aufgrund z.B. eines unvollständigen Umfangs zu fehlerhaften Schlussfolgerungen kommt. Insbesondere, weil der volle Umfang nicht immer im Interesse des Auftraggebers ist, gibt es in der Literatur einen erheblichen Widerstand gegen die Kaufuntersuchung als Gutachten, denn bei einem beschränkten Umfang kann die erforderliche Sorgfalt nicht erfüllt werden. Allerdings in diesem Fall gilt grundsätzlich, dass die erforderliche Sorgfalt des Tierarztes dennoch erfüllt ist, wenn er den Auftraggeber über die Folgen dieser Beschränkung aufklärt (Plewa 1987: 297-302). Ist als Beispiel die Feststellung eines 32 Seite 4

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Frühjahr 2023 eindeutigen Befundes aus diesem Grund nicht möglich, so hat er dies dem Auftraggeber mitzuteilen und im Protokoll zu vermerken. Folgerichtig darf er nur für die Befunde zur Verantwortung gezogen werden, die er anhand von den durch den Auftraggeber genehmigten Untersuchungen eindeutig feststellen durfte (Schüle 2002b: 255-259, Urteil vom 19.06.1991, Az. 11 U 88/99 Gerichtsort nicht vermerkt). 4. Literaturverzeichnis Adolphsen, J. (2009) Europäisches und internationales Zivilprozessrecht in Patensachen (2009) Prakt. Tierarzt 84, 114-119 Bemann, K., Schüle.E. (2010) Die schuldrechtliche Einordnung gynäkologischer Tierarztleistungen am Beispiel der sog.„Trächtigkeitsuntersuchung “des Pferdes. (2010) Pferdeheilkunde, 26, 208-212. Breuer, E. (2009) Das Gewährleistungsrecht beim Pferdekauf - dargestellt am Beispiel Österreichs und Deutschlands, Diss. Univ. Salzburg Huskamp, B. (1983) Tierärztliche Aspekte bei der Ankaufsuntersuchung Der prakt. Tierarzt 2, 141-145 Neuhaus, L. (2007) Ursachen für Schadenersatzansprüche gegenüber Tierärzten nach Kaufuntersuchungen beim Pferd. Eine Untersuchung von 189 Schadensfällen aus den Jahren 1978-2005. Diss. Univ. Berlin Plewa, D. Vertragsformulare für die tierärztliche Kaufuntersuchung – Eine vergleichende Betrachtung (2019), Pferdeheilkunde – Equine Medicine 35.2 (2019) 2, S. 126-128 Vertrag über die Untersuchung eines Pferdes; Ein Beitrag zur Standardisierung der Ankaufsuntersuchung beim Pferd Teil I (1987) - Juristische Anmerkungen Pferdeheilkunde 3 (1987) 6, S. 297-302 Pollhammer, S. (2017) Gewährleistung beim Pferdekauf Diss., Univ. Linz Schüle, E. (2002) Anforderungen an Verkäufer, Käufer, Pferd und Umfeld bei der Kaufuntersuchung – Bedingungen und Voraussetzungen für eine für alle Beteiligten optimale Untersuchung Pferdeheilkunde 18, 3 (2002b): 255-259 Seite 5 33

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Wiener Universitäre Schriften „Share Deal oder Asset Deal“ Ausgabe Herbst 2023 „Share Deal oder Asset Deal“ M. Eiber1 M. Eiber1 University of Library Studies and Information Technologies, Sofia University of Library Studies and Information Technologies, Sofia Keywords: Unternehmenskauf, Unternehmensverkauf, Share Deal, Asset Deal Keywords: Unternehmenskauf, Unternehmensverkauf, Share Deal, Asset Deal 1. ABSTRACT 1. ABSTRACT Bei einem M&A-Deal ist ein wesentlicher Aspekt die Form der Transaktion, welche je nach Situation unterschiedlich gestaltet werden kann. Dabei sollte frühzeitig über die Gestaltung des Übertrages des zu verkaufenden Unternehmens nachgedacht werden und sowohl von Käufer und Verkäufer die bevorzugte Transaktionsform dargelegt werden. Dies begründet sich daraus, dass sowohl rechtliche, steuerliche und buchhalterische Punkte zu berücksichtigen sind. In dieser wissenschaftlichen Arbeit wird ein Vergleich zwischen den Transaktionsvarianten Asset- und Share-Deal dargestellt. Bei einem M&A-Deal ist ein wesentlicher Aspekt die Form der Transaktion, welche je nach Situation unterschiedlich gestaltet werden kann. Dabei sollte frühzeitig über die Gestaltung des Übertrages des zu verkaufenden Unternehmens nachgedacht werden und sowohl von Käufer und Verkäufer die bevorzugte Transaktionsform dargelegt werden. Dies begründet sich daraus, dass sowohl rechtliche, steuerliche und buchhalterische Punkte zu berücksichtigen sind. In dieser wissenschaftlichen Arbeit wird ein Vergleich zwischen den Transaktionsvarianten Asset- und Share-Deal dargestellt. 1 Dr. Michael Eiber MSc; michael_eiber@gmx.at 1 Dr. Michael Eiber MSc; michael_eiber@gmx.at Seite 1 35

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 1. Einführung Bei einem Unternehmenstransaktion gibt es verschiedene Möglichkeiten das Unternehmen zu übertragen. Dabei ist es wichtig, dass sich die Käufer und Verkäufer frühzeitig einig werden, wie die Transaktionsstruktur aussieht. Dabei kann das Unternehmen durch den Erwerb der Gesellschaft (Share Deal) oder von einzelnen Wertgegenständen (Asset Deal) übernommen werden. (Engelhardt, 2023, S. 4) Eine Kombination von beiden ist möglich, wird in diesem Paper aber nicht betrachtet. Dieses Paper stellt eine Gegenüberstellung von einem Share- und Asset- Deal dar. 2. Methode Über eine Literaturrecherche sollen die notwendigen Informationen gesammelt und dargestellt werden. Hierbei handelt es sich um einen systematischen Prozess, bei welchem nach relevanten Publikationen zu diesem Thema gesucht wird. Der Asset Deal stellt für den M&A-Experten eine sinnvolle Lösung in besonderen Situationen für das Zielunternehmen dar. Gegen einen Asset Deal spricht auch, dass er aufgrund der umfangreichen und detaillierten Vertragsanhänge zunehmend zeit- und kostenintensiv ist, während bei einem Asset Deal die klare Haftungsbeschränkung und die selektive Übertragung durch die vertraglich vereinbarten Regelungen überwiegen. Problematisch wäre ein Share Deal hingegen bei der Veräußerung einer Betriebsstätte, die nicht als eigenständiges Unternehmen funktioniert und nur durch eine vorherige Umstrukturierung im Unternehmen vollzogen werden könnte. (Lucks & Meckl, 2015: 166ff) Ein Share Deal beinhaltet den Kauf aller Aktien des Unternehmens oder die Möglichkeit, eine bestimmte Anzahl von Aktien zu erwerben, die dem Käufer die Kontrolle über das Unternehmen geben. (Alickovic & Brauweiler, 2020, S. 233) Eine Transaktion im Rahmen eines Share Deals ist bei allen Gesellschaften möglich, bei denen das Grundkapital in Form von Kapitalanteilen an die Gesellschafter ausgegeben 36 Seite 2

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 wurde. (Julich, 2020, S. 6) Der Begriff „Share“ als englischsprachiger Sammelbegriff wird dabei für sämtliche Art von Anteilen an der Gesellschaft verwendet. Dabei bleibt die Rechtsform ungeachtet und es können somit Aktien, GmbH-Geschäftsanteile, KG- Anteile, etc. übertragen bzw. erworben werden. (Engelhardt, 2023, S. 5) Zivilrechtlich handelt es sich bei der ̈Übertragung der Gesellschaftsanteile um einen Rechtskauf. Die erworbene Gesellschaft selbst bleibt bestehen, es findet lediglich ein Wechsel der Gesellschafter statt. Bei einem Share Deal werden die stillen Reserven nicht aufgedeckt. Die Buchwerte der Vermögensgegenstände werden in der Bilanz der übertragenen Kapitalgesellschaft unverändert fortgeführt. (Julich, 2020, S. 6) Im Gegensatz zum Asset Deal erscheint der Kaufpreis nur in der Bilanz unter "Anteile an verbundenen Unternehmen" oder "Finanzanlagen". Der Erwerber muss die Beteiligung in Höhe der Anschaffungskosten in seiner Steuerbilanz aktivieren. Für den Erwerber ergeben sich bei einem Share Deal in der Regel keine steuerlichen Vorteile, da weder eine planmäßige Abschreibung der Beteiligung noch die Anwendung eines Step-up-Verfahrens in Betracht kommt. Die stillen Reserven werden erst bei Auflösung oder Liquidation der Kapitalgesellschaft besteuert. (Julich, 2020: 6) Abb. 1: Share-Deal vs. Asset Deal (Quelle: Engelhardt, 2023) Seite 3 37

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Im Gegensatz dazu stellt der Asset Deal den Erwerb sämtlicher oder einzelner Vermögensgegenstände eines Unternehmens dar. Diese können von einer Gesellschaft oder einer Einzelperson gehalten werden. Der wesentliche Unterschied zum Share Deal ist, dass keine Anteile übertragen werden, sondern nur einzelne Wirtschaftsgüter. (Engelhardt, 2023, S. 6) Dabei werden die dem Unternehmen zuzurechnenden Vermögensgegenstände, Rechte, immateriellen Vermögens- gegenstände, Vertragsverhältnisse und ggf. auch Verbindlichkeiten, die zusammen das Unternehmen als Gegenstand des Erwerbs bilden, einzeln veräußert. Rechtlich werden die Vermögensgegenstände vom Rechtsträger des zu veräußernden Unternehmens selbst auf die Zieleinheit übertragen. Die verbleibenden liquiden Mittel werden ausgeschüttet und die Gesellschaft wird anschließend liquidiert. Die Übertragung kann auf einen oder mehrere Erwerber in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft oder eines Einzelunternehmers erfolgen. Der Hauptvorteil des Asset Deals liegt für den Erwerber darin, dass er nicht den rechtlichen Mantel mit allen denkbaren steuerlichen und sonstigen zivilrechtlichen Haftungsrisiken übernimmt. (Julich, 2020: 7) Werden die einzelnen Wirtschaftsgüter eines Unternehmens im Zuge eines Asset Deals veräußert, so ist ein möglicher Gewinn immer zur Gänze körperschaftssteuerpflichtig. (van Kann, 2017, S. 276) 3. Ergebnis / Erkenntnis Grundsätzlich ist weder der Asset Deal noch der Share Deal zu bevorzugen, da es sich um zwei wirtschaftlich gleichwertige Handlungsalternativen handelt. (Jüttner, 2009, S. 12) Es muss also im Einzelfall geprüft werden, welche Transaktionsform die richtige ist, dies spiegelt sich in den unterschiedlichen Interessenlagen oder auch aufgrund steuerlicher Aspekte wider. 38 Seite 4

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 4. Literaturverzeichnis Alickovic, V. & Brauweiler, H.-C. (2020). Mergers and Acquisitions: Share Deal vs. Asset Deal – Risks and Impediments. Wiesbaden: Springer Verlag. Engelhardt, C. (2023). Mergers & Acquisitions. Wiesbaden: Springer Verlag. Julich, N. (2020). Asset-Deal vs. Share-Deal: Unternehmensbewertung im Rahmen der DCF- Verfahren unter Risiko. Paderborn. Jüttner, S. (2009). Übertragung einer Kapitalgesellschaft aus steuerlicher Sicht. Wiesbaden: Gabler Verlag. Lucks, K. & Meckl, R. (2015). Nachfolge als betriebswirtschaftliches Problem. Wiesbaden: Springer van Kann, J. (2017). Praxishandbuch Unternehmenskauf: Leitfaden Merger & Acquisitions. Freiburg: Schäffer-Poschel. Seite 5 39

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 „UNTERNEHMENSBEWERTUNGEN MITHILFE DER DCF- UND MULTIPLE-METHODE“ „UNTERNEHMENSBEWERTUNGEN MITHILFE DER DCF- UND MULTIPLE-METHODE“ M. Eiber1 M. Eiber1 University of Library Studies and Information Technologies, Sofia University of Library Studies and Information Technologies, Sofia Keywords: DCF, Discounted Cash-Flow, Multiple-Methode, Unternehmensbewertung Keywords: DCF, Discounted Cash-Flow, Multiple-Methode, Unternehmensbewertung 1. ABSTRACT 1. ABSTRACT Bei einer Unternehmenstransaktion möchte der Käufer so wenig wie möglich bezahlen und der Verkäufer so viel als möglich an Kaufpreis generieren. Dafür muss vor der eigentlichen Transaktion gemeinsam der Unternehmenskaufpreis festgelegt werden. Zu diesem Zweck gibt es eine Vielzahl an Methoden zur Unternehmens- bewertung. Es ist anzumerken, dass diese Bewertungen immer mit Unsicherheiten und subjektiven Annahmen verbunden sind. Dabei können durch die Auswahl der Bewertungsmethode, die Auswahl und Interpretation der relevanten Finanzdaten und die Einschätzung über die zukünftige Entwicklung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Daher ist es essenziell eine sorgfältige Analyse und eine solide Daten- basis zu haben, um eine zuverlässige Bewertung zu gewährleisten. In dieser wissenschaftlichen Arbeit wird ein Vergleich zwischen den beiden Unternehmensbewertungsmethoden, der Discounted Cash-Flow- (DCF-) und Multiple-Methode dargestellt. Bei einer Unternehmenstransaktion möchte der Käufer so wenig wie möglich bezahlen und der Verkäufer so viel als möglich an Kaufpreis generieren. Dafür muss vor der eigentlichen Transaktion gemeinsam der Unternehmenskaufpreis festgelegt werden. Zu diesem Zweck gibt es eine Vielzahl an Methoden zur Unternehmens- bewertung. Es ist anzumerken, dass diese Bewertungen immer mit Unsicherheiten und subjektiven Annahmen verbunden sind. Dabei können durch die Auswahl der Bewertungsmethode, die Auswahl und Interpretation der relevanten Finanzdaten und die Einschätzung über die zukünftige Entwicklung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Daher ist es essenziell eine sorgfältige Analyse und eine solide Daten- basis zu haben, um eine zuverlässige Bewertung zu gewährleisten. In dieser wissenschaftlichen Arbeit wird ein Vergleich zwischen den beiden Unternehmensbewertungsmethoden, der Discounted Cash-Flow- (DCF-) und Multiple-Methode dargestellt. 1 Dr. Michael Eiber MSc; michael_eiber@gmx.at 1 Dr. Michael Eiber MSc; michael_eiber@gmx.at Seite 1 41

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 1. Einführung Es gibt unterschiedliche Verfahren und Methoden zur Unternehmensbewertung sowie unterschiedliche Bedingungen, (Miciula, Kadlubek & Stepien, 2020, S. 5), was bedeutet, dass auch Probleme bei der Bewertung auftreten können. In den letzten Jahren wurden die verschiedenen Bewertungsmodelle empirisch erforscht. Theoretisch sollten die verschiedenen Methoden zum gleichen Ergebnis führen, in der Praxis ist dies nicht der Fall. Ein Blick auf das in London ansässige International Valuation Standards Council (IVSC), dass sich um die Schaffung weltweit einheitlicher Bewertungsstandards bemüht, macht die Sache nicht besser. Auch in den International Valuation Standards (IVS) heißt es (Ballweiser & Löffler, 2018, S. 1): "Unser primäres Ziel ist es, Vertrauen in die Bewertung zu schaffen, indem wir Standards schaffen und ihre weltweite Annahme und Umsetzung für die Bewertung von Vermögenswerten sicherstellen. Wir glauben, dass internationale Bewertungs- standards (IVS) ein grundlegender Bestandteil des Finanzsystems sind, zusammen mit einem hohen Maß an Professionalität bei ihrer Anwendung“. Das Ziel dieser Arbeit ist herauszuarbeiten, welche die beiden meistverwendeten Methoden zur Unternehmensbewertung sind und im Anschluss sind diese dargestellt. 2. Methode Über eine Literaturrecherche sollen die entsprechenden Informationen gesammelt und dargelegt werden. Dabei handelt es sich um einen systematischen Prozess, bei welchem nach relevanten Publikationen zu diesem Thema gesucht wird. Es gibt es eine Vielzahl von Verfahren, wobei die zwei bekanntesten Bewertungs- methoden, die Discounted Cash Flow-Methode (DCF) und die Multiple-Methode in diesem Paper betrachtet werden. (Imam, Chan & Shan, 2013, S. 9) Bei der DCF-Methode werden geschätzte Abzinsungssätze und prognostizierte Cashflows verwendet. Dazu gehören der freie Cashflow für das Unternehmen, der freie Cashflow für das Eigenkapital sowie der Unternehmenswert. (Asquith, Mikhail & 42 Seite 2

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Au, 2005, S. 278) Dabei schätzt diese Methode den fundamentalen Unternehmens- wert auf Basis der kumulierten Barwerte seiner zukünftigen Cashflows. (Leslaw & Lukasz, 2017, S. 1) Die Bestimmung des Eigenkapitals, das ist der Unternehmenswert, geschieht indirekt, indem vom Gesamtwert das Fremdkapital abgezogen wird. Bei dieser Methode handelt es sich im das weltweit beliebteste Instrument zur Unternehmensbewertung. Diese ist auch in Deutschland und Österreich mittlerweile weit verbreitet und wurde vor allem durch Unternehmensberatungen und angloamerikanischen Investmentbanken genutzt und gefördert. (Hessen, 2018, S.5) Dabei gibt es zahlreiche Varianten der DCF-Methode, welche sich eigentlich nur darin unterscheiden, wie die bewertungsrelevanten Cashflows und die anzuwendenden Diskontierungssätze bestimmt werden. Des Weiteren ergeben sich Unterschiede durch die Art und Weise, wie das Fremdkapital und die daraus resultierenden Steuerwirkungen und Auswirkungen von Kapitalstrukturveränderungen verwendet werden. (Hessen, 2018, S.5) In der nachfolgenden Abbildung sind die drei verschiedenen bekannten Varianten, Entity-Approach, Equity-Approach und Adjusted Present Value- Verfahren (APV) ersichtlich, wobei das erstgenannte, das Bruttoverfahren, am relevantesten ist. (Hessen, 2018, S.6) Abb. 1: Überblick über die DCF-Methoden (Quelle: Hessen, 2018, S. 6) Seite 3 43

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Die Multiple-Methoden ("Multiple Approach") werden vor allem zu Beginn des M&A-Prozesses eingesetzt, wenn eine grobe Einschätzung ausreicht. (Lucks & Meckl, 2015, S. 377) Zu den typischen Multiplikator-Methoden gehören die Umsatzmulti- plikatoren, die Asset-Multiplikatoren sowie die Gewinn- bzw. Cashflow-Multiplikatoren wie EBITDA-Multiplikatoren. (Asquith, Mikhail & Au, 2005, S. 278) Mit dem EBTIDA- Multiplikator lassen sich im Allgemeinen bessere Schätzungen erzielen als mit dem EBIT-Multiplikator. Diese Methode wird von Wissenschaftlern und Praktikern aufgrund ihrer Einfachheit häufig verwendet. (Lie & Lie, 2002, S. 44) Von dem Multiplikatoren- Wert, z.B. EBTIDA x 5, werden noch die zinstragenden Verbindlichkeiten abgezogen und erhält somit einen groben Unternehmenswert. 3. Ergebnis / Erkenntnis Aufgrund der Literaturrecherche stellte sich heraus, dass die beiden betrachteten Methoden, DCF- und Multiple-Methode, als die meistbekannten und verwendeten Unternehmensbewertungsverfahren sind. Des Weiteren wird zusätzlich zu der DCF- Methode, die Multiple-Methode verwendet, um den Prognosefehler zu reduzieren. Dabei wurde festgestellt, dass weder Cashflow- noch Gewinnmultiplikatoren hinsichtlich des Prognosefehlers besser sind als buchwertbasierte und eigenkapital- renditebasierte Modelle. (Imam, Chan & Shan, 2013, S. 9) 44 Seite 4

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 4. Literaturverzeichnis Asquith, P., Mikhail, M.B. & Au, A. (2005). Information content of equity analyst reports. Journal of Financial Economics. Ballweiser, W. & Löffler, A. (2018). Aktuelle Probleme der Unternehmensbewertung. Schmalenbachs Zeitschrift für betriebliche Forschung. Hessen, B. (2018). Basiswissen Unternehmensbewertung: Schneller Einstieg in die Wertermittlung. Wiesbaden: Springer Verlag. Imam, S., Chan, J. & Syed Zulfiqar, A. (2013). Equity valuation models and target price accuracy in Europe: Evidence form equity reports. International Review of Financial Analysis. Lie, E. & Lie, H.J. (2002). Multiples used to estimate corporate value. Financial Analysts Journal. Miciula, I., Kadlubek, M. & Stepien, P. (2020). Modern Methods of Business Valuation – Case Study and New Concepts. Szeczecin. Leslaw, G. & Lukasz, K. (2017). Complete discounted cashflow valuation. Insurance: Mathematics and Economics Lucks, K. & Meckl, R. (2015). Nachfolge als betriebswirtschaftliches Problem. Wiesbaden: Springer 45

„Der Pflegenotstand als gesellschaftliches Problem?“ „Der Pflegenotstand als gesellschaftliches Problem?“ S. Fodor1 S. Fodor1 University of Library Studies and Information Technologies, Sofia University of Library Studies and Information Technologies, Sofia Keywords: Pflegenotstand, physische-psychische-soziale Komponenten, Keywords: Pflegenotstand, physische-psychische-soziale Komponenten, multiprofessionelles Team, Führungskraft, Gesellschaft, individuelle und multiprofessionelles Team, Führungskraft, Gesellschaft, individuelle und teamorientierte Lösungswege, interdisziplinäre Teamarbeit, teamorientierte Lösungswege, interdisziplinäre Teamarbeit, Lösungsdimensionen Lösungsdimensionen ABSTRACT ABSTRACT Pflegenotstand ist das zurzeit am häufigsten diskutierte gesund- heitspolitische Thema und betrifft in seiner Bedeutung die ganze Gesellschaft. Pflegenotstand ist das zurzeit am häufigsten diskutierte gesund- heitspolitische Thema und betrifft in seiner Bedeutung die ganze Gesellschaft. Die pflegerische Versorgung wurde längere Zeit lediglich als Teil Die pflegerische Versorgung wurde längere Zeit lediglich als Teil der medizinischen Versorgung betrachtet, dieser untergeordnet und der medizinischen Versorgung betrachtet, dieser untergeordnet und nicht als ein eigenständiges und professionelles Berufsfeld ange- nicht als ein eigenständiges und professionelles Berufsfeld ange- sehen. Diese Auffassung ist jedoch nicht mehr zeitgemäß. Pflege, als sehen. Diese Auffassung ist jedoch nicht mehr zeitgemäß. Pflege, als eigenständige und hoch angesehene Professionalität, kann in einem eigenständige und hoch angesehene Professionalität, kann in einem gewissen Maße einen zielgerechten und unterstützenden Lösungs- gewissen Maße einen zielgerechten und unterstützenden Lösungs- beitrag zu unseren Problemen im Gesundheitswesen leisten. beitrag zu unseren Problemen im Gesundheitswesen leisten. Im Rahmen dieses Artikels wird der Einfluss des pflegerischen Berufs auf ein multiprofessionelles Team und bei der Versorgung von Im Rahmen dieses Artikels wird der Einfluss des pflegerischen multimorbiden Menschen sowie dessen Funktion als Teil der Lösung Berufs auf ein multiprofessionelles Team und bei der Versorgung von der akuten Probleme im Gesundheitswesen dargestellt. multimorbiden Menschen sowie dessen Funktion als Teil der Lösung der akuten Probleme im Gesundheitswesen dargestellt. 1 Szilvia Fodor; DE-37639 Bevern, Angerstr. 35; szilviafodor2@gmail.com 1 Szilvia Fodor; DE-37639 Bevern, Angerstr. 35; szilviafodor2@gmail.com 47

1 Einführung Im 20. und 21. Jahrhundert traten durch demographische Veränderungen und Globalisierung zusätzliche Faktoren und damit verbundene Probleme auf. Diese Probleme können für einzelne Menschen oder auch für Berufsgruppen unterschiedlich ausfallen. Der pflegerische Beruf ist von diesen Faktoren stark betroffen. Ein solcher Faktor ist, dass die „Babyboomer“-Generation in Rente geht. Dies führt dazu, dass die folgende Generation eine hohe Zahl von alternden und alten Menschen versorgen muss. Die demografische Entwicklung zeigt zudem, dass die Bevölkerung schrumpft. In den kommenden Jahren muss eine Vielzahl an Zuwanderern in bestimmten Berufen Arbeit erwerben. An der entsprechenden Umsetzung wird gegenwärtig auf politischer Ebene intensiv gearbeitet. Weitere Faktoren sind, dass die moderne und innovative Entwicklung in der Medizin es den Menschen ermöglicht, länger zu leben. Dies bedeutet aber auch, dass diese gebrechlicher werden und dadurch auch die Pflegeintensität steigt. Außerdem weisen viele Menschen multimorbide Gesundheitsprobleme auf, was zu einem komplexen und herausfordernden pflegerischen Versorgungsbedarf führt. Ein bedeutender Faktor ist ebenfalls, dass in den vergangenen zweieinhalb Jahren die Pandemiesituation dazu führte, dass sehr viele Menschen in sozialen Berufen (Ärzte, Pflegekräfte usw.) durch ihren vermehrten Einsatz an ihre Grenzen stießen. Die fehlende gesellschaftliche Anerkennung und finanzielle Ungleichheit verschärfen die Situation zusätzlich. Dies führt u. a. dazu, dass Pflegekräfte häufiger und länger erkranken als Mitarbeiter anderer Branchen. Die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) hat bei ihren Versicherten Anfang des Jahrs 2022 die krankheitsbedingten Fehltage zusammengefasst und festgestellt, dass in pflegerischen Berufen im Schnitt elf Tage krankheitsbedingte Ausfälle pro Jahr mehr als in anderen Berufsgruppen (andere Berufe ca. 14 Tage/Jahr, in pflegerischen Berufen ca. 25 Tage/Jahr) gegeben sind. Für die Pflege bedeutet dies, dass mehr Arbeitsbelastung auf nicht erkrankte Mitarbeiter zukommt. Eine politische Lösung und neue Konzepte sind immer wieder im Gespräch, aber noch lässt sich bisher keine Verbesserung realisieren. In Deutschland herrscht ein Pflegenotstand. Das Problem lässt sich nicht kurzfristig durch generalisierte Ausbildung, Akademisierung des Pflegeberufes oder Prämien und Inflationsausgleichszahlungen beheben. Die Gesellschaft muss sich somit auf eine teure, jedoch dadurch nicht verbesserte pflegerische Versorgung vorbereiten (Wirsing/Kohn, 2013, S. 220–236). 48

2 Bedeutung von Individuum, Team und Gesellschaft 2.1 Physisch-psychisch-soziale Komponenten In der Pflege Arbeitende müssen sich durch ihre Tätigkeit täglich auf eine hohe körperliche und seelische Belastung einstellen. Dies führt häufig zu organischen und psychischen Erkrankungen. Dazu gehören muskelskeletöse Erkrankungen, Depression oder auch Burnout. Das Krankheitsbild Burnout konnte eine lange Zeit nicht umfassend definiert werden. Dies hat dazu geführt, dass psychischer Stress lange nicht ernstgenommen wurde. Die Symptome sind vielfältig und gehen einher mit physisch-psychisch-sozialen Komponenten und chronischen Schmerzzuständen, Immunschwäche – Depressionen und Suchterkrankungen begleiten dieses Krankheitsbild. Ebenso deutet eine hohe Suizidrate unter Betroffenen auf ein ernstzunehmendes Problem hin. Stressbedingte Faktoren führen zu emotionaler Erschöpfung. Im beruflichen Kontext zeigt sich dies durch die Beziehung zu anderen Menschen. Die Betroffenen fühlen sich ausgelaugt, was letztlich zu einer Depersonalisierung führen kann. Hier kann eine abgestumpfte und gleichgültige Reaktionsfähigkeit gegenüber den Klienten beobachtet werden. Die Klienten werden in der Folge wie Objekte behandelt. Dieser Zustand reduziert die körperliche und persönliche Leistungsfähigkeit. Wenn dieser Prozesse rechtzeitig erkannt werden, können die Betroffenen dagegen arbeiten und sich Hilfe suchen. Wichtig ist, dass die Betroffenen diesen Prozess verstehen und keine Hilfe ablehnen, es muss aktiv an der Problemlösung gearbeitet werden. In erster Linie muss Stress reduziert werden. Dazu ist eine regelmäßige Reflexion des Einzelnen und auch des Teams notwendig (Wirsing/Kohn, 2013, S. 229 - 233). 2.2 Relevanz des multiprofessionellen Teams Ein multiprofessionelles Team setzt sich aus mehreren Berufsgruppen zusammen. Diese Berufsgruppen verfolgen das gleiche Ziele. Zu diesem multiprofessionellen Team gehören unter anderem Ärzte, Pflegekräfte, Hauswirtschafterinnen, Therapeuten, Seelsorger, Psychiater, Sozialarbeiter und auch ehrenamtliche Mitarbeiter. Diese Berufsgruppen können nur zusammenarbeiten, wenn einige Grundvoraussetzungen erfüllt werden. So müssen die Berufsgruppen genügend Akzeptanz und eine gute Beziehung zueinander pflegen. Weitere Voraussetzungen für gute Zusammenarbeit sind ein loyaler, emphatischer und respektvoller Umgang miteinander. Diese Aspekte können mit einer guten Führung und Kooperation erreicht werden. Es ist erforderlich, einen wertschätzenden Umgang miteinander zu entwickeln. Dabei können Grundsätze wie „im Team können wir alles schaffen“ eine entscheidende Rolle spielen. Auch ein konstruktives Feedback macht viel aus. Der Fokus auf dem Lösungsweg muss in horizontaler (auf Augenhöhe) Ebene gestaltet werden. Das multiprofessionelle Team muss diese Voraussetzungen nicht nur vorschreiben, sondern auch in der Praxis umsetzen. Alle Berufsgruppen haben die 49

gleiche Daseins-Berechtigung. Wenn sie miteinander kooperieren, können sie beratend, intervenierend, aufklärend und begleitend wirken. Die Zusammenarbeit ermöglicht es, Kompetenzen zu entwickeln, Arbeitsschritte zu verbessern, Dokumentationen zu erleichtern und Strukturen sowie Abläufe zu optimieren. Die Berufsgruppen können sich gegenseitig unterstützen und die Arbeit somit verein- fachen. Mit diesen Aspekten kann eine gute Betriebsatmosphäre erreicht und damit Stress und Belastung minimiert werden. Es ist wichtig, eine evidenz-basierte, qualitative und Patienten-sichere Versorgung sicherzustellen. Dies zieht eine erhebliche Verantwortung mit sich und erfordert, dass die Zusammenarbeit zwischen Management und Organisation sowie die Beziehung der Berufsgruppen untereinander reibungslos abläuft (Schrappe, 2009, S. 198–204). 2.3 Rolle der Führungskräfte Menschenführung bringt viele Hindernisse, Verantwortung und emotionelle Belastung mit sich. Eine gute Führungskraft ist Teil des Teams und hat eine Vorbild- und Koordinations-Funktion. Sie übernimmt Verantwortung und ist sich der Konsequenzen für eigene Entscheidungen bewusst. Außerdem muss die Leitung auf professioneller Ebene Entscheidungen unabhängig von Sympathie treffen. Das Ziel muss mit jenem des Teams übereinstimmen. Jedes einzelne Teammitglied muss mit seinen Stärken und Schwächen akzeptiert und individuell gefördert und unterstützt werden. Dazu braucht es eine hohe emotionale und moralische Kompetenz und konzentriertes sowie strukturiertes und zielorientiertes Arbeiten. Grenzen müssen auf sanfte, aber deutliche Art und Weise gesetzt und vermittelt werden. Grundvoraussetzung dafür sind eine offene, transparente und authentische Kommunikation und Kritikfähigkeit sowie darüber hinaus gute Organisations- und Management-Fähigkeiten. (Soellner et al., 2009, S. 105–113). Diese Fähigkeiten können gelernt und mit genügend Erfahrung verbessert werden. Die aufgeführten Aspekte zeigen deutlich, dass Führungskräfte gerade in schwierigen und herausfordernden Zeiten eine erhebliche Verantwortung hinsichtlich eines analytischen, vorausschauenden Problembewusstseins und eine Ziel- und Prioritäten- orientierte Arbeitsweise vorweisen müssen. 2.4 Rolle der Gesellschaft Pflegerische Versorgung und damit zusammenhängende Aspekte sind nicht nur ein für kranke oder gebrechliche Menschen relevantes Thema, sondern auch für die gesamte Gesellschaft. Innerhalb der Berufsgruppe „Pflegende“ ist eine Vielzahl von Personen von gesundheitlichen Problemen betroffen. Dies zieht weitere Probleme mit sich und löst eine kaum aufhaltbare negative Tendenz mit sich. Pflegende Personen werden selbst chronisch krank und sind dann auf Pflege angewiesen. 50

So hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung im Jahr 2018 beispielsweise Daten erfasst, nach welchen ca. 50 % der 5.600 Befragten unter einer chronischen Erkrankung litten (Kassenärztliche Bundesvereinigung, 2018). Viele dieser chronisch erkrankten Menschen sind auch auf eine pflegerische Versorgung angewiesen, wobei sich eine zunehmende Tendenz zeigt (Robert-Koch- Institut, 2018). Diese Entwicklung ziehen strukturelle, Human-Ressource-betreffende und gesund- heitsökonomische Probleme mit sich. Neben diesen wichtigen Aspekten hat der pflegerische Beruf auch mit gesell- schaftlichen Anerkennungsproblemen zu kämpfen. Viele Berufen haben einen starken und politisch anerkannten Verband. Hinter den Ärzten stehen die Ärztekammern und auch die Apotheker haben einen auf eine lange Tradition zurückblickenden Verband hinter sich. Somit ist eine politische Lobby gegeben. Diese Berufe haben zudem einen traditionellen Akademisierungsweg. Dagegen wird der pflegerische Beruf nur teilweise akademisiert oder in eine Institution wie eine Kammer zusammengeführt. Dies bedeutet, dass die Pflege noch einen langen Weg vor sich hat, um auf politischer und gesellschaftlicher Ebene an Bedeutung zu gewinnen (Schwartz, 2012, S. 4-20). Pflegen können alle! Dieser Satz ist in unsere Gesellschaft breit verbreitet. Wobei Pflege nicht das bedeutet, was der Laie kennt. Nicht nur grundlegende Aspekte wie Körperpflege oder grundlegende menschliche Bedürfnisse sind zu befriedigen, vielmehr umfasst der Beruf hoch komplizierte naturwissenschaftliche Kenntnisse und erfordert hohe emotionale Intelligenz sowie eine überdurchschnittliche Empathie. Pflege betrifft alle Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht oder sozialem Status. Mit der rasanten Entwicklung der Medizin werden bereits im Mutterleib an Ungeborenen medizinische Eingriffe durchgeführt oder Frühgeborene pflegerisch versorgt. Genauso erhalten Menschen in höherem Alter, immer häufiger über 100 Jahre, eine professionelle pflegerische Versorgung. Außerdem können mit den Ent- wicklungen der Medizin hochkomplizierte Behandlungen und Operationen durch- geführt werden. Dies bringt einen hohen Anspruch an professionelle und höchst komplizierte pflegerische Versorgungsaspekte mit sich. Ebenso wichtig zu erwähnen ist, dass durch die demografischen Aspekte wie Zuwanderung und Migration die pflegerischen Berufe auch vermehrt eine Kultursensible Kompetenzentwicklung erfordern. Die hier aufgezählten Aspekte zeigen, dass eben nicht alle Pflege „können“, sondern es sich um eine essenzielle, für die Lebenserhaltung wichtige Tätigkeit handelt und um einen wie immer häufiger auch in den Medien genannten „strukturrelevanten Beruf“. 51

Außerdem ist es wichtig, die Diskrepanz zwischen den traditionellen und veralteten Ansichten „Ärzte = Götter in Weiß“ und „Pflege = Schatten oder Diener der Ärzte“ zu thematisieren und einer klischeehaften Bezeichnung zu widersprechen. Das Thema „Pflege“ muss enttabuisiert werden. Dafür sollten auch auf gesellschaftlicher Ebene diese Aspekte in unter- schiedlichen Dimensionen (Individuum, Team, Gesellschaft/Sozialwesen) Lösungen gefunden werden. transparent behandelt und Die folgende Abbildung zeigt mögliche Lösungen in drei Dimensionen auf, wobei die Lösungen auf die Essenz des Kernproblems fokussieren und konkrete Handlungsvorschläge geben. Die in der Abbildung dargestellten Aussagen spiegeln die Auffassung der Autorin wider. Team-bedingte Lösungsaspekte Soziale/gesellschaft- liche Lösungsaspekte Individuum Lösungsaspekte Autogenes Training Psychotherapie Relaxation Yoga Achtsamkeit Meditation Umstellung der Ernährung Viel Bewegung Lernen von Selbstfürsorge Politische Wichtigkeit Gesellschaftliche Anerkennung Transparente Darstellung der Wichtigkeit der pflegerischen Versorgung Öffentliches Bekämpfen von laienhaften Stereotypen des Pflegeberufes Image-Verbesserung des Pflegeberufs Regelmäßige Teambesprechung Intervision Fallbesprechung Mitarbeitergesprä-che Supervision Konfliktgespräche Konstruktive Kritikfähigkeit stärken Authentische Verhaltensweise stärken Strategischer Umgang mit schwierigen Teammitgliedern Ständig reflektierte Arbeitsweise Immer wieder Grenzen und Möglichkeiten des Teams aufzeigen Essenzielle Entscheidungen gemeinsam treffen Tab. 1: Dimensionen der Lösungen (Quelle: Eigene Darstellung nach eigenen Lösungsaspekten) 52

3 Ergebnis / Erkenntnis Pflegerische Versorgung gewinnt fortlaufend an Bedeutung – auf individueller und gesellschaftlicher Ebene. Die Dimensionen der optimalen Lösungswege aus dem Pflegenotstand sind vielfältig, wobei eine gute, hoch qualitative, würdevolle und für alle Menschen erreichbare pflegerische Versorgung mühsam ist. Um diese Versorgung erfolgreich zu gewährleisten, müssen Lösungswege in allen Disziplinen verankert werden. Individuelle und teamorientierte Lösungswege können dabei unterstützend wirken, pflegerische Versorgung für alle Menschen erreichbarer zu machen, wobei der Weg dahin auch gesellschaftliche Veränderungen mit sich bringen muss. Die Pflege als Profession nimmt im Bereich der medizinischen Versorgung eine extrem wichtige Rolle ein. Somit übernimmt sie auch eine erhebliche gesellschaftliche Verantwortung. Interdisziplinäre Teamarbeit hat hierbei eine wichtige Position und kann die Voraussetzungen für eine gute pflegerische Versorgung schaffen und dabei eine zentrale Rolle spielen. Ohne die drei Lösungsdimensionen werden die notwendigen Versorgungs- strukturen im Gesundheitswesen schwer realisierbar sein. Die demographischen Probleme sowie die Globalisierung im Allgemeinen stellen ein Umdenken bei neuen Strukturen in der Versorgung und letztlich die Chance dar, innerhalb der pflegerischen Versorgung wieder den gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden. Selbstverständlich sollte eine angemessene Bezahlung ebenfalls langfristig sichergestellt werden. Es ist nicht lösungsorientiert, wenn es erhebliche Unterschiede bei der Bezahlung zwischen zwei vergleichbaren Berufsgruppen wie Arzt und Pflegekraft gibt. In diesem Aspekt sind wieder die Politiker und deren Entscheidungen ausschlaggebend. Es sollte weiterhin auch hinsichtlich der Ausbildung und Akademisierung des pflegerischen Berufs grundlegende und langfristige Änderungen geben. Mit der generalistischen Pflegeausbildung und Angeboten von Dualen Studienplätzen in der Pflege sind die ersten Schritte schon gemacht. Mit der Akademisierung dieses Berufes werden Pflegende befähigt, auch in politischen Bühnen aufzutreten. Pflegende können mit ihrem im Studium erworbenem, analytischem, zielorientiertem und fachlich fundiertem Wissen Argumente anführen, die für ein gutes Image des pflegerischen Berufs dienen. Damit können sie einen effektiven Beitrag dazu leisten, dass Pflegende auf der politischen Bühne auf Augenhöhe und gleichberechtigt behandelt werden. All diese Aspekte sind wichtig für die Aufwertung des pflegerischen Berufs. Pflege kann nur dann gesellschaftskonform gemacht werden, wenn alle Akteure zusammen- arbeiten und dafür im ersten Schritt dieses Berufsfeld gesellschaftlich aufwerten. 53

4. Literaturverzeichnis Bengel, J., Strittmatter, R., & Willmann, H. (2006). Was erhält Menschen gesund? Antonovskys Modell der Salutogenese - Diskussionsstand und Stellenwert; eine Expertise. Bundeministerium für Gesundheit (BMG) (2020). Chronisch-Kranke-Menschen. Verfügbar unter: www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/c/chronisch-kranke- menschen.html (Abruf:17.06.2020). Deutsche Gesellschaft für Public Health (2012). Situation und Perspektiven von Public Health in Deutschland - Forschung und Lehre, Positionspapier Verfügbar unter: http://www.deutsche- gesellschaft-public-health.de/ (Abruf:14.06.2020). Egger M., Razum O., Rieder A., (2018). Public Health Kompakt. Sozial- und Präventivmedizin. House, J. S., Umberson, D., Landis, K. R. (1988). Structures and Processes of Social Support. In: Annual Review of Sociology 14., S. 293–318. Katschnig H. (1983). Soziales Umfeld der psychischen Krisensituation [Social environment of the psychic crisis situation]. Wien Klin Wochenschr Suppl, S. 6-9. Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) (2017. Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen, 2017 und 2018 Verfügbar unter: https://www.forschungsgruppe.de/Umfragen/Archiv (Abruf: 15.06.2020). Laireiter, A.-R. (2009). Soziales Netzwerk und Soziale Unterstützung. In: Lenz, K.; Nestmann, F.: Handbuch persönliche Beziehungen. Juventa, Weinheim/München. Paulus, H. (2011). Klinische Sozialarbeit. Grundlagen und Methoden psycho-sozialer Be handlung. 2., überarb.Auflg., Juventa, Weinheim/ München. Robert-Koch-Institut (2019). Gesundheitsmonitoring Verfügbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/ Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/ (Abruf: 17.06.2020). Soellner R., Huber S., Lenartz N., Rudinger G. (2009). Gesundheitskompetenz – ein vielschichtiger Begriff. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie 17(3), S. 105–113. Schwartz, F. W., (2012). Public Health - Zugang zu Gesundheit und Krankheit der Bevölkerung, Analysen für effektive und effiziente Lösungsansätze, München, S. 4-20. Schrappe, M. (2009). Führung im Krankenhaus. Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen, 103(4), S. 198–204. Wirsing, Kohn (2013). Psychologie für die Altenpflege, 7. Auflage, Beltz, S. 220–236. 54

„Akzeptanz von Robotic Process Automaten in Fachbereichen deutscher Energieversorger“ „Akzeptanz von Robotic Process Automaten in Fachbereichen deutscher Energieversorger“ M. Hausmann1 M. Hausmann1 University of Library Studies and Information Technologies, Sofia University of Library Studies and Information Technologies, Sofia Keywords: Akzeptanz, Robotic Process Automation, Energieversorger, Change Management, Deutschland, Energiemarkt. Keywords: Akzeptanz, Robotic Process Automation, Energieversorger, Change Management, Deutschland, Energiemarkt. ABSTRACT ABSTRACT Die Energieversorger stellen eine wichtige Branche in Deutschland dar. Sie agieren in einem stark regulierten Markt, der über einen hohen Grad an Standardisierung verfügt. Dies gilt insbesondere für bestimmte Geschäftsprozesse. Die Energieversorger stellen eine wichtige Branche in Deutschland dar. Sie agieren in einem stark regulierten Markt, der über einen hohen Grad an Standardisierung verfügt. Dies gilt insbesondere für bestimmte Geschäftsprozesse. Aufgrund des hohen Standardisierungsgrad ist der Einsatz von Robotic Process Automation (RPA) von großer Bedeutung. RPA bezeichnet eine Technologie zur softwarebasierten Automatisierung von standardisierten Geschäftsprozessen. Aufgrund des hohen Standardisierungsgrad ist der Einsatz von Robotic Process Automation (RPA) von großer Bedeutung. RPA bezeichnet eine Technologie zur softwarebasierten Automatisierung von standardisierten Geschäftsprozessen. Der Einsatz dieser Technologie ist jedoch mit einem Veränderungs- prozess verbunden, der durch Change Management gesteuert wird. Aus diesem Grund ist die Akzeptanz der Technologie durch die Mitarbeiter von großer Bedeutung. Der Einsatz dieser Technologie ist jedoch mit einem Veränderungs- prozess verbunden, der durch Change Management gesteuert wird. Aus diesem Grund ist die Akzeptanz der Technologie durch die Mitarbeiter von großer Bedeutung. 1 Markus Hausmann; me@markus-hausmann.de 1 Markus Hausmann; me@markus-hausmann.de 57

1. Einführung Die Branche der deutschen Energieversorger ist mit über 120 Milliarden Euro Jahresumsatz und über 190.000 Mitarbeiter eine wichtige Branche in Deutschland (BDEW Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft e.V., 2020, S. 14). Die Aufgaben der Branche umfassen alle Tätigkeitsfelder von der Produktion, über den Transport bis zum Vertrieb von Energie oder energienaher Dienstleistungen (PricewaterhouseCoopers GmbH, 2017, S. 4). Die Rahmenbedingungen und Regelungen des Marktes werden durch den deutschen Staat geschaffen sowie deren Einhaltung durch die Bundesnetzagentur kontrolliert (Schiffer, 2019, S. 12). Die sich aus dieser Regulierung ergebenen Geschäftsprozesse sind zu einem hohen Maße standardisiert. Dies zeigt das Beispiel der Stromversorgung. Alle zur Belieferung von Endkunden nötigen Geschäftsprozesse sind in den Regelungen der „Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität“ (GPKE) festgelegt. Aufgrund dieser Vorgaben und dem hohen Maß an Standardisierung der Prozesse, wird häufig Robotic Process Automation (RPA) zur Automatisierung der Geschäfts- prozesse eingesetzt. RPA stellt eine Technologie zur softwarebasierten Automa- tisierung von digitalisierten Geschäftsprozessen und Aufgaben dar (Scheer, 2020, S. 118). Die Technologie simuliert menschliche Interaktionen und kann die Benutzer- oberfläche, der zu automatisierenden Software nutzen (Langmann & Turi, 2020, S. 5). So ist es möglich einen Prozess, der beispielsweise eine Browseranwendung sowie eine SAP-Anwendung nutzt zu automatisieren, ohne die beiden Anwendungen zu verändern. Die jeweiligen Prozesse können vollständig oder teilweise automatisiert werden (Smeets, Erhard, & Kaußler, 2019, S. 8). Ziel des RPA-Einsatzes ist es, die manuellen Aufwände innerhalb der automati- sierten Prozesse weitestgehend zu reduzieren, wodurch Kosten gesenkt und die Geschwindigkeit der Abarbeitung erhöht werden (PricewaterhouseCoopers GmbH, 2020, S. 15ff.). Zusätzlich soll dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden, in dem standardisierte Tätigkeiten durch einen Softwareroboter übernommen werden (PricewaterhouseCoopers GmbH, 2020, S. 21). Zur Einführung von RPA sind folglich Veränderungen in den Prozessabläufen und dem Alltag der Mitarbeiter, der jeweiligen Abteilung, notwendig. Das Durchführen von 58

Veränderung ist dabei Teil des Change-Managements (Kroehl, 2015, S. 15ff.). Change-Management verfolgt das Ziel, den durchzuführenden Wandel zu steuern (Kroehl, 2015, S. 15ff.). Ein wichtiger Faktor des Veränderungsmanagements ist in der Literatur, die Akzeptanz der Veränderung, in diesem Fall, die Akzeptanz von RPA. Dies beschreiben sowohl Lewin, in seinem 3-Phasen-Modell, als auch Kotter, in seinem 8-Phasen-Modell, als einen der wichtigsten Faktoren für einen erfolgreichen Wandel. 2. Methode Zur Erhebung der nachfolgend aufbereiteten Daten wurden 16 Führungskräfte von deutschen Energieversorgern befragt. Bei den Befragten Führungskräften handelt es sich um Abteilungsleiter von Fachbereichen, die im direkten Kontakt mit den Endkunden der Energieversorger stehen und in denen bereits Prozesse mit Hilfe von RPA automatisiert wurden. Diese wurden im Hinblick auf die Akzeptanz von RPA innerhalb ihres Fachbereichs befragt. So sollten die Führungskräfte auf einer Skala von eins bis zehn bewerten, wie hoch die Akzeptanz von RPA innerhalb des, durch sie geführten Fachbereichs, ist. Eins bezeichnet dabei die niedrigste Akzeptanz, die mit einer Ablehnung des Themas gleichzusetzen ist. Zehn stellt das höchste Maß an Akzeptanz dar, was einer vollständigen Akzeptanz des Themas im Fachbereich entspricht. Zudem wurde nach der Anzahl der bereits automatisierten Prozesse mit RPA gefragt. Diese Ergebnisse wurden in drei Kategorien unterteilt. Die erste Kategorie stellt die Fachbereiche dar, die über ein bis drei automatisierte Prozesse verfügen. Die zweite Kategorie zeigt Fachbereiche, innerhalb derer mehr als drei und bis maximal zehn Prozesse mit RPA automatisiert wurden. Die dritte Kategorie stellt die Fachbereiche dar, die über mehr als zehn automatisierte Prozesse verfügen. 59

Die Befragungen wurden mithilfe von Videokonferenzen im April 2023 durchgeführt. Maß der Akzeptanz in Ihrem Fachbereich für die Automatisierung von Prozessen mit RPA Maß der Akzeptanz Anzahl 1 2 3 4 3 5 1 6 3 7 5 8 1 9 2 10 1 Tab. 1: Maß der Akzeptanz in Ihrem Fachbereich für die Automatisierung von Prozessen mit RPA (Quelle: Eigene Darstellung) Anzahl der mit RPA automatisierten Prozesse innerhalb des Fachbereichs Anzahl automatisierter Prozesse Anzahl 1 - 3 4 >3 - 10 7 >10 5 Tab. 2: Anzahl der mit RPA automatisierten Prozesse innerhalb des Fachbereichs (Quelle: Eigene Darstellung) Maß der Akzeptanz in Ihrem Fachbereich für die Automatisierung von Prozessen mit RPA nach Anzahl automatisierter Prozesse Anzahl automatisierter Prozesse 1 - 3 >3 - 10 >10 Maß der Akzeptanz 1 2 3 4 2 1 5 1 6 2 1 7 3 2 8 1 9 1 1 10 1 Tab. 1: Maß der Akzeptanz in Ihrem Fachbereich für die Automatisierung von Prozessen mit RPA nach Anzahl automatisierter Prozesse (Quelle: Eigene Darstellung) 60

3. Ergebnis / Erkenntnis Die Befragung zeigt, dass innerhalb der Fachbereiche, in denen RPA eingeführt wurde, eine hohe Akzeptanz für das Thema vorliegt. So hat keine Führungskraft die Akzeptanz der Technologie mit einem Wert von eins bis drei bewertet. Die niedrigste Bewertung bestand aus einem Maß der Akzeptanz von vier. Eine klare Ablehnung des Themas liegt folglich in keinem der betrachteten Fachbereiche vor. Die Akzeptanz liegt in einem Maß von vier bis zur maximal positiven Ausprägung von zehn. Es ist auffällig, dass 75 Prozent der Führungskräfte die Akzeptanz innerhalb ihres Fachbereichs zwischen vier und sieben Punkten einschätzen. Dies zeigt, dass keine Ablehnung vorliegt, jedoch Potenzial zur Steigerung der Akzeptanz von RPA in einem Großteil der Fachbereiche vorliegt. Die betrachteten Fachbereiche setzen RPA unterschiedlich stark ein. So wurde in vier Fachbereichen mindestens ein aber maximal drei Prozesse automatisiert. Wohingegen in sieben Fachbereichen mehr als drei bis maximal zehn Prozesse mit RPA automatisiert wurden. In fünf der betrachteten Fachbereiche wurden bereits mehr als zehn Prozesse automatisiert. Die Zufriedenheit der Fachbereiche, die ein bis drei Prozesse automatisiert haben, ist dabei auffällig niedrig. Diese bilden zu 50 Prozent die Fachbereiche mit dem niedrigsten Wert von vier. Zudem ist das Maximum des Maßes an Akzeptanz mit dem Wert von sechs wesentlich niedriger als bei den beiden anderen Gruppen. Die Fachbereiche die bereits mehr als drei Prozesse mit RPA automatisiert haben, bilden die größte Gruppe dieser Befragung. Das Maß der Akzeptanz für RPA bei dieser Gruppe liegt, bis auf zwei Ausnahmen, über dem Wert von fünf. Ein Zusammenhang zwischen der Anzahl an automatisierten Prozessen und dem Maß der Zufriedenheit des Fachbereichs ist somit erkennbar. Die Akzeptanz steigt zunächst mit der Anzahl der umgesetzten Prozesse. Ab einer bestimmten Menge der Prozesse steigt die Akzeptanz nicht mehr oder nur noch wenig. Die genaue Prozessanzahl ist jedoch, auf Grundlage dieser Befragung, nicht ermittelbar. Es ist festzustellen, dass RPA ein hohes Maß der Akzeptanz innerhalb der Fachbereiche besitzt, in denen diese Technologie eingesetzt wird. Zudem steigt das Maß der Akzeptanz mit der Anzahl der automatisierten Prozesse. 61

Mit einer weiteren Untersuchung kann die Frage nach Hemmnissen der Akzeptanz durch die Fachbereiche herausgestellt werden. Auf dieser Basis könnten dann Verbesserungsmöglichkeiten erarbeitet werden, die zu einem höheren Maß der Akzeptanz führen. Hier wäre es ebenfalls sinnvoll, die Führungskräfte, die ein Maß der Akzeptanz für ihren Fachbereich von mehr als acht und weniger als fünf, angegeben haben, zu befragen und die Unterschiede der angewendeten Methoden zu ermitteln. 4. Literaturverzeichnis BDEW Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft e.V. (2020). Energiemarkt Deutschland 2020. Bonn: wvgw Wirtschafts- und Verlagsgesellschaft Gas und Wasser mbH. Kroehl, R. R. (2015). Change Management : Veränderungsinitiativen erfolgreich steuern. Konstanz und München: UVK Verlagsgesellschaft mbH. PricewaterhouseCoopers GmbH. (2017). Herausforderungen der Zukunft in der Energieversorgung meistern. PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. PricewaterhouseCoopers GmbH. (2020). Robotic Process Automation /RPA) in der DACH-Region. PricewaterhouseCoopers GmbH. Scheer, A.-W. (2020). Unternehmung 4.0. Wiesbaden: Springer Vieweg. Schiffer, H.-W. (2019). Energiemarkt Deutschland. Wiesbaden: Springer FachmedienWiesbaden GmbH. Smeets, M., Erhard, R. & Kaußler, T. (2019) Robotic Process Automation (RPA) in der Finanzwirtschaft. Wiesbaden: Springer Gabler. 62

Wiener Universitäre Schriften Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 Ausgabe Sommer 2023 „Der Einfluss von digitalen Empfehlungsmechanismen auf „Der Einfluss von digitalen Empfehlungsmechanismen auf Nutzer von online Medienangeboten“ Nutzer von online Medienangeboten“ L. Hey1 L. Hey1 University of Library Studies and Information Technologies, Sofia University of Library Studies and Information Technologies, Sofia Keywords: Filter Bubble, Echo Chambers, Social Media, Digitale Personalisierung, Social Bots, Recommender Systems, Empfehlungsmechanismen. Keywords: Filter Bubble, Echo Chambers, Social Media, Digitale Personalisierung, Social Bots, Recommender Systems, Empfehlungsmechanismen. ABSTRACT ABSTRACT Mit der zunehmenden Digitalisierung in fast allen Bereichen des täglichen Lebens kommt der Personalisierung von online Diensten Mit der zunehmenden Digitalisierung in fast allen Bereichen des durch Empfehlungsmechanismen eine besondere Bedeutung zu. täglichen Lebens kommt der Personalisierung von online Diensten durch Empfehlungsmechanismen eine besondere Bedeutung zu. Letztere erweisen sich in der Praxis als besonders einflussreich auf die Gewohnheiten und Meinungsbildung von Internet-Nutzern. Obwohl die Entwicklung dieser Algorithmen ursprünglich nutzer- freundliche Intentionen hatte, wird in der aktuellen Ausgestaltung dieser immer mehr die Problematik derselben deutlich. Manipulation, Polarisation extremer Meinungen und eine Segregation der Gesellschaft sind nur einige Risiken dieser Technologien. Letztere erweisen sich in der Praxis als besonders einflussreich auf die Gewohnheiten und Meinungsbildung von Internet-Nutzern. Obwohl die Entwicklung dieser Algorithmen ursprünglich nutzer- freundliche Intentionen hatte, wird in der aktuellen Ausgestaltung dieser immer mehr die Problematik derselben deutlich. Manipulation, Polarisation extremer Meinungen und eine Segregation der Gesellschaft sind nur einige Risiken dieser Technologien. In dieser Arbeit werden daher die Ausprägungen, Folgen und Lösungen für die zwei Effekte dieser Mechanismen analysiert, nämlich der "filter bubble"- Effekt und die "echo chambers". In dieser Arbeit werden daher die Ausprägungen, Folgen und Lösungen für die zwei Effekte dieser Mechanismen analysiert, nämlich der "filter bubble"- Effekt und die "echo chambers". 1 Louise Hey; DE-22345 Hamburg,Postfach 670540; louise.hey@web.de 1 Louise Hey; DE-22345 Hamburg,Postfach 670540; louise.hey@web.de Seite 1 65

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 1. Einführung Durch die Digitalisierung und die zunehmende Relevanz sozialer Netzwerke und online Medien werden Empfehlungsmechanismen und die Personalisierung der Inhalte immer wichtiger, um Überforderung von Nutzern des Internets zu vermeiden (Burbach et al., 2019, S.441-456). Durch diese Filter-Mechanismen wird zwar die kognitive Last der Nutzer verringert, jedoch besteht auch die Gefahr von filter bubbles und der Entstehung von echo chambers. Beide engen die Menge von Informationen ein, welche den Nutzern präsentiert wird. So kann es geschehen, dass zwei Menschen dasselbe in einer online Suchmaschine eingeben und beide ein unterschiedliches Ergebnis erhalten, wie Pariser (2011) analysiert. Das führt zur Entstehung von Sub-Wahrheiten, welche durch die selektive Auswahl von Informationen, basierend auf den Präferenzen der Nutzer von online Diensten, begünstigt werden. Problematisch ist dies, da sich die Nutzer dieser Verzerrung der Informationsdarstellung nicht bewusst sind und letztere als Gesamtbild wahrnehmen, obwohl sie lediglich einen Ausschnitt der verfügbaren Informationen gezeigt bekommen. Genau das ist grundlegend für die Entstehung von filter bubbles, wie Ford (2012) in einem Selbst-Experiment bestätigt. Echo chambers entstehen aus der Existenz von filter bubbles und der Tendenz von Menschen, sich eher mit Gleichgesinnten zu umgeben als mit Menschen konträrer Auffassungen, was mit Homophilie bezeichnet wird. Hieraus ergeben sich Probleme sowohl auf individueller als auch auf sozialer und gesellschaftlicher Ebene, wie beispielsweise die Polarisierung und Segmentierung der Gesellschaft. Diese Bildung extremer Meinungen und Ansichten auf der Basis unvollständiger und verzerrter Informationen aus gefilterten online Quellen ist so stark ausgeprägt, da die Nutzer sich der Manipulation nicht bewusst sind, wie Dahlgren (2021) findet. Um selbst aus der filter bubble zu entkommen, müssen die Nutzer verstehen, dass sie sich bereits in einer filter bubble befinden. Dies jedoch bei der aktuellen Konstruktion der Empfehlungsmechanismen per design nicht möglich. Daher werden im Laufe dieser Arbeit mehrere Lösungsansätze präsentiert, welche der realistischeren Darstellung von Informationen und Inhalten in online Medien dienen sollen, da digitale Medien im Rahmen des Fortschreitens der Digitalisierung zukünftig weiter an Bedeutung für das Leben und die Gewohnheiten aller Menschen gewinnen werden. ist 66 Seite 2

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 2. Der Einfluss von digitalen Empfehlungsmechanismen auf Konsumenten 2.1 Die Ausgestaltung der Empfehlungsmechanismen in digitalen Medien Der Einsatz sogenannter "recommender systems" (Miranda Veloso, 2019, S.255) oder auch Empfehlungsmechanismen in online Medien dient ursprünglich der Vereinfachung der Nutzung dieser Medien durch die Konsumenten. Dies scheint vor allem durch die schnelle Dynamik dieser Medien angebracht. So sind Inhalte in Echtzeit verfügbar, können jedoch auch von einer Minute auf die Nächste nicht mehr verfügbar sein. Wie Grossetti et al. (2019) beschreiben, kann es jedoch durch genau diese Form der Empfehlungen und die durch sie bedingte Beschneidung der in sozialen Medien und Suchmaschinen angezeigten Informationen zu kleinen "Sub- Wahrheiten" kommen, in denen die Nutzer lediglich vorausgewählte und bestimmte Inhalte angezeigt bekommen, welche gemäß dem Algorithmus ihren Präferenzen entsprechen. Der ökonomische Sinn hinter diesem Vorgehen liegt in der Steigerung der Kundenzufriedenheit mit dem angebotenen online Service zwecks Erhöhung der Kundenbindung und letztendlich der Steigerung des Unternehmenswertes des Anbieters des jeweiligen online Service. Je höher die Personalisierungsstufe digitaler Produkten, desto unwahrscheinlicher ist es aufgrund der sehr hohen indirekten Wechselkosten, die durch den Grad der Personalisierung entstanden sind, dass Kunden das Produkt nicht mehr benutzen oder die Plattform wechseln. Die Blasen, welche durch die Personalisierung der angezeigten Inhalte entstehen, werden in der Literatur auch "filter bubbles" (Moeller&Helberger, 2018, S.2) genannt. Dabei hängt die Ausgestaltung einer filter bubble von den jeweiligen Präferenzen der Nutzer ab. Als problematisch in diesem Zusammenhang ist vor allem zu erwähnen, dass sich die Nutzer nicht bewusst sind, sich in einer solchen gefilterten Informations- umgebung zu befinden. Es ergibt sich durchaus ein Unterschied für die eigene Meinungsbildung, wenn Menschen davon ausgehen, dass sie allumfassend informiert sind, als wenn sie wissen, dass sie nicht über alle Facetten eines Themas informiert sind. Diese Verzerrung der Wahrnehmung und die daraus resultierenden Folgen werden in Kapitel 2.2 beleuchtet. Neben den filter bubbles, entstehen in digitalen Foren wie sozialen Medien sogenannte "echo chambers" (Ross Arguedas et 67 Seite 3

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 al., 2022, S.6), welche fälschlicherweise oftmals mit filter bubbles gleichgesetzt werden. Grundlegend hierbei ist die Tendenz von Menschen zur Homophilie. Dies bedeutet, dass Menschen eher dazu tendieren, sich mit Menschen der gleichen Meinung und den gleichen Ansichten zu umgeben, als mit Menschen anderer Meinungen. Gerade im Umfeld digitaler Plattformen und sozialer Medien ist dies insofern erleichtert, als dass sich schneller mehr Menschen der eigenen Meinung finden lassen und sich ohne gesellschaftliche oder geografische Grenzen vernetzt werden kann. Es entstehen homogene Gruppen unterschiedlicher Größen, welche lediglich Menschen ähnlicher Ansichten umfassen. Wenn sich die Mitglieder solcher Gruppen dann austauschen, wird die eigene Meinung in gewissem Sinn als "Echo" von den anderen Gruppenmitgliedern bestätigt und bekräftigt. Dies kann jedoch, kombiniert mit einer Informationsgewinnung aus infolge der filter bubble selektierten online Quellen, zu einer Verstärkung und Radikalisierung einer von vorne herein verzerrten und nicht der Wahrheit entsprechenden Meinung führen. Allerdings ist zu erwähnen, dass diese echo chambers nicht nur weniger verbreitet sind als oftmals angenommen (Ross Arguedas et al., 2022, S.5), sondern auch, dass sie nicht nur ein Problem in online Medien sind. So ist das Verhalten von Menschen, sich mit Gleichgesinnten zu umgeben, seit Generationen auch in der realen Welt, also offline, zu beobachten. Nach Geschke et al. (2019) werden grundsätzlich drei verschiedene Formen von Empfehlungsmechanismen unterschieden. "Collaborative filtering" bedeutet die Empfehlung von Inhalten aufgrund der positiven Bewertung oder des Konsums dieser Inhalte durch als ähnlich eingestufte (oder einem ähnlichen Cluster ange- hörige) Nutzer. "Content-based filtering" bezeichnet die Empfehlung von Inhalten auf der Basis von bisher durch den Nutzer selbst konsumierten oder als positiv bewer- teten Inhalten. Die Kombination beider Ansätze wird dann "hybrid recommender systems" genannt und stellt die dritte Form von Empfehlungs-mechanismen dar. Allen drei Formen der Empfehlungsmechanismen ist allerdings eine eventuelle Beschneidung der gesamten Wahrheit durch eine Beschneidung der konsumierten Inhalte, oder auch sogenannte Filter gemein. Diese sind grundlegend für die Entstehung von filter bubbles durch Empfehlungsmechanismen, welche nicht zu dem primären Zweck entwickelt wurden, dem Nutzer das bestmögliche Erlebnis zu ermöglichen und somit aus sozialer und ethischer Sicht nicht als optimal einzustufen 68 Seite 4

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 sind. Es werden mehrere Arten solcher Filter unterschieden. Filter auf individueller Ebene sorgen dafür, dass einem gewissen Nutzer durch Vorauswahl der ange- zeigten Inhalte nicht die gesamte Menge an Informationen und Inhalten angezeigt wird. Dadurch entsteht dann der sogenannte "confirmation bias" (Geschke et al., 2019, S.132), welcher zu weiterer Verstärkung der bereits bestehenden Meinungen und Ansichten führt, ob diese nun der Wahrheit entsprechen oder nicht. Filter auf sozialer Ebene bedeutet die durch echo chambers und Homophilie begünstigte Formierung homogener Gruppen, welche aus Nutzern bestehen, die sich in ihren Meinungen und Ansichten gleichen. Diese starke Gruppenidentität, welche auf den Gemeinsamkeiten der gleichen filter bubble und limitierten Informationen gründet, kann langfristig auch zu einem Problem für die Gesellschaft und vor allem auch für den politischen Diskurs einer Demokratie werden. Sichtbar werden die Auswirkungen dieses Filters vor allem in der steigenden Polarisation einer Gesellschaft. Es bestehen jedoch Unterschiede in der Ausgestaltung und den Problematiken bestimmter Filter, welche sich zwischen den verschiedenen Demokratieformen unter- scheiden. Wie Bozdag & van den Hoven (2015) analysieren, gleicht nämlich nicht jede Demokratie den anderen, weswegen sich auch keine Allgemeingültigkeit im Umgang mit Empfehlungsmechanismen feststellen lässt. Als technologische Filter werden lediglich alle die Formen von Algorithmen in bezeichnet, welche als Empfehlungsmechanismen eingesetzt werden, um digitalen Medien die Informationspräsentation zu personalisieren. 2.2 Folgen für die Konsumenten Aus der Existenz verschiedener Empfehlungsmechanismen ergeben sich teilweise weitreichende Folgen, nicht nur für die Gestaltung von online Medien, sondern auch für reale Situationen abseits dieses digitalen Bereichs. Eine dieser Folgen ist die Polarisation von Meinungen durch echo chambers (Ross Arguedas et al., 2022, S.4- 31). Dies resultiert in einer zunehmenden Radikalisierung und Verstärkung der Extremität von Meinungen und Ansichten innerhalb dieser homogenen Gruppen, welche nicht nur in online, sondern auch in offline Umgebungen zutage treten. Dabei werden diese Meinungen und Einstellungen dadurch weiter gefestigt, dass die Mitglieder dieser echo chambers, aufgrund des filter bubble Effekts von der universalen Richtigkeit ihrer Ansichten ausgehen. Dies führt zu einer Herab- 69 Seite 5

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 würdigung und Negierung anderer Meinungen, sollten diese in offline Situationen an sie herangetragen werden. Ansichten, welche auf solche Art entstehen, sind nicht nur schwer zu beeinflussen, sondern eventuell auch hinsichtlich ihrer Korrektheit eingeschränkt, da sie auf fragmentierten Darstellungen der Realität und nicht auf der Gesamtheit an Information beruhen, welche im Internet verfügbar ist. Vielmehr "gewöhnen" sich die Nutzer an die Desinformation und glauben dieser mehr als den anderen Medienformen, welche als weniger vertrauenswürdig angesehen werden, wenn sie nicht die selbst (verzerrte) Darstellung präsentieren wie die personalisierten online Medien. Somit wird auch langfristig keine Meinungsänderung oder Horizont- erweiterung für solche Nutzer möglich sein und es kommt zu einer Manifestation der filter bubble in den Denkweisen der Nutzer, wie Tredinnick& Laybats (2019) schließen. Zudem kann es mit zunehmender Polarisierung und Entstehung von starken und konträren Meinungs-"Lagern" zu einer Fragmentierung der "public sphere" (Moeller&Helberger, 2018, S.4) kommen. Dabei verschwimmt bei Mitgliedern der homogenen Gruppen der filter-bubble-induzierten echo chambers die Grenze zwischen der Wahrheit und der eigenen Wahrnehmung. Es entstehen kleine Sub- Populationen innerhalb einer Gesellschaft, deren Mitglieder nicht nur die Thematiken, welche die Gesamtgesellschaft bestreffen nicht kennen, sondern diese auch nicht für relevant halten würden, da sie ausschließlich mit Mitgliedern ihrer eigenen homogenen Sub-Population interagieren. Durch diese Abgrenzung ist nicht nur der für die Demokratie wichtige Diskurs und die Konversation zwischen verschiedenen Parteien und Meinungsgruppen gefährdet, sondern langfristig auch die Stabilität der Gesellschaft an sich. Desweiteren ergibt sich potentiell eine Weiterung der "knowledge gap" (Moeller&Helberger, 2018, S.5), welche sich zwischen den Mitgliedern der älteren und denen der jüngeren Generationen auftun kann. Es wird davon ausgegangen, dass soziale Medien insbesondere für den Konsum von Nachrichten in den kommenden Jahren eine immer größere Rolle spielen werden. Da die Nutzer dieser Netzwerke jedoch eher jünger sind, kann es zu einer Wissenslücke bei älteren Menschen kommen. Letztere müssten sich dann auf die traditionellen Medien verlassen, welche in den Zeiten der Entwicklung digitaler Angebote und der Veränderung der Nachfragestruktur hin zu digitalen Angeboten vor enormen Heraus- 70 Seite 6

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 forderungen am Markt stehen. Das Abschneiden einer bestimmten Bevölkerungs- gruppe von Informationen und Nachrichten oder die Begrenzung ihres Zugangs zu Informationen und Nachrichten kann weder ethisch noch wirtschaftlich als vorteilhaft angesehen werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Überalterung, welcher viele westliche Gesellschaften gegenüberstehen. Nach Flaxman et al. (2013) ist somit davon auszugehen, dass die Problematik von Empfehlungsmechanismen wie wir sie heute kennen, in der Zukunft an Relevanz weiter zunehmen wird, wenn die zukünftigen Generationen ihr Leben noch stärker an digitalen Medien und online Dienten ausrichten und diese Personalisierung für ihr tägliches Leben nutzen. Auch die Verbreitung von "fake news" (Tredinnick&Laybats, 2019, S.92) ist gerade in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. Sie ist insbesondere für Demokratie und Wahlen ein Problem und stellt sich als machtvolles Instrument in der Politik heraus. Letztlich kann es zu einer Verstärkung von Cybermobbing und Hass kommen. Dies geschieht aufgrund der nur ausschnittweisen Präsentation von Informationen über gewisse Themen basierend auf der Personalisierung von online Diensten. Menschen, die sich also in den filter bubbles befinden und Gleichgesinnte in echo chambers finden, verstärken ihre teilweise fälschlich gefassten Annahmen aufgrund von Missinformation oder nicht umfassender Information. Durch diese Radikali- sierung, welche schwer zu mindern oder aufzuhalten ist, solange sich Menschen unwissentlich in der filter bubble befinden, werden Ausprägungen des Cyber- mobbings und der Hetze gegen vermeintlich gegensätzliche Gruppen oder Individuen, auch in offline Bereiche des realen Lebens übertragen. Dies bewertet Rohmatul Hidayah (2018) als Problematik, welche den eigentlichen Wirkungsraum der Empfehlungsmechanismen, nämlich online Medien und Plattformen, überschreitet und damit zu einem Problem des realen gesellschaftlichen Zusammen- lebens werden kann. Dabei spielt auch die "selective exposure theory" von Frey (1986) eine zentrale Rolle, welche besagt, dass Menschen eher Informationen aufnehmen, welche ihren bereits geformten Meinungen entsprechen, als solche, welche diesen entgegenstehen. Als Beispiel für eine einseitige und unvollständige Berichterstattung und Informationskultur in online Medien ist das Konfliktthema der Flüchtlingspolitik in Deutschland seit 2015 zu nennen, welches zu einer deutlichen 71 Seite 7

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 Polarisation und Segregation in der Gesellschaft und in den online Medien geführt hat, wie Mertens et al. (2019) analysieren. 2.3 Lösungsansätze für eine realistischere Gestaltung digitaler Medien Informationsdarstellung Um die beschriebenen Folgen zu vermeiden, werden verschiedene Lösungsansätze vorgeschlagen, welche eine realistischere in digitalen Medien ermöglichen. Die grundsätzliche Möglichkeit für Nutzer von online Medien, sich zumindest den echo chambers zu entziehen, ist die Auseinandersetzung mit konträren Standpunkten und Informationen, welche nicht den eigenen Meinungen und Ansichten entsprechen. Dies führt dann zu einer Erweiterung des Horizontes, indem nun beide Seiten einer Debatte beleuchtet werden (Flaxman et al., 2016, S. 298-320). Allerdings bedeutet dies nicht, dass eventuell fälschlich gefasste Meinungen per se revidiert werden. Letzterem steht vor allem die filter bubble in digitalen Medien entgegen. Denn diese verhindern gerade, dass Informationen die nicht mit den bereits offenbarten Präferenzen des Nutzers übereinstimmen, gezeigt werden. Somit fungiert die filter bubble sogar als Verstärker des echo chamber Effekts (Grossetti et al., 2019, S.217). Da aufgrund der Menge der verfügbaren Informationen im Internet, Empfehlungs- mechanismen grundsätzlich hilfreich dabei sind, eine Überforderung bei Konsumen- ten zu verhindern, ist die Abschaffung dieser Algorithmen als dauerhafte Lösung nicht als sinnvoll anzusehen. Vielmehr ergäbe es Sinn, andere Ausgestaltungs- formen dieser Mechanismen zu beleuchten, um zu realistischeren Informations- Darstellungsformen zu gelangen. Eine dieser Lösungsmöglichkeiten ist das sogenannte "Community Aware Model (CAM)" (Grossetti et al., 2019, S.219). und beinhaltet "Community-based Recommendations" (Grossetti et al., 2019, S.212) die zusätzlich zu bestehenden Empfehlungsmechanismen eingesetzt werden. Die Idee ist, dass die Empfehlungen aus diesen Systemen, welche aufgrund von Perso- nalisierung entstehen, nach ihr gerankt werden, sodass auch Inhalte, welche von den eigentlichen Empfehlungsmechanismen als nicht passend eingestuft wurden, dem Nutzer gezeigt werden. In Folge dessen werden dem Nutzer auch Inhalte außerhalb der filter bubble präsentiert, welche dadurch in der Konsequenz geschwächt wird, ohne aber die Vorteile einer vorgefilterten Auswahl zu beschneiden. 72 Seite 8

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 Allerdings ist es wichtig zu bemerken, dass die Präsentation von nicht den eignen Präferenzen entsprechenden Inhalten nicht von allen Nutzern als positiv aufge- nommen wird. So kann es beispielsweise sein, dass sich Konsumenten zwar nicht bewusst sind, sich in einer filter bubble zu befinden, jedoch auch nicht versuchen, dies zu ändern, wenn es Ihnen bewusst gemacht wird. In diesem Fall steht die Vorteilhaftigkeit der Vorauswahl gemäß den eigenen Präferenzen über dem Nutzen eines ganzheitlichen Informationszugangs. Wie Matt et al. (2014) analysieren, ergibt sich somit eine Art Balance zwischen der Neuheit von Informationen und ihrer Anpassung an die Präferenzen eines Nutzers, um dessen Zufriedenheit so hoch wie möglich zu halten. An oberster Stelle steht dabei die Vertrauenswürdigkeit der Informationen und der Art ihrer Präsentation aus der Sicht der Nutzer, um diese als Kunden des eigenen Services zu erhalten. Eine weitere Lösungsmöglichkeit ist die Implementierung von sogenannten "cross- domain recommendations" (Sun et al., 2021, S.2). Diese behalten dieselbe Präzision in der Übereinstimmung der Empfehlungen mit den Präferenzen des Nutzers, jedoch beinhalten sie auch eine Diversität der vorgeschlagenen Inhalte, welche bei tradi- tionellen Empfehlungsmechanismen nicht gegeben ist. Somit wird die Polarisation abgeschwächt und der Effekt der filter bubble gemindert. Unter gesellschaftlichen und ethischen Gründen ist es allerdings auch sinnvoll, über die Implementierung der sogenannten "serendipity" (Matt et al. ,2014, S.4) zu sprechen. Diese meint frei übersetzt den "glücklichen Zufall". Innerhalb einer filter bubble, ist es den Nutzern von digitalen Medien nicht möglich, Inhalte, welche nicht ihren bisher offenbarten Präferenzen entsprechen, zu konsumieren. Um die zuvor analysierten Folgen abzumildern, können zufällige Empfehlungen "eingestreut" werden, welche nichts mit den eigentlichen Präferenzen zu tun haben. Hier besteht zwar die Gefahr, dass das Vertrauen der Kunden in den Service geschmälert wird, falls sie die Neuheit nicht als positiv bewerten, mit der Folge, dass ihre ursprünglichen Präferenzen verstärkt werden. Die Nutzer haben sich über die Jahre an die Empfehlungsmechanismen gewöhnt, was dazu geführt hat, dass eine gewisse Trägheit, aktiv nach neuen Informationen oder Produkten zu suchen, eingesetzt hat. Wie Maccatrozzo (2012) analysiert, liegt es somit auch an der Nachfrage nach ungefilterten Informationen, weshalb die Empfehlungsmechanismen und die 73 Seite 9

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 Personalisierung in online Diensten wie Amazon, Netflix oder sozialen Netzwerken so weit verbreitet ist. Die Einführung von "reinforcement learning" Systemen löst das Problem der Präzision der Empfehlungen, welche bei der Serendipity-Lösung als gering einzuschätzen ist, auf effektive Art und Weise. Hier wird, nach Li et al. (2023), eine mindestens als gleichwertig einzustufenden Präzision der Empfehlungen wie bei traditionellen Empfehlungsmechanismen erreicht, allerdings ohne Nutzer in filter bubbles zu leiten. Dies wird erreicht durch die teilweise Kontrolle der Nutzer über die gezeigten Inhalte. Der Algorithmus verbindet dabei Knoten zwischen der Gruppe von Inhalten, welche aufgrund der bereits offenbarten Präferenzen eines Nutzers sehr wahrscheinlich von diesem präferiert werden und der Gruppe von Inhalten, welche für diesen Nutzer neu sind. Dies ist vor allem auf Short-Video Plattformen wie TikTok eine beliebte Methode, um die filter bubble zu umgehen. Nutzer bekommen in ihrem Feed immer wieder bestimmten Videos angezeigt, welche nicht direkt Ihren Präferenzen entsprechen. Durch die Vernetzung dieser Knoten entsteht automatisch eine größere Quelle von Informationen, welche dem Nutzer nur Verfügung stehen und seine Präferenzen erweitern können. Allerdings gibt es für dieses Risiko in bestehender Forschung wenig Indikation. Jedoch gibt es auch die Chance, dass Kunden ihre Präferenzen überdenken oder den Horizont erweitern. Dies ist gerade vor dem Hintergrund wahrscheinlich, dass sich Präferenzen im Laufe eines Lebens verändern oder an unterschiedliche Lebensbedingungen anpassen. Somit würde die filter bubble abgeschwächt. Für diese Entwicklung wurde das "Recommender System[...] of Self-Actualization" (Knijnenburg et al., 2016, S.11) geschaffen, welches das Ziel verfolgt, den Nutzern zwar die ihren Präferenzen entsprechend besten Informationen zu zeigen, es jedoch den Nutzern auch ermöglicht, ihre eigenen Präferenzen, Ansichten und Geschmack weiterzuentwickeln, zu verstehen und auszudrücken. So wird ein Wandel und die dynamische Berücksichtigung von Präferenzstrukturen über die Zeit berücksichtigt und die Entstehung einer filter bubble unterbunden. Auch die Nutzung von künstlicher Intelligenz in Form von "social bots" (Min et al. 2019, S.10) ist eine Lösungsmöglichkeit. Diese simulieren menschliches Verhalten in online Netzwerken, welches jedoch kontrollierbar ist, und neutralisieren durch ihr Verhalten in Chat Räumen die Polarisation von Meinungen und radikalen Gruppen, 74 Seite 10

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 die diese vertreten. Wichtig dabei ist, dass die social bots das menschliche Verhalten so perfekt imitieren, dass die Nutzer nicht auf die Idee kommen, es handele sich nicht um einen Menschen, da ansonsten das Vertrauen in das Gegenüber und dessen Überzeugungskraft hin zu weniger radikalen Einstellungen, verhindert wird. Es ist in diesem Zusammenhang jedoch zu bemerken, dass der Einsatz von Künstlicher Intelligenz an sich auch Risiken birgt, welche Graham& Ackland (2017) näher beleuchten. Desweiteren kann dies ebenfalls ein Auslöser dafür sein, dass bestimmte Kunden sich der filter bubble bewusst werden und ihren Internetkonsum entsprechend anpassen, um Verzerrungen und unbemerkter Beeinflussung zu entgehen. Letzteres wäre zwar sowohl gesellschaftlich als auch ethisch wünschenswert, jedoch im umkämpften Markt der online Dienste zumindest aktuell eher als unrealistisch einzuschätzen. 3. Ergebnis / Erkenntnis Abschließend ist festzuhalten, dass trotz aller Lösungsansätze für eine realistischere und universale Darstellung aller Informationen, welche für eine umfassende und fundierte Meinungsbildung in den online Medien notwendig sind, die Bereitschaft der Nutzer, diese Informationen auch zu konsumieren, ausschlaggebend für den Erfolg dieser Maßnahmen ist. So zeigen Kitchens et al. (2020), dass durchaus die Möglichkeit besteht, dass Menschen sich, teilweise wider besseren Wissens, lieber weiter in der echo chamber aufhalten und dem filter bubble Effekt ausgesetzt bleiben, als sich mit konträren Meinungen und Informationen zu beschäftigen. Sie nehmen somit in Kauf, verzerrte Meinungen zu vertreten, welche möglicherweise nicht der Wahrheit entsprechen, nur um den Aufwand der Recherche und neuer Meinungsbildung nicht auf sich nehmen zu müssen. Damit die vorgeschlagenen Lösungsansätze Erfolg haben können, ist also nicht ihre technische Umsetzung oder die wirtschaftliche oder politische Unterstützung derselben ausschlaggebend, sondern allein die Akzeptanz und Nutzung dieser Mechanismen um den filter bubble Effekt und die echo chambers zu eliminieren. Dies spiegelt sich auch in dem Einfluss von sogenannten "weak ties" (Min&Wohn, 2020, S.23) auf die Ausprägung der filter bubble wieder. Weak ties bestehen zu Menschen, welche ideologisch und emotional weiter von Nutzern entfernt sind. Dies 75 Seite 11

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 ist darin begründet, dass durch die Homophilie strong ties eher zu Menschen derselben Ansichten mit deutlicheren Gemeinsamkeiten entstehen. Stimmt die Meinung zweier weak-tie-verbundener Menschen nicht überein, hat dies stärkeres Gewicht in der Beeinflussung von Meinungen und Ansichten, als es die Bestätigung der Ansichten durch strong-tie-Verbindungen haben kann. Solche Verbindungen sind somit essentiell in der Bekämpfung von echo chambers und damit auch filter bubbles, da menschliche Kommunikation und die Bereitschaft zu dieser einen stärkeren Einfluss auf das Verhalten und die Einstellungen nehmen kann, als digitale Algorithmen, wie Min& Wohn (2020) analysieren. Es liegt also letztendlich an jedem einzelnen Nutzer selbst, sich eigenverantwortlich der Verzerrungen durch Empfehlungsmechanismen bewusst zu werden und aktiv zu versuchen, diese so zu nutzen, dass man im digitalen Zeitalter personalisierter online Medien, eine fundierte und informierte Meinungsbildung ermöglicht. 4. Literaturverzeichnis Bozdag, E., van den Hoven, J. (2015). Breaking the filter bubble: democracy and design. Ethics Inf Technol. Vol. 17. 249-265. Burbach, L., Halbach, P., Ziefle, M., Calero Valdez, A. (2019). Bubble Trouble: Strategies Against Filter Bubbles in Online Social Networks. In: "Digital Human Modeling and Applications in Health, Safety, Ergonomics and Risk Management". Ed.: Duffy, V. G. Springer Nature Switzerland AG. 441-457. Dahlgren, P. M. (20231). A critical review of filter bubbles and a comparison with selective exposure. Nordic Review. Vol. 42. Nr. 1. 15-33. Flaxman, S., Goel, S., Rao, J. M. (2013). Ideological Segregation and the Effects of Social Media on News Consumption. SSRN Electronic Journal. Vol. 80. Flaxman, S., Goel, S., Rao, J. M. (2016). Filter Bubbles, Echo Chambers, and Online News Consumption. Public Opinion Quarterly, Vol. 80, 298-320. Ford, E. (2012). What's in Your Filter Bubble? Or, How Has the Internet Censored You Today?. Library Faculty Publications and Presentations. Portland State University. Frey, D. (1986). Recent Research on Selective Exposure to Information. In: "Advances in Experimental Social Psychology". Ed.: Berkowitz, L. Academic Press. Vol. 19. 41-80. Geschke, D., Lorenz, J., Holtz, P. (2019). The triple-filter bubble: Using agent-based modelling to test a meta-theoretical framework for the emergence of filter bubbles and echo chambers. British Journal of Social Psychology, Vol. 58. 129-149. Graham, T., Ackland, R. (2017). Do Socialbots Dream of Popping the Filter Bubble? The role of socialbots in promoting deliberative democracy in social media. In: "Socialbots and their friend: Digital media and the automation of sociality". Eds: Bakardjieva, M., Gehl, R. New York: Routledge. 76 Seite 12

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 „Multikausale Perspektive auf die berufs- bedingten Belastungen von Lehrpersonen“ „Multikausale Perspektive auf die berufs- bedingten Belastungen von Lehrpersonen“ C. Hilber1 C. Hilber1 University of Library Studies and Informa5on Technologies, Soﬁa ABSTRACT ABSTRACT University of Library Studies and Informa5on Technologies, Soﬁa Keywords: Gesundheitserhaltung und -förderung, Mehrfach- belastungen, Stressmultiplikatoren, Stressniveaus, Stressreaktionen, Bedürfnisse, Gesundheitsschutz, interne und externe Ressourcen Keywords: Gesundheitserhaltung und -förderung, Mehrfach- belastungen, Stressmultiplikatoren, Stressniveaus, Stressreaktionen, Bedürfnisse, Gesundheitsschutz, interne und externe Ressourcen Dieser Veröffentlichung liegt die Untersuchung der Autorin (Hilber, 2021) zur Gesundheitserhaltung und -förderung von Lehrpersonen und Schulleitungen zugrunde, die zum Ziel der Erreichung des Dieser Veröffentlichung liegt die Untersuchung der Autorin (Hilber, Masterabschlusses stattfand. Kernpunkte waren Ausführungen zu 2021) zur Gesundheitserhaltung und -förderung von Lehrpersonen Belastungsniveaus von Lehrpersonen und Schulleitungen. Die nun und Schulleitungen zugrunde, die zum Ziel der Erreichung des geplante Dissertation baut auf den dabei gewonnenen Erkenntnissen Masterabschlusses stattfand. Kernpunkte waren Ausführungen zu auf und setzt ihren Schwerpunkt auf Modelle und Konzepte der Belastungsniveaus von Lehrpersonen und Schulleitungen. Die nun Arbeitspsychologie sowie der Qualitätsentwicklung an Schulen. Im geplante Dissertation baut auf den dabei gewonnenen Erkenntnissen Arbeitsumfeld Schule stehen fortwährend Stressoren und Motivatoren auf und setzt ihren Schwerpunkt auf Modelle und Konzepte der einander gegenüber. Innerhalb der Gesundheitserhaltung und - Arbeitspsychologie sowie der Qualitätsentwicklung an Schulen. Im förderung gilt es daher, die Anzahl der Stressoren durch konkrete Arbeitsumfeld Schule stehen fortwährend Stressoren und Motivatoren Handlungsempfehlungen in der Praxis zu minimieren, um die Lehrer- einander gegenüber. Innerhalb der Gesundheitserhaltung und - innen- und Lehrergesundheit in diesem Spannungsfeld zu erhalten. förderung gilt es daher, die Anzahl der Stressoren durch konkrete Handlungsempfehlungen in der Praxis zu minimieren, um die Lehrer- innen- und Lehrergesundheit in diesem Spannungsfeld zu erhalten. 1 Claudia Hilber; CH-9203 Niederwil, Im Dorf 20; cl.hilber@bluewin.ch 1 Claudia Hilber; CH-9203 Niederwil, Im Dorf 20; cl.hilber@bluewin.ch Seite 1 79

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 1. Einleitung Hilber (2021) schreibt in ihren Ausführungen, dass die Gesundheitserhaltung und - förderung bei Lehrpersonen als auch Schulleitungen aufgrund mehrerer Aspekte eine zentrale Bedeutung hat. Im Arbeitsumfeld der Schule agieren Lehrpersonen und Schulleitungen in einem sowohl vielseitigen als auch verantwortungsvollen Beruf. Das Berufsbild ist beiderseits von einer hohen Aufgabendichte, enormer Komplexität, täglichen Herausforderungen, Anforderungen an das Fach- und Methodenwissen geprägt sowie mit den persönlichen Kompetenzen verknüpft. Sowohl Lehrperson als auch Schulleitung, als die beiden tragenden Berufsgruppen im Arbeitsumfeld Schule, leben in einem Spannungsfeld. Ihr Auftrag ist es, die in Rahmenlehrplänen verankerten Anforderungen an Bildungsstandards zu vermitteln oder zu überprüfen und dadurch mit den Herausforderungen und Anforderungen professionell umzugehen. Dazu gehört die Interaktion mit den Eltern. Berufs gruppenspezifisch kommt auf der Seite der Lehrpersonen die Interaktionen im Unterrichtsgeschehen sowie mit der Schul- leitung in deren Führungsposition in Verbindung zu treten hinzu. Schulleitungen bewegen sich bezüglich der Interaktion, mehr auf der Ebene der Systementwicklung, Qualitätssicherung, der Schulevaluation und der Mitarbeiterführung, womit sich belegen lässt, dass trotz gleichem Arbeitsort von verschiedenen Berufsbildern ausgegangen werden muss. Um mit diesen Anforderungen dauerhaft sowohl physisch als auch psychisch gesund leben und arbeiten zu können, sind an die Gesund- heitserhaltung und die Gesundheitsförderung im Lehrberuf bei den Lehrpersonen und Schulleitungen Bedingungen geknüpft, die es zu untersuchen und in der Praxis umzusetzen gilt. Um den Fokus auf Gesundheitserhaltung und -förderung bei Lehrpersonen und Schulleitungen legen zu können, ist ein breit abgestütztes Wissen erforderlich, welches Aufschluss darüber gibt, was gesund erhalten und/oder gefördert werden muss und wo die Problemlagen angesiedelt sind. Die beispielsweise vom Nationalfond unterstützte Studie (2014, S.280-295) Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung, beschäftigt sich mit den Auswirkungen der arbeitsbedingten Belastungen von Lehrpersonen und kommt zu alarmierenden Ergebnissen, die ein Handeln erfordern. Ein Drittel der Lehrpersonen ist gefährdet, an 80 Seite 2

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Burnout zu erkranken, jede fünfte Lehrperson fühlt sich überfordert und jede dritte Lehrperson hat depressive Beschwerden. Das bedeutet, die Gesundheitserhaltung und -förderung ist aufgefordert, um einem durch Ausfall und Krankheit entstehenden Mangel an Lehrpersonen entgegenzusteuern und die Bildungs- und Schulpolitik nicht zu gefährden. Von dieser ist die Qualität an Schulen abhängig. Im Ergebnis der Auswertung aller einbezogenen Studien, der Studie des Dach- verbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz «Berufsbedingte Krankheitskosten der Lehrpersonen» (2016) und der Studie des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH): «Die Belastung von Lehrpersonen aus arbeitsmedizinischer und psychologischer Sicht.» (2016) und der ergänzend noch hinzugezogenen Studien: Ø Negative Beanspruchungsfolgen bei Schweizer Lehrpersonen (2014), S. 280 Ø Vergleichsstudie Österreich (2019), S.24–45: «Berufsvollzugsprobleme und Belastungen von Lehrpersonen.» Ø Berufsbedingte Krankheitskosten der Lehrpersonen (2016) Ø Teilprojekt des LCH im Rahmen des Projekts Gesundheit der Lehrpersonen Ø Studie der Zürcher Universität (2018) in Zusammenarbeit mit der Humboldt Universität Berlin, der Universität Konstanz und der University of Aberdeen: «Wirkung von Führung auf die Gesundheit von Lehrpersonen. » lässt sich folgendes formulieren: Alle Studien beziehen sich auf die psychosozialen Belastungen bei den Lehr- personen und zeigen eine nahezu identische Grundproblematik auf. Lehrpersonen sind in ihrer Berufsgruppe belastete Personen. Es handelt sich hier um Mehrfachbelastungen, die dazu führen, dass das berufliche Wohlbefinden beeinflusst wird. Alle drei Studien weisen multikausale Zusammen- hänge auf. Die logische Konsequenz der Studienlage fordert dazu auf, die Gesund- heitsförderung in das Konzept Schule zu implementieren. Belastete Lehrpersonen werden zu kranken Lehrpersonen, wenn nichts passiert. Um dem Ansteigen der Erkrankungen in der Gruppe der Lehrpersonen vorzubeugen, muss die Fokussierung der Gesundheitsförderung konstant aufrechterhalten werden. 81 Seite 3

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Womit sich belegen lässt, dass Stressmultiplikatoren und Arbeitsbedingungen in einem signifikanten Zusammenhang stehen. 2. Methode Geht es um die Notwendigkeit der Gesundheitserhaltung und -förderung von Lehrpersonen und Schulleitungen, bedarf es der Einbeziehung von Modellen, die Menschen nutzen, um ihre Gesundheit zu definieren. Hier eignet sich besonders nachfolgende Sicht der Salutogenese, da sie genau auf das Spannungsfeld, in dem Lehrpersonen und Schulleitungen im System Schule interagieren, abzielt. Mit diesem Erklärungsansatz lassen sich konkrete Handlungsstrategien von Gesundheits- förderung erarbeiten. Salutogenese ist die Vorstellung von Gesundheit innerhalb eines körperlichen und seelischen Gleichgewichts. Der Körper und das Selbst passen sich an die Veränderungen der Umwelt an. Sie entwickeln Resistenz und Widerstandsfähigkeit gegenüber Erregern. Gesundheit definiert sich weiterhin auf der Grundlage von Wertaussagen. Das erhält schliesslich einen positiven Kern, der die Gesundheit als den höchsten Wert, den absoluten Richtwert und als humankapitale Pflicht beschreibt. Durch die Definition der WHO entsteht ein Herauslösen von Gesundheit aus biomedizinischer Sicht und dem engen Bezugssystem hinein in eine breite Bedeutung von Gesundheit innerhalb vieler Gesichtspunkte (WHO 1948, zitiert nach Kickbusch, 1999, S. 275). Diese positive Definition beinhaltet eine multidimensionale Sicht, die körperliche, seelische, geistige und soziale Anteile in sich vereint, die sich wiederum wechselseitig beeinflussen. Gesundheit ist ein Zustand. Im Englischen wird von State gesprochen. Es ist damit aber nicht gemeint, dass dieser Zustand statisch ist, der einmal erreicht, dann immer unveränderlich bleibt. Gesundheit ist ein dynamisches Stadium. Es ist ein Potenzial, das es immer neu zu regulieren gilt. Gesundheit kann somit mit einem Balanceakt verglichen werden, welche sich in einem Spannungsfeld von Ressourcen und Belastungen bewegt. Innerhalb dieser beschriebenen Sichtweisen gibt es auch Kritik, die auf die Einseitigkeit der Betrachtungsweise abzielt. Ihr wird ein dogmatischer Charakter nachgesagt, eine gewisse Unerreichbarkeit eines utopischen Zustandes 82 Seite 4

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 von Gesundheit (Franke, 2012). Diese Kritik bezieht sich zu grossen Teilen auf die Zustandsformulierung und auf die Utopie von vollständigem Wohlbefinden. Das gesellschaftliche Leben der letzten Jahrzehnte hat sich deutlich verändert und mit dem demografischen Wandel und der älter werdenden Bevölkerung kommen auf den Gesundheitsbereich stetig neue Herausforderungen zu. Dieser muss und wird sich aufgrund der neuen Gegebenheiten konstant weiterentwickeln und fortentwickeln müssen, um diesen besagten Herausforderungen noch gerecht werden zu können. Erkrankte Lehrpersonen, deren Gesundheitszustand nicht mehr zulässt, zu unter- richten, sorgen auf unterschiedlichen Ebenen für hohe Kosten. Das Gesundheits- system hat die Kosten der Erkrankung zu tragen, das Umfeld Schule leidet unter dem Personalausfall und dies erfolgt nicht nur auf Kostenseite, sondern bedeutet auch einen Qualitätsverlust in der Bildung. In den Studien aus den Jahren 2016 und 2019, die in Hilbers (2021) Arbeit Einbezug finden, liegt der Fokus auf Raumbedingungen, der Akustik und der Lärmbelästigung, die aus dieser resultiert. Ein weiterer Punkt ist das Problem des ständigen Zeitdruckes, unter dem sich Lehrpersonen durch ihren Arbeitsalltag bewegen müssen. Wobei die einzelne Lehrperson immer eine individuelle Wahrnehmung von der Situation hat. Mit dieser Wahrnehmung entsteht auch das Empfinden der Einzel- person, was eine zentrale Rolle spielt, da sich aus diesem Empfinden Reaktionsmuster ergeben. Die Literatur zeigt unterschiedliche Stressmodelle auf (Busse, Plaumann & Walter, 2006; Geisselhart & Hofmann, 2008). Die dort abgebildeten Stresstheorien erklären die Entstehung von Stress, seine Auswirkungen und die Möglichkeiten der Vermeidung von Stress (Nitsch, 1981). Selye (1981), ein Verfechter der biologisch-medizinischen Stressforschung, ver- knüpft die Auswirkungen von Stress mit den unspezifischen Stressreaktionen. Die psychologischen Auswirkungen werden von Lazarus (1996) mit den mangelnden Bewältigungsstrategien in Verbindung gebracht und die soziologischen Stress- reaktionen führen Holmes, Rahe, Anderson (1967) auf. 83 Seite 5

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Die spezifischen Stressreaktionen und die ressourcenfördernden, psychosozialen und biomedizinischen Modelle beschreiben unter anderem Becker, Hobfoll, Antonovsky (1997) Ressourcenknappheit, falsch dosierte Bedürfnisse oder sogar der Ressourcen- verlust sind Tatbestände, die sich hinderlich auf das Gesundheitspotenzial der Lehrpersonen auswirken. Mit der Nichterfüllung von Bedürfnissen entstehen negative Gefühle, die wiederum Lebensunzufriedenheit verursachen. Häufig ändert sich in diesem Kreislauf das Gesundheitsverhalten der Menschen. Erhöhter Alkoholkonsum bildet ein Beispiel für diesen Vorgang. Die körperlichen und psychischen Gesundheitsprobleme sind die unweigerliche Folge dieses beschriebenen Prozesses. Für die Gesundheitserhaltung und -förderung wirken wohldosierte Anforderungen und Schonung ebenso positiv wie der Ausbau von Ressourcen für ein Wachsen der Resilienz der Lehrpersonen. Mit der erfolgreichen Lösung von externen und internen Anforderungen kann es im Rahmen der Ausrichtung auf die Gesundheitserhaltung und -förderung gelingen, zu mehr Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit zu gelangen. Das Konzept der Lebensqualität im Arbeitsleben basiert auf dem Wissen, dass die Arbeit der Kern des menschlichen Lebens ist. Dabei geht es um zwei primäre Ziele. Zum einen um die Verbesserung der Effizienz der Organisation und zum anderen um die Verbesserung der Lebensqualität. Für Schulen ist es elementar wichtig, Lehr- personen zu gewinnen und zu halten und diese auch gesund zu erhalten. Arbeitsplatzsicherheit, faire Bezahlung, Fairness am Arbeitsplatz, Selbstkontrolle und ein Beitrag zur Effektivität des Einzelnen in der Schule sind Parameter, die für hohe Qualitätsstandards in der Schule sorgen. Für das Ziel des guten Lernens der Schülerinnen und Schüler werden kompetente und motivierte Lehrpersonen benötigt, die physisch und psychisch gesund sind und bleiben. Die Hingabe einer Lehrperson für ihren Beruf ist bewunderns- und lobenswert, allerdings können die Folgen von zu viel dieser Hingabe gravierend sein. Dann, wenn die Arbeit den Menschen mehr fordert, als die Lehrperson in der Lage ist, in den Job zu investieren, wird sie krank. Aus den Stressquellen hohe Arbeitsbelastung, viele Zusatzaufgaben neben dem eigentlichen Unterrichtsprozess («Backoffice»), anderen Aufgaben als dem Unterricht, mangelnder Kooperation mit der Schulleitung, den Kolleginnen und Kollegen, 84 Seite 6

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Fehlverhalten der Schülerinnen und Schüler und der oft negativen Einstellung der Öffentlichkeit dem Lehrberuf gegenüber, entstehen negative Auswirkungen auf die Gesundheit. Dazu kommt noch, dass Lehrpersonen berufsbedingt wenig körperlich aktiv sind. Aufgrund des beschriebenen hohen Stressniveaus entstehen psychische Belastungs- situationen, deren Anzeichen Verunsicherung und geringes psychisches Wohlbefinden sind und die sich letztlich in der verringerten Arbeitszufriedenheit zeigen (Ariyo, 2015). Um sich mit der Gesundheitserhaltung und -förderung auseinanderzusetzen, muss der Blick in erster Linie auf die Faktoren gerichtet werden, die konkret die Personen belasten. Für eine gute Schulqualität sind folgende Gesundheitsaspekte zentral: • • Interne Ressourcen Externe Ressourcen Das ist erforderlich, damit die Qualität der Lehr- und Lernprozesse aufrechterhalten werden kann. Dür und Felder-Puig (2011) schreiben von psychologischen Prozessen und psychosozialen Befindlichkeitsstörungen. Gesundheitserhaltung und -förderung der Lehrpersonen spielt somit eine elementare Rolle. Das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Lehrpersonen sind für die schulische Qualität zwingend erforderlich. Lehrkräfte, Schulleiterinnen und Schulleiter und das Gesundheitssystem müssen gezielte Massnahmen ergreifen, um die Gesundheitserhaltung und -förderung zu ermöglichen. Dazu gehört eine gesunde Lebensweise als Grundlage. Körperliche Aktivität, die berufsbedingt fehlt, ist ein Faktor, der neben der ausgewogenen Ernährung zu den Faktoren zählt, die die Lehrpersonen selbst beeinflussen können. Die Faktoren, die innerhalb des Umfeldes der Schule entstehen und sich aus Lautstärke, vielen Aufgaben neben dem Unterricht, schwierigen Schülerinnen und Schülern zusammensetzen, können durch die Lehrperson selbst nur zum Teil beeinflusst werden. An dieser Stelle muss die Inter- vention der Schulleitungen greifen, die nicht nur für ihre eigene Gesundheitsförderung Verantwortung tragen, sondern auch für die Gesundheitsförderung ihres gesamten Teams. Beide Berufsgruppen, Lehrkräfte als auch Schulleiterinnen und Schulleiter, müssen daher bemüht sein, Strukturen in ihren Alltag zu integrieren, die zur Gesunderhaltung beitragen. 85 Seite 7

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Zu den Aufgaben der Schulen gehört es, ein gesundheitsförderliches Schulumfeld bereitzustellen, das es den Lehrpersonen und den Schulleiterinnen und Schulleitern ermöglicht, gesundheitsbewusst zu handeln. Konkrete Massnahmen wären die Einrichtung von Pausenräumen, in denen sich der einzelne Mitarbeitende erholen kann. Die Schulen müssen die Bedeutung von Gesundheitsförderung in ihren Lehrplan integrieren und Weiterbildungen für die Lehrpersonen als auch Schulleitungen anbieten. Eine gute Work-Life-Balance und die klare Festlegung von Arbeitszeiten, die Priorisierung der Aufgaben und die Nutzung der Erholungsphasen in den Schulferien gehören in diesen Bereich. Die Schulleitung hat in ihrer Führungsaufgabe hohe Verantwortung und füllt diese Aufgabe unter anderem auch mit ihrer Persönlichkeit aus. Beides beeinflusst das Schulklima. Dann, wenn Schulleitungen Offenheit, Vertrauen und Glaubwürdigkeit nach aussen hin authentisch leben, entsteht ein gutes Schulklima (Wicki & Bürgisser, 2008). 3. Ergebnis/ Erkenntnis Der Gesundheitsschutz ist Aufgabe der Arbeitgeber. In der Schweiz obliegt dem Gesundheitsschutz eine Sicherung durch die Gesetzgebungen und die Verordnungen, in denen er verankert ist. Diese befinden sich unter anderem in den Bestimmungen zu Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten. Daneben gelten auch noch Bestimmungen zum Beizug von Arbeitsärzten und weiteren Spezialisten für die Arbeitssicherheit. Hier handelt es sich um die ASA-Richtlinie 6508. Ausserdem existiert die Eidgenössische Koordinationskommission für Arbeitssicherheit (EKAS), die im Rahmen der allgemeinen Pflichten (Art. 3–10 VUV1 und Art. 3–9 ArGV 32) agieren. Nachlesbar sind diese vorgenannten Sammlungen zum Gesundheitsschutz in der Rechtssammlung des Arbeitsgesetzes (ArGV 3). Alle genannten Verordnungen und Sammlungen haben die Aufgabe, den Arbeit- geber zum Handeln zu verpflichten und die geltenden Normen durchzusetzen. Ein Beispiel dafür ist die Luftqualität an den Schulen, für die es Untersuchungen gibt, in deren Befunden der CO2-Gehalt in den meisten Klassenzimmern zu hoch ist. Als Folge dessen sind die Schulen dazu verpflichtet, Schutz- und Sicherheitskonzepte abzugeben, damit sie die geforderten Normen der Luftqualität auch erfüllen können. 86 Seite 8

Im Gesundheitskonzept zur Arbeitssicherheit und zum Gesundheitsschutz sind die nachfolgend zusammengefassten Positionen enthalten: Ø Sicherheitsleitbild Ø Sicherheitsorganisation: Inklusive Verantwortungsdelegation Ø Ausbildung, Instruktion und Informationen inkl. Verlauf Ø Sicherheitsregeln: Merkblätter, Vorgaben und Reglemente Ø Gefahrenermittlung, Risikobeurteilung Ø Massnahmenplanung und -realisierung inklusive Entwicklungsplanungen und Schulprogramme Ø Notfallorganisation: Wie sind Abläufe, Verfahren oder Zuständigkeiten geregelt? Ø Gesundheitsschutz bezüglich betriebsinterner Risiken, Arbeitsorganisation und Arbeitszeiten Ø Kontrolle, Audit: Einhaltung der gesetzlichen Normen Ø Gesundheitsförderung in Bezug auf präventive Massnahmen (Eidgenössische Koordinationskommission für Arbeitssicherheit EKAS). Die Schulen sind verpflichtet, ein Führungs- und QM-Handbuch zu erstellen und dieses auch zu führen. Das QM-Handbuch ist die dokumentierte Essenz eines installierten QM-Systems, innerhalb dessen feste Qualitätsstandards an den Schulen eingeführt sind und gelten. Sinnvoll ist diese Vorgehensweise für die interne Orientierung an den Schulen und darüber hinaus für die Sicherung und Weiter- entwicklung in Qualitätsfragen und der Rechenschaftslegung zur durchgeführten Qualitätsarbeit in den Audits. In dieses QM-Handbuch sollten sowohl die Gesundheitsförderung als auch der Gesundheitsschutz durch ein Konzept eingebunden werden. Diese Einbindung hätte ein Vorantreiben des Prozesses der Gesundheitsförderung als positiven Effekt, der zwingend notwendig erscheint. Die Gesundheitsförderung, dies als Hintergrund für die Notwendigkeit, ist nicht verpflichtend. Sie sollte im Sinne eines gesunden und stabilen Seite 9 87

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Lehrkörpers in das vorhandene QM-System einbezogen werden, damit ihr eine höhere Relevanz beigemessen werden kann. Folgende Massnahmen sind durch den Arbeitgeber und die Schulleitungen sicherzustellen: 1. 2. 3. 4. 5. Erfüllbarer Berufsauftrag bezüglich der Jahresarbeitszeit Mutterschaftsurlaub (14 Wochen Mutterschaftsentschädigung) Altersentlastung Fort- und Weiterbildung Kontrolle der Normeinhaltung (kantonalen Arbeitsinspektorate) Betriebliches Gesundheitsmanagement (Kantone und Gemeinden 6. bieten Unterstützung bei der Umsetzung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements) Unter dem Aspekt der Handlungsansätze dieses Kapitels darf neben den im Gesetz verankerten Rechtsvorschriften und dem an Schulen existenten QM-System die Ausführung zur Gesundheitsförderung der einzelnen Lehrpersonen nicht fehlen. Dabei stehen das bewusste Leben und das Achten auf die eigene Gesundheit im Fokus. Beides sind Punkte der persönlichen Gesundheitserhaltung. Zu diesen Themen gibt es viel an Literatur über Ratgeber oder Prospekte. Ausserdem finden interessierte Personen Beratungsangebote oder andere Dienstleistungen im Schulbereich. Zu erwähnen in diesem Kontext sind die Angebote von Online-Apps. Ein wichtiges Beispiel hier ist die Teatime-App: h#ps://www.tea-me.care/ „Schulnetz 21“ https://www.schulnetz21.ch/ oder die Schaffung des Kompetenz- zentrums Radix www.radix.ch/bgf-info. Schulen haben ein attraktives Lern-, Lebens- und Arbeitsfeld. Auf der anderen Seite zeigt sich der Dachverband LCH sehr aktiv. Er unterstützt Lehrpersonen und Schulleitungen, sorgt für Fachtagungen, Weiterbildungsangebote und Publikationen. Bildung und Schulqualität sind zwei feste Bestandteile innerhalb des Schweizer Schulsystems, die miteinander in Beziehung stehen. Die Qualität der Schule wirkt sich 88 Seite 10

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 nicht zuletzt auf die Qualität der dargebrachten Bildung und den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler aus. Lehrpersonen stehen berufsbedingt in der Öffentlichkeit. Das heisst, dass die Stressfaktoren, denen sie ausgesetzt sind, nicht nur aus dieser Tatsache entspringen, sondern aus dem Umfeld der Schule und des Berufes. Diese werden jedoch durch das öffentliche Erscheinungsbild der Lehrpersonen von dieser Öffentlichkeit im Gegenzug auch wahrgenommen. Stress und Belastung sind wiederum zwei Zustände, die mit- einander zusammenhängen. Belastung verursacht Stress und in diesem Zusammen- hang ist ein kontinuierliches Themenfeld die Belastungsgrenze, die Lehrpersonen aufzeigen. Stossen die Lehrpersonen über eine längere Zeit an ihre Belastungs- grenzen, dann erfüllen sie die eigenen Ansprüche an ihre Arbeit nicht mehr. Im Idealfall nehmen sie diesen Zustand wahr. Sie können die Grenze zwischen Schule und Privatleben nicht mehr ziehen. Die Lehrperson kann am Abend nach der Arbeit nicht mehr abschalten (Klusmann et al., 2016). Dieser Umstand sorgt dafür, dass dann die Schulqualität darunter leidet, weil die Lehrpersonen erschöpft sind. Es besteht die Möglichkeit, über Schulleitungen, Schulrat, Schulverwaltung, Schulsozialarbeit oder auch über Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen Hilfe anzufordern. Ein weiterer Weg zur Hilfe wäre die Lehrerinnen und Lehrerberatung, die mit einer Krisenintervention und Coaching als unterstützende Methoden eingreifen könnte. Alle diese Varianten setzen allerdings voraus, dass die betroffenen Lehrpersonen den notwendigen Mut aufbringen und ihre Situation offen kommunizieren. Für diesen Schritt sind nicht alle bereit und leiden daher weiter unter den belastenden Stresssymptomen bis zum Zusammenbruch. Unter diesem Aspekt der Betrachtung wäre es sinnhafter, frühzeitig und vor allem präventiv zu wirken, um genau diesen Situationen des Zusammenbruches vorzu- beugen. Nicht nur im Lehrberuf, doch gerade in diesem als Thema dieser Veröffent- lichung geht es darum, das berufliche Wohlbefinden zu stärken. Das hat zur Folge, dass die Anforderungen und die Ressourcen zueinander passen und ein gutes Verhältnis miteinander haben. Anders formuliert bedeutet dies, die Anforderung dürfen 89 Seite 11

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 nicht konstant höher liegen als die vorhandenen Ressourcen, die dazu beitragen, den Anforderungen gerecht zu werden. Beides sollte in einem guten und daher gesunden Gleichgewicht existieren. Sind Lehrpersonen fit und gesund, so haben sie Einfluss auf die Qualität der Schule. Diese Lehrpersonen sollen in der Schule auch gehalten werden. Eine Schule ist nur so stark, wie das schwächste Glied in ihr. Gesunderhaltung hat immer auch mit Kosten zu tun. Gesundheitsförderung kostet Geld. Kranke Lehrpersonen kosten jedoch sehr viel mehr auf unterschiedlichen Ebenen. Die berufsbedingten Krankheiten sorgen für Kosten, die seit Jahren ansteigen. LCH fordert, die Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen. Die Gesamtkosten beliefen sich nach Auskunft des Dachverbandes LCH (2014) auf CHF 37.5, Mio, die sich in direkte, Kosten CHF 4.5 Mio. und indirekte Kosten CHF 33 Mio., aufteilen liessen. 2016 waren es bereits 37.6 Mio. CHF – mit steigender Tendenz (Bildung Schweiz, 2016, Berufsbedingte Krankheitskosten der Lehrpersonen, 2016). All das wäre kostengünstiger, würden die Arbeitgeber sinnvolle Massnahmen zum Gesundheitsschutz ergreifen. Die horrenden Kosten könnten durch effektive Handlungsansätze gesenkt werden und der Gesundheitsschutz der Lehrpersonen nutzbringend für gesunde Lehrpersonen sorgen. Auf schulpolitischer Ebene, so äussert sich der Dachverband LCH (2016), zeigen sich Schwierigkeiten, Einfluss auf den Gesundheitsschutz der Lehrpersonen zu nehmen. Veränderungen des Arbeitsgesetzes für Lehrpersonen sind ein stets politisches Thema und daher in der Realisierung eher schwer. Nicht alle Kosten, die in diesem Kontext anfallen, sind erfasst. Zum Beispiel fehlen in den Aufstellungen die Kosten für Invalidenversicherung und Stellenneubesetzung. Das sorgt für ein verwaschenes Bild der Gesamtkosten, da diese im Endeffekt höher ausfällt, werden alle Kosten eingeschlossen wären. Auch die Investition in die Lehrerinnen und Lehrerausbildung ist hinsichtlich der Gesundheitsförderung nur teilweise sinnhaft. Dann, wenn Lehrpersonen an den Schulen nicht Fuss fassen können, wandern sie in die besser bezahlte Wirtschaft ab und sorgen für einen Mangel an Personal im Schulumfeld. Es sind andere Ansätze notwendig, um nachhaltig zu agieren. Zu diesen zählt vor allem die Stärkung der persönlichen Ressourcen. Die Ottawa-Charta aus dem Jahr 90 Seite 12

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 (1986) formuliert die Gesundheitsförderung im Sinne eines Einwirkens und Befähigens zur Stärkung der Gesundheit. "Ottawa-Charta" verabschiedet, die zu einem neuen Gesundheitsbewusstsein und zu gemeinsamen Anstrengungen mit dem Ziel "Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000". https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/npp/sucht/charta- ottawa.pdf.download.pdf/ottawa-charta.pdf Diese Definition ist durch die Jakarta-Erklärung (1997) zur Gesundheitsförderung für das 21. Jahrhundert weiterentwickelt worden. Der darin liegende Sinn ist der Mensch, der mehr Kontrolle über seine Gesundheit haben soll. Er soll befähigt werden, seine Gesundheit gezielt zu beeinflussen und auf diese Weise zu verbessern. Gesundheitsförderung und Gesunderhaltung bedeutet damit, dass die personalen, sozialen und materiellen Ressourcen der Einzelperson gestärkt werden müssen und der Mensch infolgedessen über Empowerment und dessen Erhöhung befähigt wird, sich sorgsam um seine Gesundheit zu kümmern. 4. Literaturverzeichnis Studien: Studie LCH (2016), S.7: Studie des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz: „Berufsbedingte Krankheitskosten der Lehrpersonen“: https://www.lch.ch/publikationen/studien/detail/berufsbedingte-krankheitskosten- der-lehrpersonen-schlussbericht-buero-bass-2016 LCH (2016), S.37- 44. Die Belastung von Lehrpersonen aus arbeitsmedizinischer und -psychologischer Sicht .https://www.lch.ch/fileadmin/user_upload_lch/Wissenschaft/Studien/161129_Studi e_Arbeitsmedizin_ifa_Baden_lang.pdf Studie „Berufsvollzugsprobleme und Belastungen von Lehrpersonen“, Österreich (2019): http://www.oepu.at/index.php/publikationen/oepu-nachrichten/1630-1906- spenger-langversion/file 91 Seite 13

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Literarische Werke: Antonovsky, A. & Franke, A. (1997): Salutogenese: Zur Entmystifizierung der Gesundheit. (Deutsche erw. Herausgabe von Alexa Franke). Tübingen: DGVT Verlag. Ariyo, O. Gender Differences in Factors Associated with Overweight and Obesity in Nigeria, 2015, 7(6):66–73). Becker, P. (2003). Systemisches Anforderungs-Ressourcen-Modell in der Gesundheitsförderung. In: Bundeszentrale für Gesundheit und Aufklärung (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung (S.13–15). Schwabenheim a.d. Selz. Busse, A., Plaumann, M., & Walter, U. (2006). Stresstheoretische Modelle. In Weissbuch Prävention 2005/2006 (S. 63–77). Springer, Berlin, Heidelberg. Dür, W & u. Felder-Puig, R. (Hrsg).( 2011): Lehrbuch Schulische Gesundheitsförderung 1. Aufl. Bern: Huber S. 121–128. Franke, A. (2012): Modelle von Gesundheit und Krankheit, 2. Aufl. Bern. Gesundheitsförderung Schweiz (2018): Job-Stress-Index 2018. Kennzahlen zum Stress bei Erwerbstätigen in der Schweiz. Faktenblatt 34. Herausgeberin: Gesundheitsförderung Schweiz. Hilber, C. (2021): Im Spannungsfeld zwischen Arbeitsanforderung und Gesundheitsförderung. Unveröffentl. Masterarbeit, Universität, Krems Hobfoll, S. E. & Buchwald, P. (2004). Die Theorie der Ressourcenerhaltung und das multiaxial Copingmodell – eine innovative Stresstheorie. In: P. Buchwald, C. Schwarzer & S. E. Hobfoll (Hrsg.). Stress gemeinsam bewältigen. Ressourcenmanagement und multiaxiales Coping. Göttingen [u. a.]: Hogrefe. Holmes, Thomas H./Rahe, Richard H.: The Social Readjustment Scale, in: Journal of Research, 1967 (Vol. 11), S. 213–218. Kickbusch, I. (1999). Der Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation. In: Gesundheit — unser höchstes Gut? Schriften der Mathematisch- naturwissenschaftlichen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, vol 4. Springer, Berlin, Heidelberg. Klusmann, U.& Richter, D. (2016). Teachers’ Emotional Exhaustion Is Negatively Related to Students’ Achievement: Evidence From a Large-Scale Assessment Study. Journal of Educational Psychology 108 (8), 1193–1203. Nitsch, J. R. (1981). Aspekte der Stressforschung. S.18 In: J. R. Nitsch (Hrsg.), Stress: Theorien, Untersuchungen, Massnahmen (S. 27-157). Bern [u. a.]: Huber. 92 Seite 14

Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Selye, H. (1981). Geschichte und Grundzüge des Stresskonzepts. In: J. R. Nitsch (Hrsg.), Stress: Theorien, Untersuchungen, Massnahmen (S. 161-184). Bern [u. a.]: Huber Wicki, W. & Bürgisser, T. (2008). Praxishandbuch Gesunde Schule. Gesundheitsförderung verstehen, planen und umsetzen. Auszug aus Bürgisser, T. S. 55–92 Gesundheits-fördernde Schule – Spannungsfelder und Chancen. Bern: Haupt. Internetquellen (letzter Zugriff 30.05.2023) Arbeitsgesetz § 55: https://www.admin.ch/opc/de/classified- compilation/19640049/index.html Arbeitsgesetz und Verordnungen (SECO): https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Ar- beit/Arbeitsbedingungen/Arbeitsgesetz-und-Verordnungen.html Arbeitsgesetz und Verordnungen, Wegleitung: https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Ar- beit/Arbeitsbedingungen/Arbeitsgesetz-und- Verordnungen/Wegleitungen/wegleitung-zur-argv-3.html Arbeitsgesetz (ArGV 3) von (1993): https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1993/2553_2553_2553/de Eidgenössischen Koordinationskommission für Arbeitssicherheit (EKAS): https://www.ekas.ch/index-de.php?frameset=48 Mutterschaftsentschädigung: https://www.ahv-iv.ch/p/6.02.d Ottawa-Charta (2000) (https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/npp/sucht/charta- ottawa.pdf.download.pdf/ottawa-charta.pdf Radix: https://www.radix.ch/de/ Teatime App: https://www.teatime.care/ Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung 32 (2014) 2, S. 280-295. https://www.pedocs.de/volltexte/2017/13872/pdf/BZL_2014_2_280_295.pdf 93 Seite 15

„Die Stärkung der Resilienz-Kompetenz als „Die Stärkung der Resilienz-Kompetenz als Gegenprogramm von Stress“ Gegenprogramm von Stress“ C. Hilber1 C. Hilber1 University of Library Studies and Information Technologies, Sofia University of Library Studies and Information Technologies, Sofia Keywords: Gesundheitserhaltung und -förderung, Arbeitszufriedenheit Stressmanagement, Belastung, Keywords: Gesundheitserhaltung und -förderung, Innere Stärke, Belastungen, Stressoren und Motivatoren. Arbeitszufriedenheit Stressmanagement, Belastung, Innere Stärke, Belastungen, Stressoren und Motivatoren. ABSTRACT ABSTRACT Grundlage der vorliegenden Veröffentlichung ist die Abhandlung der Autorin (Hilber, 2021), die sich mit der Gesundheitserhaltung und Grundlage der vorliegenden Veröffentlichung ist die Abhandlung -förderung von Lehrpersonen und Schulleitungen in der Schweiz der Autorin (Hilber, 2021), die sich mit der Gesundheitserhaltung und auseinandersetzt und die zur Erreichung des Masterabschlusses -förderung von Lehrpersonen und Schulleitungen in der Schweiz verfasst wurde. Die auf der Masterthese aufbauende Dissertation auseinandersetzt und die zur Erreichung des Masterabschlusses lautet «Gesundheitserhaltung und -förderung nachhaltig in Schulen verfasst wurde. Die auf der Masterthese aufbauende Dissertation aufbauen – Wege zur individuellen und sozialen Ressourcenfindung» lautet «Gesundheitserhaltung und -förderung nachhaltig in Schulen und legt ihren Schwerpunkt auf Konzepte aus dem Bereich der aufbauen – Wege zur individuellen und sozialen Ressourcenfindung» Arbeitspsychologie mit Hinblick auf Qualitätsentwicklung an Schulen, und legt ihren Schwerpunkt auf Konzepte aus dem Bereich der die daraus sich ergebende Implementierung von Gesundheits- Arbeitspsychologie mit Hinblick auf Qualitätsentwicklung an Schulen, konzepten und den Blick auf die Stärkung der Resilienz und dem die daraus sich ergebende Implementierung von Gesundheits- Empowerment bei den Lehrpersonen. Letztlich geht es nicht nur um konzepten und den Blick auf die Stärkung der Resilienz und dem die Entwicklung von konkreten Handlungsempfehlungen für die Praxis Empowerment bei den Lehrpersonen. Letztlich geht es nicht nur um im Schulalltag für die Lehrpersonen, sondern auch um die die Entwicklung von konkreten Handlungsempfehlungen für die Praxis Auseinandersetzung mit der Frage, wie es in einem übervollen im Schulalltag für die Lehrpersonen, sondern auch um die Lehreralltag noch gelingen kann, Konzepte von Gesundheitsförderung Auseinandersetzung mit der Frage, wie es in einem übervollen und Kompetenzentwicklung für die eigene Resilienz einzubinden. Lehreralltag noch gelingen kann, Konzepte von Gesundheitsförderung und Kompetenzentwicklung für die eigene Resilienz einzubinden. 1 Claudia Hilber; CH-9203 Niederwil, Im Dorf 20; cl.hilber@bluewin.ch 1 Claudia Hilber; CH-9203 Niederwil, Im Dorf 20; cl.hilber@bluewin.ch 95 Seite 1

1. Einleitung Diese Veröffentlichung stellt sich zu Beginn gleich mehrere Fragen, was die Resilienz und deren Entwicklung in Verbindung mit Coping-Strategien anbelangt. Eine der Fragen befasst sich mit der realistischen Chance, die Lehrpersonen in ihrem komplexen Schulalltag haben, ihre Belastungssituationen zu bewältigen. Die nächste Frage setzt an den Formen von Stressmanagement an, die es gibt und die in der Praxis bei Lehrpersonen Anwendung finden. Eine weitere Fragestellung befasst sich mit den Rahmenbedingungen und den Verantwortungsbereichen für die Umsetzung dieser Rahmenbedingungen. Die Anforderungen im Lehrberuf sind hoch und weisen eine steigende Tendenz auf. Aufgrund der hohen Belastungen ist das Krankheitsauftreten bei dieser Berufsgruppe, dies wurde bereits in der zweiten Veröffentlichung dargelegt, hoch und auch höher im Vergleich zu anderen Berufsgruppen, gemäss mehreren Studien des Dachverbandes der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz oder beispielsweise thematisiert in der folgenden deutschsprachigen Studie. Vergleichsstudie Österreich „Berufsvollzugsprobleme und Belastungen von Lehrpersonen.“ http://www.oepu.at/index.php/publikationen/oepu- nachrichten/1630-1906-spenger-langversion/file (2019), S.24-45: Daraus lässt sich die Fragestellung ableiten, an welchem Punkt in der Lebens- biografie von Lehrpersonen es wichtig ist, Kompetenzen zu entwickeln, die zu Resilienz und damit einhergehender innerer Stärke und Problemlösefähigkeit führen. 1.1 Ausgangslage Die Ergebnisse der Untersuchung spiegeln die Erkenntnisse aus Forschung und Psychologie wider. Bereits 2014 brachte die Studie des Nationalfonds zu Bean- spruchungsfolgen von Schweizer Lehrpersonen hervor, dass Arbeitsüberforderung, Arbeitszufriedenheit, Depressivität und Burn-out konzeptionell und statistisch zusammenhängen. Dabei gaben 21,5 % der Lehrpersonen an, ständig überfordert zu sein und es zeigte sich, dass weibliche Lehrpersonen eher von Burn-out betroffen 96 Seite 2

waren als männliche Kollegen. In einer Studie des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (2016) wurde weiterhin festgestellt, dass das Fehlen von Rückzugs- möglichkeiten, klar abgegrenzten Arbeitszeiten sowie individuellen Pausen das Wohlbefinden der Lehrpersonen erheblich reduziert. Psychosoziale Belastungen, welche beispielsweise durch ausgeprägte emotionale Leistungen im beruflichen Alltag entstehen, werden als Hauptfaktoren für Unwohlsein identifiziert. Was dazu führt, dass Lehrpersonen im Vergleich zu anderen Berufs- gruppen überdurchschnittlich häufig an Erschöpfungsdepression (Burn-out) leiden. Generell kann ein hoher Stresslevel in der Bevölkerung festgestellt werden (Job- Stress-Index, 2020). Fast ein Drittel der Arbeitnehmenden fühlte sich in der Umfrage emotional erschöpft und gestresst, womit sie im kritischen Bereich liegen. Ausfälle wegen Erschöpfung und Erkrankung sorgen für hohe Kosten für die Arbeitgebenden und schüren die Unzufriedenheit auf beiden Seiten. Insbesondere im Lehrberuf können Fehltage für enorme Probleme sorgen, bezüglich Aufrechterhaltung der Qualität von Lehr- und Lernprozessen, den Auswirkungen auf den Lebensalltag, und die Tagesstruktur. Zudem entstehen dadurch nicht nur hohe finanzielle Kosten, sondern die anderen Lehrpersonen werden zusatzbelastet, da sie für die ausgefallene Person einspringen müssen. ist der Aufwand Ferner muss berücksichtigt werden, dass sich der gesellschaftliche Blick auf das Berufsbild von Lehrpersonen stark gewandelt hat und heute eher einem Kultur-, Gesellschafts- und Sozialberuf mit bürokratischen Tätigkeiten entspricht. Lehrpersonen sind nicht mehr ausschliesslich für die Wissensvermittlung da, sondern nehmen vermehrt auch kultur-, gesellschafts- und sozialspezifische Verantwortungen wahr. Zusätzlich für bürokratische Tätigkeiten gestiegen (Schaarschmidt 2007; Nieskens 2006; Sieland 2006; Bauer 2009; Kunz et al. 2014). Die Lehrpersonen sind demnach einem ständigen Veränderungsprozess ausgesetzt und konfrontiert mit wandelnden Ansprüchen in Bezug auf den Arbeits-, Lern- und Lebensraum. Die steigenden Anforderungen an Lehrpersonen sorgen für spezifische Belastungen. Denn Lehrpersonen nehmen zudem verschiedene Rollen gegenüber Eltern, Lernenden, Schulleitung, Behörden und anderen Bezugsgruppen ein, was zu einer multikausalen Beziehungsgestaltung und deren Pflege führt, mit sehr unter- schiedlichen Interessen, Konflikten und Herausforderungen. 97 Seite 3

2. Problemstellung Bereits in der vorhergehenden 2. Veröffentlichung wurde darauf verwiesen, dass die Struktur des Lehreralltages in einer hohen Form komplex ist. Die Notwendigkeit der Gesundheitserhaltung und -förderung wurde inzwischen von allen beteiligten Akteuren, den betroffenen Lehrpersonen selbst, den Schulleitungen, den politischen Akteuren der Schulverwaltung, den Ärzten und dem Gesundheitssystem erkannt. Während das Ziel der einen ist, vor allem über die Kostenersparnis zu agieren, damit weder Langzeiterkrankungen von Lehrpersonen noch Dauerausfall dieser im Schuldienst als hohe Kostenfaktoren relevant werden, sollte die Zielsetzung der anderen, nämlich betroffenen Lehrpersonen, vor allem die Erhaltung der eigenen Gesundheit im Hinblick auf ein erfüllt positives physisches und psychisches Berufs- und Privatleben sein. Um an diesen Punkt zu gelangen, gibt es unterschiedliche Wege, die gegangen werden können. Neben der Teilnahme an gesundheitsfördernden Massnahmen, die wiederum von verschiedenen Akteuren angeboten werden, sollte oder muss der Weg zur Gesunderhaltung auch über die Person selbst mittels Selbstreflexion führen. Aus der Erkenntnis der Betroffenen heraus ist es umsetzbar, dass diese in sich und für sich selbst Kompetenzen entwickeln, mit denen sie in die Lage versetzt werden, die Balance zwischen den hohen und komplexen Anforde- rungen aus ihrem Schulalltag und den Erholungs- und Regenerationsphasen im Privatleben in ein gutes Gleichgewicht zu bringen, sodass nicht der negative Regelfall eintritt, dass die wenige Freizeit nicht mehr für die Regeneration ausreicht und die Fenster der Regeneration immer kleiner werden. In diesen Fällen gelangen Lehr- personen in einen Kreislauf aus kontinuierlicher Arbeitsüberlastung, die dann doch an irgendeinem Zeitpunkt im physischen und psychischen Zusammenbruch endet. Aus diesem Grund bildet die Resilienz den Schwerpunkt dieser Veröffentlichung. Es geht um die Entwicklung eigener Kompetenzen, eigener Stärke, die nicht erst dann gesucht werden kann, wenn die physische und psychische Belastungsgrenze bereits erreicht ist, sondern die lange schon im Vorfeld als Grundlagenkompetenz existent sein sollte. Der Fragestellung, wie realistisch es ist, diese Grundlagen- kompetenzen sehr früh zu üben, zu aktivieren und immer wieder auch einzusetzen, soll in dieser Veröffentlichung besprochen werden. 98 Seite 4

3. Handlungsansatz Für die Entwicklung einer stabilen Gesundheitskompetenz muss der Aufbau der Resilienz mitberücksichtigt werden. Dabei geht es um die Fähigkeit für das Auffinden von Gesundheitsinformationen, deren inhaltlichem Verständnis, dem persönlichen Bewerten, für sich annehmen und für sich umsetzen. Es geht darum, dass gesundheitliche Entscheidungen getroffen werden. Das alles macht in der Gesamtsumme die Gesundheitskompetenz eines Menschen aus. Wird nun der Blick wieder auf den Schulalltag und den Arbeitsbereich Schule gerichtet, so können zwei Kategorien identifiziert werden. Dabei handelt es sich um die organisatorische Schnittstellenintervention und um die individuelle Schnittstellen- intervention (Patovirta et al., 2014, S. 415–427). Die organisatorische Schnittstellen- intervention umfasst die Schulkultur und die gängige Praxis an der Schule. Sie hat Einfluss auf den unmittelbaren Schulalltag. Dabei liegt der Schwerpunkt allerdings auf der organisatorischen Ebene. Die Bereiche der organisatorischen Schnittstellen- intervention sind vielfältig. In diese gehören der Kommunikationsablauf zwischen den Lehrpersonen und ihren Schulleitungen. Das beinhaltet weiter grundsätzliche Prozesse von Leadership, deren Werkzeug unter anderem gute Kommunikation ist. Schulleitungen haben die Aufgabe, für eine Reduzierung der Arbeitsbelastungen zu sorgen. Schulleitungen haben im Rahmen von guter Leadership auch die Pflicht, interne Schulungsangebote zu konzipieren und zu organisieren. Ihre Aufgabe ist es weiter, Angebote von Fort- und Weiterbildung in den Ablauf des Schulalltages und die Schulstruktur zu implementieren. Zuguterletzt kümmert sich eine gute Schulleitung um die Einhaltung und Umsetzung von Gesundheitsrichtlinien an der Schule, da diese in der Schweiz gesetzlich verankert ist. Beide Kriterien, sowohl die organisatorische als auch die individuelle Schnittstellen- organisation, legen ihren Fokus auf soziale Unterstützung der Lehrpersonen. Die individuelle Schnittstellenintervention richtet sich auf die persönlichen Bedürfnisse der Lehrpersonen aus. Hier geht es um die sozialen Beziehungen und die individuellen Bedürfnisse der Lehrpersonen, was die kollegiale Zusammenarbeit, den Blick auf die Unterrichtsqualität, den kollegialen Austausch, eine produktive, Seite 5 99

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konstruktiv kritische und positive Feedbackkultur, das Durchführen von Hospitationen und Rollenübernahmen beinhaltet. Daraus lässt sich die Schlussfolgerung ableiten, dass es sinnvoll ist, an den Schulen vor Ort Gesundheitsprogramme zu installieren. Dieses Unterfangen sorgt indirekte Kosteneinsparungen auf Seiten der Verwaltungs-strukturen aus Schulamt und Krankenkassen, jedoch vor allen Dingen führt es zu einer Verhinderung und Verminderung von Leidensdruck bei den jeweilig betroffenen Lehrpersonen und gleichzeitig erhöht es die Tragfähigkeit des Systems. Die Verbesse-rung der Gesundheit und die Erweiterung der eigenen Kompetenzen sind die Folge. für An diesem Punkt kommt der Aspekt der Resilienz zum Tragen, der im Alltags- gebrauch der Menschen gleichermassen häufig diskutiert wird wie in der wissen- schaftlichen Literatur und Forschung. Begonnen wird mit der Frage nach dem Begriff der Resilienz, der so häufig genutzt wird. Hier finden sich unterschiedliche Erklärungs- und Definitionsansätze, die Hilber (2021) in ihrer Dissertation darlegt. Der Begriffs- ursprung kommt aus dem Lateinischen resilire (vgl. Ritz 2014 & 2015; Semling & Ellwart 2016) und kann mit zurückspringen oder abprallen gleichgesetzt werden. Renneberg und Hammelstein (2006, S. 18) beschreiben Resilienz als die Fähigkeit eines Menschen, mit den Krisen, die in einem Lebenszyklus auftreten, über das Nutzen von sozial vermittelten und persönlichen Ressourcen umzugehen und diese zu bewältigen. Das bedeutet, es geht um persönliche Bewältigungsstrategien. Neben den Definitionen werden auch Metaphern verwandt, um Resilienz und deren Bedeutung zu beschreiben. Eines ist der Vergleich mit dem stark wehenden Wind und den Wurzeln, die ein Bambusrohr ausbilden muss, damit es bei Windstärke eine gute Chance zu wachsen hat. Je mehr der Wind dann zunimmt, umso stärker und kräftiger werden die Wurzeln des Bambusrohrs. Übersetzt bedeutet dies nicht mehr und nicht weniger als das Wachsen an den eigenen Lebenskrisen, dann, wenn sich derjenige mit ihnen auseinandersetzt (Matyssek, 2014, S. 32). Resilienz hat immer auch mit dem Vorhandensein von Spannkraft und Widerstands- fähigkeit zu tun. Menschen, die über Resilienz verfügen, besitzen eine starke Persönlichkeit, die es ermöglicht, dass der enorme psychische Druck abfällt und keinen Schaden anrichtet (Götze, 2013, S. 21). Neben dieser starken Persönlichkeit 100 Seite 6

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helfen individuelle Erfahrungen, die dafür Sorge tragen, nicht krank zu werden (Leypold, 2013, S. 6). Ritz (2014, S. 12) beschreibt innere und äussere Bedrohungs- faktoren, die dafür verantwortlich sind, dass sich Resilienz bemerkbar macht. In der Literatur finden sich, wie an diesen unterschiedlichen Ausführungen deutlich wird, sehr viele Ansätze im Kontext von Resilienz. Die funktionale Resonanzanalyse kann als ein systemischer Ansatz mit vier Grundbausteinen gesehen werden. Dabei handelt es sich um Antizipation, Identifikation, Reaktion und aus Fehlern lernen (Hollnagel, 2012, S. 25). Ein weiterer systemischer Ansatz wird von der Gesund- heitsförderung Schweiz geliefert (2018, S. 10). Sie rückt das Ungleichgewicht der systemischen Belastung ins Zentrum. Heller (2018, S. 16) legt seinen Schwerpunkt auf die menschliche Psyche und damit auch auf den seelischen Widerstand oder besser die seelische Widerstandskraft eines Menschen. Dabei wird Resilienz als flexibles Material beschrieben. Dieses ist dafür geschaffen, Einflüsse, die von aussen auf die Person zukommen, zu ertragen und gleichzeitig auch abzuwehren. Ist dies geschehen, kehrt dieses Material wieder in seine ursprüngliche Form zurück. Diese Beschreibung lässt sich bildhaft wie ein beweglicher Schutzschild um die Person vorstellen, die schützt und bei der Heilung hilft (Heller, 2018, S. 28). Rolfe (2018, S. 11) bezieht die Forschung mit ein, indem er sich auf die Führungs- forschung konzentriert, was wiederum als ein gut ausgeprägtes Leadership seitens der Schulleitungen als Mittel zur Gesundheitsförderung über Stressregulation zu sehen ist. Er implementiert die Führungsforschung und Leadership, die als Mittel zum Stressmanagement und der Coping-Strategien zu verstehen sind. Natürlich ist bezogen auf die Führungsforschung dieser Aspekt von guter Führung im Hinblick auf ein Stressmanagement an Schulen sehr wichtig, doch damit auch stets abhängig von der Qualität von Führung. Gelingt es nicht, hier an Schulen gute Qualität von Mitarbeiterführung in diesen vorzuhalten, dann ist die eigene Kompetenz der betreffenden Lehrpersonen und deren Resilienz immer auch die sichere Variante, parallel mit Stresssituationen umgehen zu können. Die Zugänge zu Resilienz mögen verschieden sein, aber seit Jahrzehnten steht sie als Thema im Raum und ist für die Erforschung durch die Wissenschaft noch lange nicht abgearbeitet. Resilienz ist, so beschreibt es die Autorin der Dissertation auf der 101 Seite 7

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Grundlage der von ihr herangezogenen Literatur, in folgender Weise in dieser beschrieben: Sie ist die Fähigkeit, Krisen im Lebenszyklus zu meistern, indem der Mensch sich auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen konzentriert und die Krise als Anlass für die persönliche Entwicklung nutzt (Enderlin 2006, S. 13). Resilienz steht in einem unmittelbaren Zusammenhang von Spannkraft und Widerstandsfähigkeit, zeigt sich durch eine starke Persönlichkeit, die sich von ihren individuellen Erfahrungen nährt. Innere und äussere Bedrohungsfaktoren setzen Resilienz in Gang. Die vier bereits benannten Grundbausteine des systemischen Ansatzes, Antizipation, Identifikation, Reaktion und aus Fehlern lernen, werden ebenso in der Literatur beschrieben. Auch das schon erwähnte Ungleichgewicht als eine systemische Belastung der menschlichen Psyche wird in der Literatur im Kontext der Resilienz thematisiert und zeigt somit als letztes Beispiel in der langen Folge von Themen um die Resilienz herum, wie vielgestaltig der Zugang zur Resilienz ist und stets in Abhängigkeit von der Perspektive der Betrachtung zu sehen ist. Daraus ergibt sich eine Fokussierung auf die sieben Säulen der Resilienz, die Salutogenese und das Kohärenzgefühl. Als Vertreter des salutogenetischen Modells steht Antonovsky mit seinen Gedanken immer wieder im Zentrum. Er zeichnet auch die Verwandtschaft von Kohärenz und Nachhaltigkeit deutlich auf. Eine gewisse Überschneidung von psychologischen Konzepten ist belegbar und mit Antonovsky (1996, S. 11–18) zu untermauern. Gesundheit und Krankheit sind ein Kontinuum, da Belastungen und Alltagsschwierig- keiten ein integraler Bestandteil des Lebens der Menschen sind. Aus diesem Verständnis entsteht die Auffassung von Nachhaltigkeit. Sie unterstützt das Individuum zu überleben, und nicht nur das, sondern auch dabei, sich mit den Schwierigkeiten auseinanderzusetzen und sie zu überwinden. Resilienz sorgt nicht nur dafür, dass der Mensch mit belastenden Situationen umgehen kann und umzugehen lernt, sie trägt ausserdem zum persönlichen Wachstum der Menschen bei. Die psychische Gesundheit setzt sich aus dem gesundheitlichen Allgemeinzustand, dem Wohlbefinden, der Lebensqualität und der Genesung und den Behandlungs- wegen zusammen und damit ist auch die Resilienz eine Summe von Eigenschaften liegen des Menschen. In der Betrachtung der psychologischen Perspektive 102 Seite 8

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verschiedene Resilienzebenen vor. Diese schaffen es, dass der Mensch sich schneller von negativen Erfahrungen erholt. Negative Erfahrungen entstehen durch Stress, Ärger, Trauma, Bedrohung und Schicksal. Die Erholung von diesen Situationen geschieht über überkompetentes und adaptives Funktionieren. Das heisst, Resilienz ist eine Aktivität und kein Besitzstand, zumindest sieht das Siebert (2005) so. Spirituelle Resilienz, positive Überzeugungen, Haltungen und Werte und das sich daran orientieren wirken förderlich. Ein positiv gelebter Alltag stärkt die Person in ihrer Verantwortung für sich selbst, der inneren Kraft, Selbstverwirklichung, Transzendenz und ihrem Selbstverständnis. Das Streben nach einem Gefühl von Harmonie kann in der Gemeinschaft die soziale und auch die spirituelle Resilienz verbessern. Mitgefühl im Alltag hat dabei einen hohen Stellenwert. Die Resilienzforschung macht deutlich, dass Liebe, Freundlichkeit und Mitgefühl für uns und andere unser Selbstvertrauen stärken. Es geht darum, sinnvolle und fürsorgliche Beziehungen aufzubauen, um die Widerstandsfähigkeit und das Wohlbefinden des Einzelnen und der Gesellschaft zu steigern, die Menschenrechte sowie die körperliche und geistige Gesundheit zu fördern. Kohärenzgefühl wiederum meint den Zusammenhalt oder die Konsistenz. Nach Antonovsky (1987, S. 34) ist das ein Teil der Salutogenese und des Konzeptes als Basis für ein dynamisch andauerndes Gefühl des Vertrauens. Je besser ein Mensch mit verschiedenen Situationen zurechtkommt und diese gut einordnen kann, umso mehr ist für ihn das Leben geniessbar. «eine globale Orientierung, die das Mass ausdrückt, in dem man ein durchdringen- des, andauerndes, aber dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass die eigene interne und externe Umwelt vorhersagbar ist und dass es eine hohe Wahrscheinlich- keit gibt, dass sich die Dinge so entwickeln werden, wie vernünftigerweise erwartet werden kann» (Antonovsky 1997, S.16) 103 Seite 9

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Es sind die Grundeinstellungen des Menschen, zu seiner Umwelt und zu seinen Mitmenschen, die eine grosse Rolle einnehmen. Bestimmt werden diese Grund- einstellungen durch soziale, historische, kulturelle und individuelle Umstände. Die Persönlichkeit und die unterschiedliche Lebenserfahrung tragen Sorge, dass das bei jedem Menschen anders ist. Im Leben entstehen Lernprozesse und Entwicklung. Mit dem Alter steigt zwar die Lebenserfahrung, jedoch nimmt die Flexibilität zum Denken ab. Weiter werden noch die Komponenten Klarheit, Verwaltbarkeit und Inhalt aufgeführt. Klarheit beschreibt den kognitiven Mechanismus zur Überwindung, was bedeutet, die Aufgabe und Sachlage werden verstanden. Beherrschbarkeit zeigt, welche Strategien zur Problemlösung herangezogen werden, und die Sinnhaftigkeit beinhaltet die emotionale Komponente. Neue und ungewohnte Situationen stellen Heraus- forderungen dar, allerdings werden sie nicht als Belastungen eingestuft. Das wiederum wirkt sich positiv auf die Lösungsversuche inklusive der Bewältigungssituation aus und am Ende entsteht ein erhöhtes Selbstwertgefühl. Das Führen eines sinnhaften Lebens, eingebunden in die sozialen Netzwerke aus Familie und Freunden und mit Sinngebung durch Erfüllung im Beruf, führen in der Summe zu einer Verminderung von Stress und damit weniger Belastungssituationen. Übersetzt auf den Lehrberuf bedeutet dies, dass natürlich das Verhalten von Schulleitern und deren Kompetenzen als Führungspersonen eine grosse Rolle spielt. Schulleitungen, welche die Fähigkeit besitzen, in all der Dichte an hohen Anforderun- gen, die an Lehrpersonen im Schulalltag gestellt werden, die Fähigkeit aufbringen, die Lehrpersonen zu stützen. Dies ist ein gewichtiger Faktor auf dem Weg zu einem guten Umgang mit Stress und dem Aufbau der Resilienz-Kompetenz. Daneben jedoch gilt, dass die Lehrpersonen selbst und das machte die in diese Ausführungen eingearbeitete Literatur sehr deutlich, eine Strategie für sich entwickeln müssen, die sie dazu befähigt, mit den Belastungen, die ihr Beruf mit sich bringt, gut umzugehen und dabei so umzugehen, dass sie nicht krank werden. Es geht in diesem Kontext nicht ausschliesslich um Strategien, sondern wie bereits erwähnt, um den Aufbau von Resilienz. Das Literaturstudium vermag zu verdeutlichen, dass Resilienz nichts ist, was sich eine Lehrperson kaufen kann, sondern etwas ist, 104 Seite 10

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was sich über einen längeren Zeitraum und bedingt durch unterschiedliche Ausgangs- faktoren entwickelt. Gerade für junge Lehrpersonen, ist dieses Wissen um das Stress- management und der Erwerb der Bewältigungsstrategien ein wichtiger Aspekten einer funktionierenden Gesundheitsvorsorge, um ein Wissensfeld zu beleuchten, mittels dem Lehrpersonen befähigt werden, für die eigene Gesundheit und das dort verankerte Gesundheitsmanagement eigenverantwortlich Sorge tragen zu können. Je früher junge und angehende Lehrpersonen dieses Wissen erlangen, umso positiver wirkt es sich auf ihr eigenes Interagieren mit sich und ihrer Umwelt aus. Ziel dabei ist, Lehrpersonen kontinuierlich auch durch Eigenverantwortung dazu zu befähigen, sorgsam mit den eigenen Kräften zu haushalten und in allem Engagement für den Lehrberuf dafür Sorge zu tragen, für diesen lange gesund und leistungsfähig zu bleiben. Ist dieses Wissen nicht vorhanden, so sind Interventionen dann zu spät, wenn Lehrpersonen in einer Spirale aus Dauerbelastung und physischer bis psychischer Überforderung angekommen sind. Resilienz muss sich vorher entwickeln, damit sich damit ein Schutzschild für den Menschen aufbauen lässt, dass er über die Jahre aufgrund seiner Erlebnisse, seiner Erfahrungen und des damit entstandenen Wissens generiert. Nicht umsonst sind die sieben Säulen der Resilienz, die innerhalb dieser Ausführungen erwähnt wurden, Optimismus, Akzeptanz, Lösungsorientierung, sich selbst regulieren können, Verantwortung übernehmen, Beziehungen und Zukunft ge- stalten. Sie konzentrieren sich auf die Kompetenz des Menschen und der Aktivierung seiner eigenen Fähigkeiten und Stärken, inmitten einer positiven Einstellung zum Leben und einem gut funktionierenden Netzwerk. 105 Seite 11

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4. Literaturverzeichnis Antonovsky, A. & Franke, A. (1997): Salutogenese: Zur Entmystifizierung der Gesundheit. (Deutsche erw. Herausgabe von Alexa Franke). Tübingen: DGVT Verlag Betriebliches Gesundheitsmanagement Grundlagen und Trends (2018). [online] https://gesundheitsfoerderung.ch/sites/default/files/migration/documents/Bericht_007 _GFCH_2018-11_-_BGM_-_Grundlagen_und_Trends.pdf.[07.07.2023]. Götze, U. (2013): Resilienzentwicklung im Personalmanagement. Angebote zur Steigerung psychischer Widerstandsfähigkeit von MitarbeiterInnen, S. 21. Wiesbaden: Springer VS. Heller, J. (2018): Resilienz für die VUCA-Welt. Individuelle und organisationale Resilienz Entwickeln. Wiesbaden: Springer Fachmedienverlag. Hollnagel, E. (2012): FRAM: the Functional Resonance Analysis Method: Modelling Complex Sociotechnical Systems, Farnham, S. 12. London Ashgate. Leypold, H. (2013): Das Resilienzmodell als bestimmender Einflussfaktor für erfolgreiche Organisations- und Personalentwicklung (2., überarbeitete Aufl.). Schriften der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften an der SRH Hochschule Heidelberg. Berlin. Matyssek, K. (2014): CSR und gesunde Führung Werteorientierte Unternehmensführung und organisatorische Resilienzsteigerung. Heidelberg, Berlin: Springer Gabler. Patovirta, Teija, Aino und Tuula H. (2014): Auswirkungen der Schimmelsanierung auf die Gesundheit von Schullehrpersonen. Internationale Zeitschrift für Umweltgesundheitsforschung. 2004;14(6): 415–427. Renneberg & Hammelstein (2006): Gesundheitspsychologie. S. 18. Heidelberg: Springer Medizin Verlag. Ritz, F. (2014): Organisationale Resilienz. In U. Bargstedt, G. Horn & A. van Vegten (Hrsg.), Resilienz in Organisationen stärken, S.12. Vorbeugung und Bewältigung von kritischen Situationen (S. 3–24). Frankfurt a. M.: Verlag für Polizeiwissenschaft. Rolfe, M. (2018): Positive Psychologie und organisationale Resilienz. Stürmische Zeiten besser Meistern, S. 11. Springer Verlag, Berlin. 106 Seite 12

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„DIE SGB II REFORM IN DEUTSCHLAND – INTENDIERTE Ausgabe Sommer 2023 Wiener Universitäre Schriften WIRKUNG DES BÜRGERGELDES“ „DIE SGB II REFORM IN DEUTSCHLAND – INTENDIERTE WIRKUNG DES BÜRGERGELDES“ S. Jahjah1 University of Library Studies and Information Technologies, Sofia S. Jahjah1 Keywords: Bürgergeld, Fachkräftemangel, SGB II, Arbeitslosigkeit, Qualifizierung, Sozialstaat University of Library Studies and Information Technologies, Sofia Keywords: Bürgergeld, Fachkräftemangel, SGB II, Arbeitslosigkeit, Qualifizierung, Sozialstaat ABSTRACT ABSTRACT Das Sozialstaatsprinzip ist im Grundgesetz als Staatsziel der Bundes- republik Deutschland verankert. Nach intensiven Diskussionen ist zum 01. Januar 2023 das Bürgergeld-Gesetz in Kraft getreten. Mit der Einführung hat die Bundesregierung eine große Sozialreform auf den Weg gebracht. Eine wesentliche Rolle des Bürgergelds wird die stärkere Förderung von beruflicher Weiterbildung sein. Die intendierte Wirkung der SGB II Reform „Bürgergeld“ sieht vor, dass staatliche Hilfe bürgernäher, unbürokratischer und zielgerichteter sein soll. Das Sozialstaatsprinzip ist im Grundgesetz als Staatsziel der Bundes- republik Deutschland verankert. Nach intensiven Diskussionen ist zum 01. Januar 2023 das Bürgergeld-Gesetz in Kraft getreten. Mit der Einführung hat die Bundesregierung eine große Sozialreform auf den Weg gebracht. Eine wesentliche Rolle des Bürgergelds wird die stärkere Förderung von beruflicher Weiterbildung sein. Die intendierte Der folgende Artikel beschäftigt sich vorangehend mit der Frage, Wirkung der SGB II Reform „Bürgergeld“ sieht vor, dass staatliche Hilfe was Bürgerinnen und Bürger mit der intendierten Wirkung zu erwarten bürgernäher, unbürokratischer und zielgerichteter sein soll. haben und welche Änderungen auf sie zukommen. Der folgende Artikel beschäftigt sich vorangehend mit der Frage, was Bürgerinnen und Bürger mit der intendierten Wirkung zu erwarten haben und welche Änderungen auf sie zukommen. 1 Sarah Jahjah, sarah.jahjah2@outlook.de 1 Sarah Jahjah, sarah.jahjah2@outlook.de Seite 1 109

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 1. Einführung Das Bürgergeld-Gesetz stellt eine grundlegende Reform der im Sozialgesetzbuch II (SGB II) geregelten Grundsicherung für Arbeitssuchende dar. Umgangssprachlich ist diese staatliche Leistung als „Hartz IV“ bekannt. Rein begrifflich ersetzt das neue Bürgergeld das bisherige Arbeitslosengeld II für erwerbsfähige Leistungsberechtigte und das Sozialgeld für nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Die Reform beinhaltet zudem einige Veränderungen. Nach wie vor stellt das Bürgergeld allerdings ein nachrangiges, steuerfinanziertes und bedürftigkeitsgeprüftes soziales Sicherungsmittel für Erwerbsfähige Leistungs- berechtigte dar. Einerseits soll das Bürgergeld den Leistungsempfängern ein menschenwürdiges Leben sichern, andererseits aber auch die Eigenverantwortung stärken und sie bei der Arbeitsaufnahme unterstützen. Ziel ist nach wie vor, eine langfristige Anbindung auf den ersten Arbeitsmarkt zu generieren, damit der Lebens- unterhalt möglichst aus eigenen Mitteln bestritten werden kann. Dieser Artikel soll aufzeigen, welche grundlegenden Veränderungen das Bürgergeld-Gesetz mit sich bringt und welche Auswirkungen auf die erwerbsfähigen Leistungsempfänger damit einhergehen. Dabei werden ausgewählte Veränderungen aufgegriffen und näher erläutert. Abb. 1: Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) – Zeitreihengrafik. Entwicklung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. (Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Juli 2023) 110 Seite 2

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 Die vorangehende Statistik zeigt einen langsamen, aber stetigen Rückgang der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten auf. Ein leichter, aber nicht irrelevanter, Auf- schwung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist mit Einführung der Bürgergeld- Reform erkennbar. Diese Tatsache geht mit den Änderungen durch das Bürgergeld- Gesetz einher auf die im weiteren Verlauf dieser Arbeit eingegangen wird. 2. Deutschland ein Sozialstaat Die Entwicklung der Sozialgesetzgebung in Deutschland umfasst eine lange Geschichte und ist mit dem Aufbau des Sozialstaats verbunden. Das Gebot des Sozialstaats ist im Grundgesetz in Artikel 20 Abs. 1 verankert, worin es heißt „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“. Eine genaue Definition eines Sozialstaats ist in der Literatur nicht auffindbar, jedoch zeichnet sich ein Sozialstaat anhand der Ausrichtung seiner Sozialpolitik aus. Als Sozialstaat kann ein Staat bezeichnet werden, in dem jedes Individuum eine menschenwürdige Existenz finden kann. Das Sozialstaatsprinzip bedeutet nicht nur soziale Mindeststandards wie z. B. das Existenzminimum, sondern vor allem auch die Beachtung der Normen der sozialen Sicherheit und der sozialen Gerechtigkeit (Pilz, 2004, S. 47). Das Gebot des Sozialstaats gehört zu den Elementarprinzipien des Grundgesetzes, so dass eine legale Abschaffung dessen unmöglich ist. Die daraus resultierende Ewigkeitsgarantie ist in § 79 Abs. 3 GG verankert. Die Entwicklung Deutschlands zum Sozialstaat lässt sich in viele Epochen einteilen, bei denen wichtige Meilensteine gelegt worden sind. Staatliche Sozialpolitik im Deutschen Kaiserreich bis zum Ende des ersten Weltkriegs (1839 – 1918) Die Zeit zwischen dem Beginn der staatlichen Sozialpolitik und dem Ende des ersten Weltkriegs war die Zeit des Übergangs vom Agrar- zum Industriestaat. Daraus resultierte, dass die Zahl der abhängig Beschäftigten von etwa 15 Mio. in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf 30 Mio. stieg, Daraus resultierte ebenso das steigende Volks- einkommen im gleichen Zeitraum um das Vierfache. Somit waren die wirtschaftlichen Bedingungen gegeben, die die Entwicklung einer staatlichen Sozialpolitik voraus- gesetzt waren. 111 Seite 3

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 Bis zur Sozialversicherungsgesetzgebung Bismarcks im Jahr 1881 war der Sozialpolitik neben ihrer Aufgabe des Existenzschutzes sozial Schwacher vor allem der Aufgabe gewidmet, die Loyalität der Arbeiter gegenüber dem Staat zu erhalten und einen Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung zu verhindern (Lampert & Bossert, 1992, S. 43). Zusammenfassend erwiesen sich im Hinblick auf die Entwicklung des Sozialstaates unter anderem folgende Daten und Ereignisse während der Zeit des Kaiserreichs: 1883 Errichtung der Krankenkassenversicherung für Arbeiter 1884 Errichtung der Unfallversicherung für Arbeiter 1889 Errichtung der Alters- und Invalidenversicherung 1911 Gründung der Rentenversicherung der Angestellten 1916 Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer und Anerkennung der Gewerkschaften Staatliche Sozialpolitik in der Weimarer Republik (1919 – 1933) Der Weimarer „Sozialstaat“ ist aus Sicht seiner Gesetzgebung bereits sehr um- fassend und beinhaltete ein sehr breites Verständnis von sozialer Gerechtigkeit, ein Verständnis, dass durch Parteien, Verbände und Politik öffentliche Meinung konstituiert wurde. Hierunter waren diverse veränderliche, durch Gesetzgebung zu vollziehende Ordnungen vertreten, u. a. folgende Felder (Becker & Hockerts, 2010, S. 68 – 69): Verteilungsgerechtigkeit durch den Staat, präventiver und korrigierender Arbeitsschutz, Mitgestaltung und Mitbestimmung am Arbeitsplatz und im Unter- nehmen, Etablierung des Arbeitsrechts und der Arbeitsgerichtsbarkeit, Regulierung von Konflikten am Arbeitsplatz durch Tarifwesen, Weiterentwicklung und Ausbau der Sozialversicherungswerke, Schutzmaßnahmen genereller Prävention (Menschen- rechte, Kinderschutz, Familienpolitik, Gleichstellung der Geschlechter, Bildungspolitik etc.). Vergleicht man die Sozialgesetzgebung der Weimarer Republik mit der des Kaiserreichs, lassend sich grundlegende Unterschiede und Weiterentwicklungen feststellen (Reidegeld, 2006, S. 204). Grundlegende Veränderungen sind in der Charakteristik der Sozialpolitik erkennbar, indem der Wandel von ehemals staatsautoritärer und teilweise repressiver Sozialpolitik des Kaiserreichs nunmehr die Sozialpolitik eines demokratischen Rechtsstaates eintrat (Loth & Kaiser, 1997, S. 156). Bedingt durch die Weltwirtschaftskrise ab 1929 stieg jedoch die Arbeitslosenzahl von 1,4 Millionen 1982 auf 5,6 Millionen 1932. Resultierend hieraus stieg die Nachfrage zu Sozialleistungen ebenfalls sprunghaft. Sinkende Löhne bewirkten den 112 Seite 4

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 Rückgang des Beitragsvolumens in die Sozialversicherung, wodurch das Brutto- sozialprodukt von 1929 bis 1932 um 29,7 % gemindert wurde (Lampert & Bossert, 1992, S. 47). Der wachsende Unmut in Folge der Unfinanzierbarkeit des sozialen Sicherungssystems hatte katastrophale Folgen für die weitere Entwicklung Deutschlands. Sie erleichterte den Nationalsozialisten die Machtübernahme (Pilz, 2004, S. 29 – 39). Entwicklung der staatlichen Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland (1949 – 1990) Das politische Leben in Deutschland nach Ende des Krieges begann im sozialen Chaos. Das Dritte Reich war in einem enormen materiellen und vor allem moralischen Zusammenbruch untergegangen. Der Personen-, Waren- und Leistungsverkehr zwischen Deutschland und dem Weltmarkt war unterbrochen (Kistler, 1986, S. 47). Auf der Grundlage dieser Sozialen Marktwirtschaft setzte sich 1949 eine Periode hohen wirtschaftlichen Wachstums und steigender Beschäftigung ein, die allgemein als eine Art „Wirtschaftswunder“ empfunden wurde. Der daraus resultierende Rückgang der Nachkriegsarbeitslosigkeit ab 1957 brachte mehr als eineinhalb Jahrzehnte weitgehend Vollbeschäftigung mit sich. Reform des deutschen Sozialsystems und Arbeitsmarktes (2002 – 2022) Die Reform des deutschen Sozialsystems und des Arbeitsmarkts, Hartz-IV-Reform, hatte sowohl eine effizientere Gestaltung der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland als auch die Reformierung der staatlichen Arbeitsvermittlung im Sinn der raschen und nachhaltigen Vermittlung in Arbeit zum Ziel. Darunter versteht der Gesetzgeber mit- unter die Schaffung neuer Beschäftigungsfelder und den Bau von mehr Brücken für den Übergang in Arbeit. Hauptziel der Reform ist die Verringerung der Massenarbeits- losigkeit und die damit einhergehende Entlastung der Steuerzahler. Für erwerbsfähige Leistungsberechtigte ist im weitesten Sinne somit jede Arbeit zumutbar, woraus sich die Begrifflichkeit des „Vermittlungsvorrangs“ ableiten lässt. Zudem unterliegen erwerbsfähige Leistungsberechtigte den Mitwirkungspflichten, wie z. B. der Teilnahme an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Damit verspricht sich die Bundesregierung eine neue Dynamik für den Arbeitsmarkt und trotz Massen- arbeitslosigkeit Aufbruchstimmung. Die Arbeitsgrundlage der Hartz-Kommission war der Umbau der Arbeitsförderung zu einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik und nicht die Entwicklung eines beschäftigungspolitischen Programms. 113 Seite 5

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 Über die Wirksamkeit der Hartz-IV-Reform wird bis heute diskutiert. Fakt ist jedoch, dass die Massenarbeitslosigkeit nicht mehr vorhanden ist und ein Problem der Gesellschaft darstellt. Mit Einführung der Reform ist über die Jahre hinaus die Arbeitslosenquote von ehemals 11,7 Prozent kontinuierlich bis heute auf rund 5 Prozent gesunken. 3. Änderungen durch das Bürgergeld-Gesetz Die Bürgergeldreform bzw. Das Bürgergeld-Gesetz geht mit einigen Änderungen einher. Zu den zentralen Änderungen gehört unter anderem die Anhebung der Regelsätze. Eine deutliche Erhöhung der Regelsätze hat zum 01.01.2023 stattgefunden. Damit hat die Politik mit Anpassung der Regelsätze auf die starke Preissteigerung in Deutschland reagiert. Künftig soll im Voraus, statt im Nachhinein die Inflation bei der jährlichen Anpassung der Regelsätze berücksichtigt werden. Der gesetzliche Fort- schreibungsmechanismus ist in § 28 a SGB XII geregelt. Danach erfolgt die Fort- schreibung auf der Grundlage eines Mischindexes aus Preis und Lohnentwicklung. Abb. 2: Höhe der Regelleistungen in Euro nach Regelbedarfsstufe (RBS) (Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an Paritätischer Wohlfahrtsverband) Die Grenze des Schonvermögens wurde mit Einführung des Bürgergeld-Gesetzes erhöht und nicht mehr altersabhängig gestaltet. Gem. § 12 SGB II werden insbe- sondere folgende Vermögensgegenstände nicht mehr berücksichtigt: Vermögen bis zu 15.000 € je in der Bedarfsgemeinschaft lebende Person, Altersvermögen in unbegrenzter Höhe, selbstgenutzte Immobilie einer Wohnfläche von max. 140 (Haus) bzw. 120 Quadratmeter (Wohnung), angemessenes Kraftfahrzeug. 114 Seite 6

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 Die zudem neu eingeführte einjährige Karenzzeit zu Beginn des Leistungsbezugs kommt dem Leistungsempfänger ebenfalls entgegen. Während diesem Zeitraum wird nur dann Vermögen berücksichtigt, wenn es „erheblich“ ist. Demnach erhöht sich der Vermögensfreibetrag von 15.000 Euro auf 40.000 Euro, für alle weiteren Personen in der Bedarfsgemeinschaft bleibt es jedoch bei 15.000 Euro. In der besagten Karenzzeit bleibt eine selbstgenutzte Immobilie unabhängig von der Wohnfläche unberücksichtigt. (Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit, 2022, S. 6). Das Subsidiaritätsprinzip findet auf Grundlage der Sozialstaatlichkeit in Deutschland Anwendung. Nach diesem Prinzip erhalten Personen nur dann Unter- stützungsleistungen, wenn sie weder von anderen Einrichtungen (z. B. Arbeitsagentur, Krankenkasse) Leistungen erhalten, noch in ihrer Familie oder selbst über genügend Vermögen oder Einkommen verfügen (SOVD, 2022, S. 13 – 14). Dem zur Folge wird die Erhöhung des Schonvermögend größtenteils kritisch bewertet, da die großzügige Auslegung dessen dem Subsidiaritätsprinzip widerspricht. Dies wirft vor allem bei Erwerbstätigen Personen Gerechtigkeitsfragen auf, indem Steuerzahlungen den Vermögenserhalt von Bürgergeldempfängern finanzieren. Vermutlich schwächt die großzügige Auslegung des Vermögensfreibetrags den Anreiz, den Leistungsbezug schnell wieder zu beenden. Zudem finden sich Neuregelungen im Umgang mit Sanktionen bei Pflicht- verletzungen. Als Zwischenschritt, bis zur gesetzlichen Regelung des Bürgergelds, sind im Juli 2022 mit Einführung des Sanktionsmoratoriums (BMAS, 2022), die Leistungsminderungen bei Pflichtverletzungen befristet für die Dauer eines Jahres ausgesetzt worden. Das Sanktionsmoratorium wurde mit Einführung des Bürgergeld-Gesetztes auf- gehoben, so dass Leistungsminderungen bei Pflichtverletzungen und Meldeversäum- nissen wieder ab Beginn des Leistungsbezugs möglich sind. Das Bundesver- fassungsgericht entschied zudem, dass Sanktionen auf maximal 3o Prozent zu begrenzen sind (Bundesverfassungsgericht, 2019, BvL 7/16). Vergleicht man das vorangegangene Gesetz mit dessen Regelungen, ist eine deutliche Abmilderung der Leistungsminderung erkennbar. Mit Inkrafttreten der beschlossenen Neufassung der §§ 15, 15 a SGB II ist die bisherige Eingliederungsvereinbarung abgelöst worden und wird nunmehr durch den Kooperationsplan ersetzt. Grundsätzlich verbleibt es bei einer vergleichbaren Ziel- 115 Seite 7

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 setzung, jenseits der Begrifflichkeit. Dabei greifen zwei nennenswerte Unterschiede zwischen alter und neuer Regelung. Die erste Einladung zur Erstellung des Kooperationsplans erfolgt ohne eine Belehrung über die Rechtsfolge und somit ohne eine direkte Sanktionsmöglichkeit gem. § 15 Abs. 4 SGB II. Im weiteren Verlauf des Gesetzes steht eine Sanktions- möglichkeit jedoch zur Verfügung. Die bisherige Möglichkeit eines Verwaltungsaktes aus behördlicher Sicht bei Nichtübereinstimmung über den Inhalt der Vereinbarung entfällt. Vielmehr soll das eingeführte Schlichtungsverfahren zur Anwendung kommen, während dessen Laufzeit Pflichtverletzungen nicht zu Sanktionen führen können. 4. Weg von der Arbeitslosigkeit, hin zur Weiterbildung Mittlerweile verzeichnet Deutschland einen Fachkräftemangel, der glücklicherweise noch nicht als flächendeckend bezeichnet werden kann. Unabdinglich ist es jedoch, dass staatliche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um dem Fortschreiten entgegen zu wirken. Laut BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) fehlten im Jahr 2022 in Berufen der Sozialarbeit rund 23.100 Fachkräfte. Auch in der Kinderbetreuung und -erziehung fehlten mit 22.500 ähnlich viele Fachkräfte. Damit klafft im Bereich der Sozialberufe die größte Fachkräftelücke des deutschen Arbeitsmarkts (Statista, 2022). Als Reaktion setzt der Gesetzgeber mit Neufassung des § 3 SGB II und der Abschaffung des Vermittlungsvorrangs den Fokus auf die herausragende Bedeutung eines Berufsabschlusses und Weiterbildung im Allgemeinen. Die Verbesserung der Qualifikation verdeutlicht nachhaltig die Chance auf eine dauerhafte Anbindung an den Arbeitsmarkt und damit eine Verminderung oder Beendigung der Hilfebedürftigkeit. Die Formulierung „insbesondere“ im § 3 Abs. 1 Satz 3 SGB II öffnet sich der Verzicht auf den Vermittlungsvorrang auch für nicht abschlussbezogene Weiterbildungen, sofern diese im Einzelfall notwendig sind. Immer mehr Regionen und Branchen beklagen, offene Stellen nicht mit geeigneten Fachkräften besetzen zu können. Viele Unternehmen fürchten, ihr Angebot langfristig einschränken oder sogar Aufträge ablehnen zu müssen. Im Wesentlichen sind dafür drei Entwicklungen verantwortlich. Zum einen die Demografie, da unsere Gesellschaft immer älter wird und mehr Erwerbstätige in Rente gehen als junge Jahrgänge 116 Seite 8

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 nachrücken (BMAS, Fachkräftestrategie, 2022). Auch die Digitalisierung um herrscht den Arbeitsmarkt und wandelt nicht nur Arbeitsplätze, sondern ganze Branchen. Die Fachkräftestrategie der Bundesregierung lässt unschwer erkennen, dass zeitgemäße und gezielte Weiterbildungen die Fachkräftesicherung in Deutschland gewährleisten können. Schließlich ist die Bürgergeld-Reform mitsamt ihrer Weiterbildungspolitik eine, von einigen Reaktionen der Bundesregierung, um das Fachkräftepotential in Deutschland zu wecken. 5. Ergebnis / Erkenntnis Trotz einiger zielführender und transparenter Einzelmaßnahmen fällt die Gesamt- bewertung der Bürgergeld-Reform kritisch aus. Vor allem die Erhöhung der Regelsätze und des Schonvermögens wird als kontraproduktiv wird als Gefahr deklariert, in der Langzeitarbeitslosigkeit zu landen und dort auch zu bleiben. Auch die zukünftige Finanzierungsfrage der Bürgergeld-Reform ist weiterhin umstritten. Das Grund- problem, dass sich die Aufnahme oder Ausweitung einer Erwerbstätigkeit in vielen Fällen kaum lohnt, bleibt bestehen. Die grundsätzliche Stoßrichtung des „Förderns“ und der „Weiterbildung“ der Bundesregierung ist grundsätzlich genau die richtige. Das Zusammenspiel von Beschränkungen der Sanktionsmöglichkeiten, die Karenzzeit, der Kooperationsplan als Grundlage der Zusammenarbeit auf Augenhöhe und das damit verbundene Schlichtungsverfahren in Konfliktfällen stimmen die Bevölkerung hoffnungsvoll. Vor Allem der Wegfall des Vermittlungsvorrangs stimmt die Bevölkerung in die richtige Zukunft. Auf diese Weise kann für erwerbsfähige Leistungsbezieher nun die dauer- hafte Integration in den Arbeitsmarkt explizit angestrebt werden. Die Bürgergeld-Reform enthält insgesamt zahlreiche Maßnahmen, die der Fach- kräftesicherung dienen, vor allem im Bereich der abschlussorientierten Weiter-bildung. Diese Verbesserungen sind gesamtbetrachtend positiv zu betrachten. Einheitlich geltend wird der Grundsatz verfolgt: Weg von den Sanktionen, hin zu Anreizen und Kooperationen, weniger Bürokratie und gelebte Augenhöhe. Damit können die um- strittenen Maßnahmen auch einen wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten. 117 Seite 9

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Sommer 2023 6. Literaturverzeichnis Becker, U. & Hockerts, H. G. (2010). Sozialstaat Deutschland. Geschichte und Gegenwart. Bonn: Dietz Verlag. 68-69. Bundesagentur für Arbeit. Deutscher Bundestag. Ausschuss für Arbeit und Soziales. 2022-11-03. Verfügbar unter: Bundesministerium für Arbeit und Soziales. (2022). Fachkräftestrategie der Bundesregierung. 2022-11-01. Der Paritätische. (2022). Fortschreibung der Paritätischen Regelbedarfsforderung. 2022-11-03. Verfügbar unter: https://www.der- paritaetische.de/fileadmin/user_upload/StellungnahmeParitaetAnhoerungBuergergeld.pdf, [28.08.2023]. Kistler, H. (1986). Die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland seit 1945. Landberg am Lech: moderne Industrie AG & Co. 47. Lampert, H. & Bossert, A. (1992). Sozialstaat Deutschland. Opladen: C. H. Beck. 43-47. Loth. W. & Kaiser, J. C. (1997). Soziale Reform im Kaiserreich. Protestantismus, Katholizismus und Sozialpolitik. Stuttgart: W. Kohlhammer. 156. Pilz, F. (2004). Der Sozialstaat. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. 29-47. Reidegeld, E. (2006). Staatliche Sozialpolitik in Deutschland. Band II: Sozialpolitik in Demokratie und Diktatur 1919 -1945. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. 204-206. Sozialverband Deutschland. (2022). Entwurf eines Zwölften Gesetztes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und andere Gesetze – Einführung des Bürgergeldes. 2022-11-04. Verfügbar unter: https://www.sovd.de/fileadmin/bundesverband/pdf/stellungnahmen/hartz-iv/sovd- stellungnahme-gesetzentwurf-buergergeld.pdf, [28.08.2023]. Statista. (2022). Berufe mit den größten Mangel an Fachkräften in Deutschland im Jahr 2022. Verfügbar unter: Verfügbar unter: https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/Broschueren/fachkraeftestrategie- der-bundesregierung.html, [28.08.2023]. Wittig, R. & Niekisch, M. (2014). Biodiversität: Grundlagen, Gefährdung, Schutz. Berlin Heidelberg: Springer. 535-536. 118 Seite 10

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 „DIE EINSTELLUNGS-VERHALTENS-LÜCKE IM LEBENSMITTELEINZELHANDEL“ „DIE EINSTELLUNGS-VERHALTENS-LÜCKE IM LEBENSMITTELEINZELHANDEL“ A. Jessat1 University of Library Studies and Information Technologies, Sofia A. Jessat1 Keywords: Einstellung, Verhalten, Divergenz, Lebensmittel- einzelhandel, Einstellung-Verhaltens-Modell. University of Library Studies and Information Technologies, Sofia Keywords: Einstellung, Verhalten, Divergenz, Lebensmittel- einzelhandel, Einstellung-Verhaltens-Modell. 1. ABSTRACT 1. ABSTRACT Wie ist unsere Gesellschaft eigentlich gegenüber Nachhaltigkeit im Lebensmitteleinzelhandel eingestellt? Befragungen zeigen eine große Begeisterung der Gesellschaft sich nachhaltig zu verhalten und zu engagieren, gleichzeitig stellen Untersuchungen heraus, dass das nachhaltige Engagement der Gesellschaft Grenzen hat. In diesem Artikel wird herausgearbeitet, welche Kriterien die Konsumenten wesentlich von einem nachhaltigen Konsum abhalten und zu einem konventionellen Kauf leiten. Zudem wird untersucht, inwieweit ein Bewertungsschemata von nachhaltigen Kriterien bei Obst- und Gemüseartikeln im Lebensmitteleinzelhandel einen Einfluss auf das nachhaltige Konsumverhalten hat und wie dieses eine Annäherung zwischen Einstellung und Verhalten bewirken kann. Wie ist unsere Gesellschaft eigentlich gegenüber Nachhaltigkeit im Lebensmitteleinzelhandel eingestellt? Befragungen zeigen eine große Begeisterung der Gesellschaft sich nachhaltig zu verhalten und zu engagieren, gleichzeitig stellen Untersuchungen heraus, dass das nachhaltige Engagement der Gesellschaft Grenzen hat. In diesem Artikel wird herausgearbeitet, welche Kriterien die Konsumenten wesentlich von einem nachhaltigen Konsum abhalten und zu einem konventionellen Kauf leiten. Zudem wird untersucht, inwieweit ein Bewertungsschemata von nachhaltigen Kriterien bei Obst- und Gemüseartikeln im Lebensmitteleinzelhandel einen Einfluss auf das nachhaltige Konsumverhalten hat und wie dieses eine Annäherung zwischen Einstellung und Verhalten bewirken kann. 1 Annika Jessat; 65527 Niedernhausen, Quarzweg 1 Seite 1 1 Annika Jessat; 65527 Niedernhausen, Quarzweg 1 121

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 1. Einführung Das Thema Nachhaltigkeit beschäftigt die Gesellschaft immer mehr und ist - nicht zuletzt durch die aktuellen politischen Bewegungen, wie zum Beispiel von „Klimaklebern“ - omnipräsent. In der Lebensmitteleinzelhandelsbranche wurde das Thema Nachhaltigkeit bereits früh durch Initiativen wie „Bio“ oder „Fairtrade“ aufgenommen und in den Fokus gerückt. Ein Branchenvergleich zeigte, dass die Konsumgüter- und Handelsbranche seit der Aufzeichnung von Umweltberichten Spitzenreiter bei der CO²-Einsparung ist. Außerdem haben sich 88 % der Nahrungsmittelunternehmen zum STBi-Standard und damit zur Ausrichtung der Geschäftsaktivitäten auf das Erzielen des 1,5 Grad-Celsius- Vorhabens verpflichtet (Schadow, Deuscher, Deppisch, Bradbury, 2022, S. 5-8). Bei Betrachtung der Konsumenten zeigt sich ebenfalls eine verstärkte Berück- sichtigung nachhaltiger Aspekte beim alltäglichen Lebensmittelkonsum. 75 % der Konsumenten beschaffen sich proaktiv Informationen zu dem Produkt und den Produktinhalten und rund 50 % sogar Informationen zu der Produktherkunft und -herstellung (Kunst, 2019). Zur Schaffung eines ganzheitlichen Ansatzes für nachhaltiges Konsumbewusstsein hat Professor Doktor Balderjahn und seine Kolleginnen und Kollegen in Konsistenz zum Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit (Ökologie, Soziales und Ökonomie) die Skala „Consciousness for Sustainable Consumption“ entwickelt. Mit Hilfe dieser Skala wird der nachhaltige Konsum der Gesellschaft in die folgenden drei Dimensionen unterteilt (Balderjahn et al., 2013, S. 181-192). 122 Seite 2

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Abb. 1: Bewusstsein für nachhaltigen Konsum (Quelle: in Anlehnung an Balderjahn et al., 2013, S. 190-191) Der ökologische Verbraucher konsumiert ressourcenschonend, recycelte oder recycelbare Produkte sowie Produkte mit reduzierter oder ohne Verpackung. Kriterien wie faire Arbeits- und Lohnbedingungen sind Teil der sozialen Dimension. Trotz der Berücksichtigung eines ökologisch-sozialen Konsums, der die Umwelt im Vergleich zu einem konventionellen Konsum schont, wird die Umwelt weiterhin belastet, da der Verbrauch an sich durch einen schonenden Konsum nicht gänzlich eingestellt wird. Diese Komponente wird durch die ökonomische Dimension berücksichtigt. Ein ökonomisch bewusst konsumierender Kunde fragt sich vor jedem Kauf, ob der Konsum wirklich notwendig ist. Demnach beschränken sich diese Kunden in ihrem allgemeinen Konsumverhalten und vermeiden im Überfluss zu konsumieren und einen nicht-nachhaltigen Konsumstil zu folgen. Eine Alternative zum Konsum stellt in der ökonomischen Dimension das Sharing oder Leihen da. Hierbei wird der Konsum nicht getätigt aber die Produktnutzung bleibt erhalten (Ballantine et al., 2010). für umweltfreundliches Verhalten Obwohl das generelle Bewusstsein in Deutschland sehr hoch ist und die Gesellschaft in den verschiedenen Dimensionen ihr nachhaltiges Konsuminteresse kundgibt, konnte nachgewiesen werden, dass diese Einstellung und das tatsächlich nachhaltige Verhalten stark voneinander abweichen (Orbell & Sheeran, 1989). Seite 3 123

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Fishbein und Ajzen arbeiteten verschiedene Kriterien zur genaueren Verhaltens- vorhersage in ihrem Modell heraus. Demnach steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Individuum entsprechend verhält, wenn die Intention dieses bestimmte Verhalten auszuführen, hoch ist. Folgt man den Verhaltensweisen des Homo Oeconomicus könnte aus rein sachlicher Analyse individuelles Verhalten abgeleitet werden. Allerdings haben Untersuchungen gezeigt, dass die rein rationale Verhaltensableitung zahlreiche Verhaltensanomalien aufgezeigt hat. Daraus wurde die Annahme abgelei- tet, dass Verhalten nicht rein rational begründbar ist, sondern emotionale Kompon- enten ebenfalls auf das Konsumverhalten wirken (Fishbein, 1967; Ajzen, 1980). Die folgende Abbildung stellt drei weitere Kategorien dar, die das Eintreten für ein spezifisches Verhalten beeinflussen. Abb. 2: Theorie des überlegten Handelns (Quelle: Fishbein, 1967; Ajzen, 1980) Eines der drei Einflussfaktoren ist die subjektive Norm, worunter der soziale Druck verstanden wird, zum Beispiel durch die Gesellschaft, ein bestimmtes Verhalten auszuführen. Im Kontext des Konsums von nachhaltigen Artikeln wäre ein Beispiel für die subjektive Norm, dass Individuen nachhaltige Artikel konsumieren, weil es die Gesellschaft von Ihnen fordert. Somit resultiert das Verhalten nicht aus intrinsischer, 124 Seite 4

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 sondern extrinsischer Überzeugung. Darüber hinaus gibt es Faktoren, die auf die Kontrolle eines bestimmten Verhaltens wirken können und somit ein bestimmtes Verhalten fördern oder hemmen. Diese Dimension ist vom Individuum nicht direkt beeinflussbar, wirkt sich aber ebenfalls auf die Verhaltensintention aus (Ajzen, 1991, S. 188; Conner & Sparks, 2007, S. 172-176). Beispielsweise beeinflusst die Verfüg- barkeit von finanziellen Mitteln den nachhaltigen Konsum und ist unter der wahr- genommen Verhaltenskontrolle zu verstehen. Bei einem eingeschränkten finanziellen Spielraum kann das Individuum sein Verhalten nur bedingt kontrollieren. Selbst wenn die Motivation des Individuums für den Konsum nachhaltiger Artikel spricht, muss sich das Individuum aufgrund der finanziellen Lage für den kostengünstigeren, konser- vativen Artikel entscheiden (Gowdy, 2008, S. 636; Carrigan & Attalla, 2001, S. 570). Als dritter und laut Studien größter Einflussfaktor gilt die „Einstellung“ des Konsumenten (Geise, W. & Pömpner, A., 2019). Die Einstellung eines Individuums bezieht sich auf die Bewertung für oder gegen die Ausführung eines bestimmten Verhaltens und den Konsequenzen, die aus diesem Verhalten folgen. Eine Einstellung entsteht aus Erfahrungen und Wissen und ist somit erlernt (Kuß, A. & Tomczak, T., 2007, S.55). Es konnte festgestellt werden, dass trotz einer positiven Einstellung eines Individuums gegenüber einem Verhalten, dieses nicht zwangsläufig auch ausgeführt wird. Die Einstellung der Konsumenten wird durch emotionale und kognitive Komponenten beeinflusst. Darunter zählen beispielsweise zusätzliche Kosten, die dem Individuum für nachhaltigen Konsum im Vergleich zu konventionellem Verbrauch entstehen. Außerdem kann die Kognition eine Rolle spielen, da Konsumenten, wenn sie nicht gerade im Nachhaltigkeitsumfeld der Lebensmittelbranche tätig sind, nur das Wissen im Kontext von nachhaltigem Konsum besitzen, dass ihnen von Erzeugern oder dem Lebensmitteleinzelhandel kommuniziert wurde. Da die Transparenz über eine nachhaltige Kommunikation an vielen Stellen noch Optimierungspotenzial auf- weist, kann der Konsument vor diesem Hintergrund auch nur bedingt die richtige Konsumentscheidung treffen. Nicht zuletzt aufgrund der nur bedingten Transparenz über die Wertschöpfungskette von nachhaltigen Produkten, ist das Vertrauen gegen- über den Herstellern eine essenzielle Komponente. Konsumenten müssen Erzeugern von nachhaltigen Produkten vertrauen, um sich gegebenenfalls für ein teureres Produkt und folglich für einen nachhaltigen Konsum zu entscheiden (Baron, 2004). Seite 5 125

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 John B. Watson stellte bereits in den 1920er Jahren fest, dass diese aufgeführten Verarbeitungsprozesse der Konsumenten von außen nur schwer ersichtlich sind. Je nach Individuum können sich einzelne Komponenten mehr oder weniger auf das Konsumverhalten auswirken. Daher ist es für Erzeuger und den Lebensmitteleinzel- handel wichtig zu wissen, dass diese Einflussfaktoren eine wichtige Rolle beim Kaufverhalten spielen. Außerdem können Parteien durch kontinuierliche Beobachtung des Konsumentenverhaltens auf Veränderungen entsprechend frühzeitig reagieren (Watson, 1970). Die Divergenz, die zwischen beobachtbarer Einstellung und tatsächlichem Verhalten auftritt, wird als Einstellungs-Verhaltens-Lücke bezeichnet (Orbell & Sheeran, 1989). Eine von vielen möglichen Maßnahmen, um Fehlinterpretationen von Konsumentenverhalten vorzubeugen, ist dessen konsistente Beobachtung und der daraus folgenden Ableitung von Regeln und Gesetzmäßigkeiten (Gerckens, Läubli, Wachinger, Zgraggen, 2021). 2. Methode Die Arbeit zielt auf die Herausarbeitung möglicher Gründe für die präsente Einstellungs-Verhaltens-Lücke in der Konsumgüter- und Handelsbranche ab. Hierzu wurden im ersten Schritt mit Hilfe einer umfassenden Recherche der Stellenwert von Nachhaltigkeit in der Gesellschaft sowie die Nachhaltigkeitsbedeutung in den verschiedenen Branchen herausgearbeitet. Dabei wurde die Konsumbranche als Vorreiter herausgestellt. Auf dieses Ergebnis hin wurden die Recherchen auf die Verhaltenspsychologie ausgeweitet und diverse Nachhaltigkeitsmodelle zum Konsum- verhalten analysiert. Zusätzlich wurden die Einflusskomponenten auf Verhalten im Rahmen der „Theorie des überlegten Handelns“ nach Fishbein & Ajzen untersucht und somit Ursachen für die Einstellungs-Verhaltens-Lücke herausgearbeitet (Fishbein & Ajzen, 1980). 126 Seite 6

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 3. Ergebnis / Erkenntnis Die Recherche hat sich auf das Thema Nachhaltigkeit in der Konsumgüter- und Handelsbranche fokussiert und herausgestellt, dass Konsumenten ihren nachhaltigen Konsum in drei verschiedenen Dimensionen leben können, die einander nicht ausschließen. Diese Dimensionen, abgeleitet vom Drei-Säulen-Modell (Ökologie, Soziales und Ökonomie), wurden im Rahmen der Skala „Consciousness for Sustainable Consumption“ dargelegt. Darauf aufbauend wurde die Divergenz zwischen der Intention eines Individuums und dem tatsächlichen Verhalten aufgeführt. Das Modell „Theorie des überlegten Handelns“ hat durch drei auf die Einstellung wirkende Komponenten, eine Ursache für die Ungleichheit zwischen Einstellung zu einem Verhalten und dem tatsächlichen Verhalten beschrieben. Damit hat die Untersuchung verdeutlicht, dass die Divergenz durch verschiedene Komponenten begründet werden kann. Einerseits kann vermutetes Verhalten nicht eintreten, wenn es zuvor ausschließlich aus einer rationalen Perspektive analysiert wurde. Anderer- seits können ökologische, soziale und ökonomische Einflussfaktoren vernachlässigt worden sein. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, dass die Faktoren „subjektive Norm“, „Verhaltenskontrolle“ und „Einstellung“ nicht ausgiebig oder fehlerhaft analysiert wurde. In Summe ist es vor dem analysierten Hintergrund herausfordernd Verhalten vorherzusagen. Um Verhalten so genau wie möglich antizipieren zu können, ist es wichtig, Trends und Themen, die die Gesellschaft bewegen sowie die allgemeine finanzielle Entwicklung genau zu beobachten, um die Themen der Gesellschaft frühzeitig zu adressieren und für die Konsumenten attraktiv zu bleiben. Seite 7 127

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 4. Literaturverzeichnis Ajzen, I. (1991). The theory of planned behavior. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 2, 179-211. Balderjahn, I., Buerke, A., Kirchgeorg, M., Peyer, M., Seegebarth, B. & Wiedmann, K.-P. (2013). Consciousness for sustainable consumption: Scale development and new insights in the economic dimension of consumers’ sustainability. In: AMS Review 3/4: 181–192. Ballantine, P.W. & Creery, S. (2010). The consumption and disposition behaviour of voluntary simplifiers. In: Journal of Consumer Behavior 9/1: 45–56. Baron, J. (2004). Cognitive Biases, Cognitive Limits, and Risk Communication. Journal of Public Policy & Marketing, 23 (1), 7-13. Behrenbeck, C., Läubli, D., Wachinger, T. & Zgraggen, E. (2021). Die Krise und die neuen Konsumenten. Köln: McKinsey & Company. Carrigan, M. & Attalla, A. (2001). The myth of the ethical consumer – do ethics matter in purchase behaviour? Journal of Consumer Marketing, 18 (7), 560- 578. Conner, M. & Sparks, P. (2007). Theory of Planned Behaviour and Health Behaviour. In Conner, M. & Norman, P. hg. Predicting Health Behaviour: Research and Practice with Social Cognition Models. Maidenhead, 170-222. Fishbein, M. & Ajzen, I. (1980). Understanding Attitudes and Predicting Social Behavior. Englewood Cliffs, NJ: Pearson. Gowdy, J. M. (2008). Behavioral economics and climate change policy. Journal of Economic Behavior & Organization, 68 (3-4), 632-644. Kuß, A. & Tomczak, T. (2007). Käuferverhalten: eine marketingorientierte Einführung. Stuttgart: Lucius & Lucius. 5. Orbell, S. & Sheeran M. (1998). 'Inclined abstainers': A problem for predicting health-related behaviour. British Journal of Social Psychology, 37(2), 151-165. Pömpner, A. & Geise, W. (2019). Zur Anwendung der Theorie des geplanten Verhaltens auf den Kauf von Fairtrade-Lebensmitteln durch Jugendliche – Eine empirische Studie, Verfügbar unter: https://ageconsearch.umn.edu/record/292312, [2023-24-07]. Schadow, A., Deuscher, B., Deppisch, G. & Bradbury, S. (2022). Unternehmen auf dem Weg in die Klimaneutralität, Verfügbar unter: 20220502-lbbw-coroporatesd-blickpunk-nachhaltiger- umbau_aers1cwh6e_m.pdf, [2023-18-07]. Watson, J. B. (1970). Behaviorism. New York: W. W. Norton & Company. 128 Seite 8

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 „DAS ONLINEZUGANGSGESETZ ALS TREIBER DER VERWALTUNGSDIGITALISIERUNG IN DEUTSCHLAND“ „DAS ONLINEZUGANGSGESETZ ALS TREIBER DER VERWALTUNGSDIGITALISIERUNG IN DEUTSCHLAND“ S. Kupp1 S. Kupp1 University of Library Studies and Information Technologies, Sofia University of Library Studies and Information Technologies, Sofia Keywords: Digitalisierung, Verwaltung, Gesetz, Bund, Behörden, Verwaltungsleistungen, OZG, Künstliche Intelligenz, Digitale Transformation Keywords: Digitalisierung, Verwaltung, Gesetz, Bund, Behörden, Verwaltungsleistungen, OZG, Künstliche Intelligenz, Digitale Transformation ABSTRACT ABSTRACT Die öffentliche Verwaltung in Deutschland wird durch Megatrends wie Digitalisierung, Digitale Transformation, Künstliche Intelligenz zunehmend beeinflusst. Die öffentliche Verwaltung in Deutschland wird durch Megatrends wie Digitalisierung, Digitale Transformation, Künstliche Intelligenz zunehmend beeinflusst. Die Herausforderungen bei der Umsetzung von elektronischen Verwaltungsleistungen für Bürgerinnen und Bürger sind sichtbar. Die Herausforderungen bei der Umsetzung von elektronischen Verwaltungsleistungen für Bürgerinnen und Bürger sind sichtbar. Trotz der gesetzlichen Regelung wie das Onlinezugangsgesetz (OZG), welches als Grundlage und Treiber für die Verwaltungs- digitalisierung dient, kommt die Umsetzung nur schleppend voran. Trotz der gesetzlichen Regelung wie das Onlinezugangsgesetz (OZG), welches als Grundlage und Treiber für die Verwaltungs- digitalisierung dient, kommt die Umsetzung nur schleppend voran. In diesem Artikel wird die der aktuelle Umsetzungsstand des Onlinezugangsgesetzes (OZG) sowie Verbesserungen durch dessen mögliche gesetzliche Novellierung aufgezeigt. In diesem Artikel wird die der aktuelle Umsetzungsstand des Onlinezugangsgesetzes (OZG) sowie Verbesserungen durch dessen mögliche gesetzliche Novellierung aufgezeigt. 1 Simon Kupp; D-Lahnstein, Brückenstraße 40; simon.kupp@gmail.com 1 Simon Kupp; D-Lahnstein, Brückenstraße 40; simon.kupp@gmail.com 131 Seite 1

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 1. Einführung Das im Jahre 2017 wirksam gewordene Onlinezugangsgesetz (OZG) war der Beginn für die Verwaltungsmodernisierung der öffentlichen Verwaltung (Bundesministerium des Innern und für Heimat, 2023). Das Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen (OZG) verpflichtet gem. § 1 Abs.1 OZG die Bund und Länder bis spätestens zum Ablauf des fünften auf die Verkündung dieses Gesetzes folgenden Kalenderjahres ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten. Aus der Verpflichtung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) sind die Digitalisierung sowie die digitale Vernetzung als die beiden wesentlichen Aufgaben zu nennen (Bundesministerium des Innern und für Heimat, 2023). Neben der Schaffung einer IT-Infrastruktur, die jede Nutzerin und Nutzer einen komfortablen Zugriff mit wenigen Klicks auf die Verwaltungsleistungen ermöglichen soll, ist die Nutzerorientierung bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) von größter Wichtigkeit (Bundesministerium des Innern und für Heimat, 2023). Die Fristsetzung bis Ende des Jahres 2022 hinsichtlich der Umsetzung aller Verwaltungsleistungen in elektronischer Form konnte indes nicht gehalten werden (Bundesministerium des Innern und für Heimat, 2023). Insgesamt liegen ca. 600 zu digitalisierende Verwaltungsleistungen gem. Onlinezugangsgesetzes (OZG) zugrunde (Bundesministerium des Innern und für Heimat, 2023). Im Detail geht aus dem Leistungskatalog (Leika) der öffentlichen Verwaltung hervor, dass 115 Typ 1- Leistungen mit Regelungs- und Vollzugskompetenz beim Bund liegen. Darüber hinaus liegen 370 Typ 2/3-Leistungen ebenfalls in der Verantwortung des Bundes und 90 Typ 4/5-Leistungen bei Länder und Kommunen (Piesold, 2021, S. 62). Das Ziel dieses Artikels soll den Umsetzungsstand des Onlinezugangsgesetzes (OZG) und mögliche Ursachen für das Nichterreichen der vorgegebenen Ziele aufzeigen. Dabei wird zudem die Novellierung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) beleuchtet und mögliche Verbesserungen dargestellt. 132 Seite 2

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 2. Methode Für die Herausarbeitung dieses Artikels wurden die notwendigen Informationen über eine Literaturrecherche gesammelt, betrachtet und ausgewertet. Dabei wurden zunächst Daten gesammelt, die den Umsetzungsstand der OZG Verwaltungsleistungen in Deutschland darstellen. Im nächsten Schritt werden Verbesserungspotentiale des Onlinezugangsgesetzes (OZG) hinsichtlich einer Novellierung aufgezeigt. Daraus resultiert auch eine Vielzahl von gewonnenen Erkenntnissen, die zur Verbesserung und Weiterentwicklung des Onlinezugangs- gesetzes (OZG) miteinbezogen werden (Bundesministerium des Innern und für Heimat, 2023). Abb.1: Umsetzungsstand OZG-Leistungen (Quelle: Eigene Darstellung) Laut dem webbasierten Dashboard „Digitale Verwaltung“ sind nach aktuellem Stand 145 Verwaltungsleistungen bundesweit digitalisiert worden. Zum Jahreswech- sel 2022/2023 wurden über das Dashboard „Digitale Verwaltung“ 105 digitalisierte Seite 3 133

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Leistungen angezeigt (Bundesministerium des Innern und für Heimat, 2023). Folglich wurde von Mitte März 2022 nur weitere 25 Leistungen umgesetzt (Röhl, 2023, S. 5). Die möglichen Ursachen für die schleppende Umsetzung der Verwaltungs- leistungen gem. Onlinezugangsgesetz (OZG) könnte vor allem an den fokussierten Frontend-Systemen liegen (Piesold, 2021, S. 65). Dies wird bei der Digitalisierung von Antragsformen deutlich, da die Umsetzung von Verwaltungsleistungen des OZG lediglich eine reine fundamentale Veränderung zugunsten von Bürgerinnen und Bürger darstellt, aber nicht die nachgelagerte Prozesse der Verwaltung berück- sichtigt (Piesold, 2021, S. 65). Folglich werden dadurch Prozesse nicht effizient sowie medienbruchfrei umgesetzt, mit dem Ergebnis, dass eine vollständige Digitalisierung nicht erfolgt (Piesold, 2021, S. 65). Dies hätte insbesondere zur Folge, dass sich die Bearbeitungszeiten der Anträge und Vorgänge nicht verkürzen, sondern möglicherweise verlängern (Piesold, 2021, S. 65). Ebenso birgt die Übertragung von analogen verwaltungstechnischen Abläufen auf Online-Portale ohne ganzheitliche digitale Lösungen das Risiko, dass ein Mehr- aufwand für die Verwaltung entstehen könnte, was in Anbetracht des Fachkräfte- mangels zu weiteren Problemen führen könnte (Röhl, 2023, S. 13). Als weitere Ursache für die Verzögerung bei der Umsetzung von OZG-Leistungen ist die zu enge Ausrichtung an Papiervorgängen zu nennen, die in der Praxis für die Digitalisierung ungeeignet sind (Röhl, 2023, S. 5). Des Weiteren fehlte nach Inkrafttreten des OZG- Gesetzes im Jahre 2017 eine verbindliche Umsetzungsstrategie für alle Verwaltungs- ebenen in Deutschland. Auch die Einführung des EfA-Prinzips bzw. „Einer für Alle“- Prinzip, womit bereits entwickelte OZG-Leistungen von bestimmten Bundesländern und auf andere Länder und Kommunen übertragen werden sollten, brachte keinen spürbaren Effekt (Röhl, 2023, S. 12). Vor dem Hintergrund des Verfehlens der Umsetzung aller Verwaltungsleistungen zum Ende des Jahres 2022, gibt es eine Vielzahl von geplanten Maßnahmen, die im Hinblick auf eine geplante Novellierung des Onlinezugangsgesetzes (OZG), die zur Zielerreichung führen sollen (Röhl, 2023, S. 13). Aufgrund des Nichterreichens der 134 Seite 4

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Umsetzung aller Verwaltungsleistungen ist die Verwaltungsdigitalisierung als Dauer- aufgabe zu verstehen (Bundesministerium des Innern und für Heimat, 2023). Die folgenden Maßnahmen finden sich im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 23.08.2023 wieder und sollen zur Zielerreichung beitragen: Verbesserungspotentiale OZG Maßnahmen Streichung der OZG-Umsetzungsfrist und Einführung eines unterstützenden Monitorings Bereitstellung zentraler Basisdienste durch den Bund und infolgedessen Ersetzung landeseigener Entwicklungen für das Bürgerkonto und das Postfach Ersetzung der Schriftform sowie Einführung eines schriftformersetzenden qualifizierten elektronischen Siegels Regelung zu Digital-Only für Unternehmensleistungen Verbindlichkeit des einheitlichen Organisationskontos Bereitstellung eines einheitlich erreichbaren Beratungsangebots im Portalverbund Zentrale digitale Veröffentlichung relevanter Standards und Schnittstellen Regelung § 12 OZG §§ 3,13 OZG § 9a OZG § 1a OZG § 3 OZG § 3a OZG § 3b OZG Datenschutzregelungen für Onlinedienste nach dem „Einer-für-Alle“- Prinzip §§ 2,8a OZG Verbindlichkeit der Nutzerfreundlichkeit und Barrierefreiheit Tab. 1: Verbesserungspotentiale Onlinezugangsgesetz (OZG) (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 20/8093) § 7 OZG Die Tabelle zeigt deutlich, dass es Handlungsbedarf bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) gibt und dieser im Rahmen einer Gesetzesänderung Seite 5 135

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 realisiert werden soll. Mit der geplanten Gesetzesänderung bestehen allerdings weiterhin Risiken hinsichtlich einer schnellen Umsetzung. So ist gem. des Gesetz- entwurf der Bundesregierung geplant mit der Regelung gem. § 12 OZG die Um- setzungsfrist zu streichen (Bundesregierung Deutschland, 2023). Die neue Regelung gem. § 12 OZG birgt das Risiko, dass durch eine fehlende verbindliche Fristsetzung der Umsetzungszeitdruck genommen wird und weitere Verzögerungen entstehen könnten (Röhl, 2023, S. 13). Eine wichtige Änderung könnte sich durch die Ersetzung der Schriftform sowie Einführung eines schriftformersetzenden qualifi- zierten elektronischen Siegels handeln, denn dadurch könnten beispielsweise Anträge von Bürgerinnen und Bürgern gestellt werden, ohne die Verwaltung persönlich zwecks Unterschrift aufsuchen zu müssen. Des Weiteren steht die Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit, Bedienbarkeit und Barrierefreiheit im Fokus, die mit dem § 7 OZG-Änderungsgesetz (OZGÄndG) umgesetzt werden soll (Bundesregierung Deutschland, 2023). Die Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit von Bürgerinnen und Bürgern, die aus dem Umsetzungskatalog resultiert, stellt die höchste Priorität dar (Bundesministerium des Innern und für Heimat, 2023) 3. Ergebnis / Erkenntnis Die Untersuchung der Umsetzung der OZG-Verwaltungsleistungen zeigt deutlich, dass der Verbesserungsbedarf hoch ist. Von den insgesamt 575 OZG- Leistungen wurden bisher 145 Leistungen umgesetzt. Dies sind lediglich 25%. Der Verbesserungsbedarf resultiert daher, dass es bis Ende 2022 an einer ganzheitlichen Umsetzungsstrategie für alle Verwaltungsebenen fehlte. Des Weiteren ist die Novellierung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) zum OZG-Änderungsgesetz (OZGÄndG) zu erwähnen, wodurch sich Verbesserungen in der Nutzerfreundlichkeit und Bedienung ergeben sollten. 136 Seite 6

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 4. Literaturverzeichnis Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI). (2023). [online] Abrufbar unter: https://www.digitale-verwaltung.de/Webs/DV/DE/onlinezugangsgesetz/onlinezugangsgesetz- node.html [abgerufen am 30.10.2023]. Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI). (2023). [online] Abrufbar unter: https://www.digitale-verwaltung.de/Webs/DV/DE/onlinezugangsgesetz/das-gesetz/das-gesetz- node.html;jsessionid=4716884ADEF177417CDA82B151211269.1_cid378 [abgerufen am 30.10.2023]. Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI). (2023). [online] Abrufbar unter: https://dashboard.ozg-umsetzung.de [abgerufen am 01.11.2023]. Bundesregierung Deutschland (2023). Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Onlinezugangsgesetzes sowie weiterer Vorschriften zur Digitalisierung der Verwaltung (OZG- Änderungsgesetz – OZGÄndG) – Drucksache 20/8093 vom 23.08.2023. Piesold, Ralf-Rainer, (2021). Kommunales E-Government - Grundlagen und Bausteine zur Digitalisierung von Verwaltungen, S. 62-65. Röhl, Klaus-Heiner, (2023). Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland - Der Stand zum Zielzeitpunkt des Onlinezugangsgesetzes Anfang 2023, Köln: Institut der deutschen Wirtschaft, S. 5 -13. Seite 7 137

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Wiener Universitäre Schriften Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Ausgabe Herbst 2023 „DIE DIGITALE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN „DIE DIGITALE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND“ DEUTSCHLAND“ S. Kupp1 S. Kupp1 University of Library Studies and Information Technologies, Sofia University of Library Studies and Information Technologies, Sofia Keywords: Digitalisierung, E-Health, Gesundheitswesen, Verwaltung, International Keywords: Digitalisierung, E-Health, Gesundheitswesen, Verwaltung, International ABSTRACT ABSTRACT Die Gesundheitsversorgung in Deutschland steht vor mannig- faltigen Herausforderungen. So sind Themen wie die Digitale Trans- formation und Digitalisierung in aller Munde. Die Veränderungen durch die Digitale Transformation hat enorme Auswirkungen auf die Gesellschaft, Wirtschaft und den Staat. Die Gesundheitsversorgung in Deutschland steht vor mannig- faltigen Herausforderungen. So sind Themen wie die Digitale Trans- formation und Digitalisierung in aller Munde. Die Veränderungen durch die Digitale Transformation hat enorme Auswirkungen auf die Gesellschaft, Wirtschaft und den Staat. Durch den Einsatz digitaler Technologien in der Gesundheits- versorgung in Deutschland könnten Vorteile wie Kostenersparnisse und Nutzenpotentiale entstehen. Durch den Einsatz digitaler Technologien in der Gesundheits- versorgung in Deutschland könnten Vorteile wie Kostenersparnisse und Nutzenpotentiale entstehen. In dieser Arbeit wird die Entwicklung sowie der aktuelle Stand der In dieser Arbeit wird die Entwicklung sowie der aktuelle Stand der digitalen Gesundheitsversorgung in Deutschland untersucht. digitalen Gesundheitsversorgung in Deutschland untersucht. 1 Simon Kupp; 56112 Lahnstein, Brückenstraße 40; simon.kupp@gmail.com 1 Simon Kupp; 56112 Lahnstein, Brückenstraße 40; simon.kupp@gmail.com 139 Seite 1 Seite 1

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 1. Einführung Zurückblickend auf die Corona-Krise, ist die E-Health-Dynamik deutlich geworden. Folglich wurden während der Corona-Pandemie digitale Anwendungen wie etwa Echtzeit-Monitorings von Impfquoten, die Corona-Warn-App und der CovPass entwickelt (McKinsey & Company, 2022, S. 4). Dies verdeutlicht den neuen Ansatz des Gesundheitssektors neue digitale Technologien in Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft agil zu entwickeln. Des Weiteren wird deutlich, dass bereits während der Corona-Pandemie ein enormer Anstieg der Telemedizin-Leistungen beansprucht wurden (McKinsey & Company, 2022, S. 6). Durch das enorme Potential von digitalen Leistungen in der deutschen Gesundheitsversorgung, könnte sich Studien zufolge ein Nutzenpotential von 42 Milliarden Euro ergeben (McKinsey & Company, 2022, S. 1). Vom gesamten Nutzenpotential in Höhe von 42 Milliarden Euro wurden bisher jedoch nur 1,4 Milliarden Euro erschlossen (McKinsey & Company, 2022, S. 1). Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Entwicklung der digitalen Gesundheitsversorgung in Deutschland darzustellen und die Ursachen für die noch ausbaufähige digitale Gesundheitsversorgung aufzuzeigen. Dabei werden Einflüsse wie etwa die Corona- Pandemie berücksichtigt. 2. Methode Für die Herausarbeitung dieser Arbeit wurden die notwendigen Informationen über eine Literaturrecherche gesammelt, betrachtet und ausgewertet. Dabei wurden zunächst Daten gesammelt, die Deutschland beim Entwicklungs- stand der digitalen Gesundheitsversorgung im internationalen Vergleich darstellt. 140 Seite 2

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Abb.1: Internationaler Vergleich – Digital-Health-Index (Quelle: Eigene Darstellung, Digital-Health-Index in Anlehnung an Bertelsmann-Stiftung, 2018) Mit Blick auf den internationalen Vergleich wird deutlich, dass Deutschland großen Nachholbedarf hat, wenn es um die Umsetzung von digitalen Technologien im Gesundheitswesen. Estland ist mit großem Abstand auf Platz 1, gefolgt von Dänemark mit Rang 2. Dies verdeutlicht den Entwicklungsstand der digitalen Gesundheitsversorgung, da Deutschland mit Platz 16 nur den vorletzten Platz belegt. Die Gründe für die Rankings von Estland oder Dänemark resultiert aus mehreren Faktoren wie einer effektiven Strategie, politische Führung und einer Zuständigkeit zur Koordination für die Digitalisierungsprozesse (BertelsmannStiftung, 2022). Folglich werden Rezepte in den führenden Nationen bereits größtenteils digital übermittelt und Untersuchungsergebnisse, Medikationspläne oder Impfdaten können durch die Bürger online abgerufen werden (BertelsmannStiftung, 2022). Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Nutzenpotentiale und Nutzenrealisierung. Seite 3 141

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Potential Status 42. Mrd. Euro Chance für die Digitalisierung in Deutschland 42. Mrd. Euro Chance für die Digitalisierung in Deutschland 90 % der Arztpraxen sind an die Telematikinfrastruktur angeschlossen 96 % der Apotheken sind an die Telematikinfrastruktur angeschlossen 90 % der Arztpraxen sind an die Telematikinfrastruktur angeschlossen 90 % der Arztpraxen sind an die Telematikinfrastruktur angeschlossen Bislang nur 1,4 Mrd. Euro erschlossen 65 % der Arztpraxen sehen das Kosten-Nutzen-Verhältnis als Hürde für die Digitalisierung Davon beklagen sich 50 % über wöchentliche Fehler Bis Juli 2022 wurden nur 0,01 % aller Rezepte in einem Jahr verschickt 51 % haben die Befürchtung, dass das Patientenverhältnis durch die Digitalisierung leidet 14 % befürchten, dass es eine Verbesserung des Therapieerfolges gibt Tab. 1: Zentrale Ergebnisse - E-Health Monitor 2022 (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: McKinsey, 2022, S. 1) Die Tabelle zeigt deutlich, dass die möglichen Nutzenpotentiale bisher kaum realisiert werden. Von einem möglichen Potential über 42 Mrd. Euro wurden bislang nur 1,4 Mrd. Euro erschlossen. Zudem werden nur 0,01 % aller Rezepte pro Jahr online verschickt, obwohl 96 % der Apotheken eine Anbindung an die Telematik- infrastruktur haben. Des Weiteren sind 90 % der Arztpraxen an die Telematik- infrastruktur angeschlossen, wohingegen 50 % sich über wöchentliche Fehler beklagen. 142 Seite 4

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 3. Ergebnis / Erkenntnis Anhand den Statistiken ist zu erkennen, dass die Entwicklung der digitalen Gesundheitsversorgung in Deutschland im internationalen Vergleich noch weit zurückliegt. Neben der geringen Ausschöpfung des Potentials gibt es neben technischen Problemen in der Anwendung noch die Befürchtung von vielen Akteuren im Gesundheitswesen, dass sich das Patientenverhältnis sowie der Therapieerfolg durch digitale Infrastrukturen wie die Telematikinfrastruktur verbessern werden. Die Ursache für die kaum digitale Gesundheitsversorgung in Deutschland lässt sich anhand der folgenden Faktoren begründen keine Bundeseinheitlichen Initiativen - - Barrieren durch Datenschutz und Datensicherheit - geringe Akzeptanz bei Akteuren und Leistungserbringern im Gesundheitswesen - mangelnde technische Infrastruktur (Boston Consulting Group, 2023). 4. Literaturverzeichnis BertelsmannStiftung. (2021). [online] Abrufbar unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere- projekte/der-digitale-patient/projektthemen/smarthealthsystems/digital-health-index [abgerufen am 20.09.2023] Boston Consulting Group. (2023). [online] Abrufbar unter: https://www.bcg.com/publications/2023/germany-digitale-gesundheitsversorgung-was-deutschland- von-seinen-europaischen-nachbarn-lernen-kann [abgerufen am 23.09.2023] Müller, T. et al., (2022). E-Health Monitor – zentrale Ergebnisse. S. 1 – 4 In: McKinsey & Company, E-Health Monitor 2022, Deutschlands Weg in die digitale Gesundheitsversorgung – Status quo und Perspektive, Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. Seite 5 143

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„DIE VERBREITUNG DES ROPO-EFFEKTS Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 IN DEUTSCHLAND“ „DIE VERBREITUNG DES ROPO-EFFEKTS M. Meier1 IN DEUTSCHLAND“ University of Library Studies and Information Technologies, Sofia M. Meier1 Keywords: ROPO-Effekt, Showrooming, Webrooming, Konsumentenverhalten, Informations- und Kaufverhalten University of Library Studies and Information Technologies, Sofia Keywords: ROPO-Effekt, Showrooming, Webrooming, Konsumentenverhalten, Informations- und Kaufverhalten ABSTRACT Im vorliegenden Beitrag wird eine Übersicht über verschiedene Studien, die sich in den vergangenen Jahren mit der Verbreitung des ROPO-Effekts in Deutschland beschäftigt haben, gegeben. ABSTRACT Im vorliegenden Beitrag wird eine Übersicht über verschiedene Studien, die sich in den vergangenen Jahren mit der Verbreitung des ROPO-Effekts in Deutschland beschäftigt haben, gegeben. Die Ergebnisse der Studien deuten darauf hin, dass 1. es sich beim ROPO-Effekt um ein unter deutschen Konsumenten weit verbreitetes Phänomen handelt, 2. das Show- und Webrooming in etwa in gleichem Maße unter diesen verbreitet ist und 3. je jünger die Konsu- menten sind, desto verbreiteter sind die beiden Verhaltensweisen, weshalb auch in Zukunft von einem weiteren Anstieg der Verbreitung des ROPO-Effekts in Deutschland ausgegangen werden kann. Die Ergebnisse der Studien deuten darauf hin, dass 1. es sich beim ROPO-Effekt um ein unter deutschen Konsumenten weit verbreitetes Phänomen handelt, 2. das Show- und Webrooming in etwa in gleichem Maße unter diesen verbreitet ist und 3. je jünger die Konsu- menten sind, desto verbreiteter sind die beiden Verhaltensweisen, weshalb auch in Zukunft von einem weiteren Anstieg der Verbreitung des ROPO-Effekts in Deutschland ausgegangen werden kann. 1 Michael Meier; michael.meier.bwl@gmx.de Seite 1 1 Michael Meier; michael.meier.bwl@gmx.de 145

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 1. Einleitung Das Informations- und Kaufverhalten der Konsumenten hat sich in den vergangenen Jahren infolge der technologischen Entwicklungen, insbesondere im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien, erheblich verändert (Erd, 2019, S. 192). In vielen Fällen findet heutzutage von Seiten der Kunden ein Hin- und Herspringen zwischen verschiedenen Kanälen während des Kaufprozesses statt. Dieses sogenannte Channel-Hopping erfolgt entweder sequentiell oder parallel, wobei eine simultane Nutzung der Kanäle, die sogenannte Omni-Channel-Nutzung, in Anbetracht einer zunehmenden Nutzung von Smartphones im Kaufprozess an Bedeutung gewinnt (Heinemann, 2013, S. 18 ff.). Um die Wechselwirkung zwischen onlinebasierten und stationären Kanälen hinsichtlich Informationsbeschaffung und Einkauf zu beschreiben, wird vom ROPO-Effekt gesprochen (Jäger, 2016, S. 25). Um einen Eindruck vom Ausmaß der Verbreitung des ROPO-Effekts in Deutschland zu erhalten, wird in diesem Beitrag eine Übersicht über verschiedene Studien zu diesem Thema gegeben. 2. Definitorischer Abriss zum Forschungsgegenstand Das Akronym ROPO steht als Abkürzung für „Research Online, Purchase Offline“ (Webrooming) bzw. „Research Offline, Purchase Online“ (Showrooming) (z. B. Erd, 2019, S. 192; Merkle, 2020, S. 263; Deges, 2020, S. 78), wobei der Terminus teilweise auch nur mit ersterem assoziiert und demnach als ein Synonym von Webrooming, mithin als Gegenteil von Showrooming verstanden wird (Siepermann, 2018a; Kreutzer, 2018, S. 58). Als Showrooming wird ein Kundenverhalten bezeichnet, bei dem die Kunden vor dem Kauf ein stationäres Ladengeschäft aufsuchen, um sich dort beraten zu lassen und/oder die Produkte vorher haptisch zu erfahren und auszuprobieren, den Kauf jedoch anschließend im Internet tätigen (Siepermann, 2018b). Beim Webrooming (auch Web Rooming) informieren sich die Kunden hingegen zuvor im Internet, um dann in einem stationären Geschäft das Produkt zu kaufen (Siepermann, 2018a). In Abhängigkeit von der Wahl des Einkaufskanals wird zwischen Competitive (Kauf bei 146 Seite 2

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 einem anderen Anbieter) Webrooming bzw. Showrooming und Loyal (Kauf beim selben Anbieter) Webrooming bzw. Showrooming unterschieden (Schneider, 2019, S. 40 ff.; Deges, 2020, S. 78). Im vorliegenden Beitrag wird dem Begriffsverständnis von Erd (2019, S. 192), Merkle (2020, S. 263) und Deges (2020, S. 78) gefolgt und das Showrooming (Research Offline, Purchase Online) und das Webrooming (Research Online, Purchase Offline) als Ausprägungsformen des ROPO-Effekts verstanden. 3. Übersicht über Studien Auf Basis einer internet- und literaturbasierten Recherche konnten verschiedene Studien, die sich in den vergangenen Jahren mit der Verbreitung von Show- und Webrooming in Deutschland beschäftigt haben, eruiert werden. Diese sind in der nachfolgenden Tabelle2 aufgeführt. Hierzu ist anzumerken, dass die Auflistung keinen Anspruch auf Vollständigkeit für sich erhebt. Autor(en) Asdecker (2013, S. 7) intelliAd (2014) (durchgeführt von YouGov) Forschungsdesign Ausgewählte Ergebnisse der Studie Datenerhebung: Befragung (online) Erhebungszeitraum: 20. Dezember 2012 bis 20. Januar 2013 Datenbasis: n = 538 (Studenten) Datenerhebung: Befragung (online, repräsentativ) Erhebungszeitraum: 28. November bis 01. Dezember 2014 Datenbasis: n = 1034 Verbreitung von (Competitive)3 Showrooming: 63,94% Verbreitung von Showrooming: Gesamt: 75% Nach Altersgruppen: - Alter 18 - 24 Jahre: 88% - Alter 25 - 34 Jahre: 80% - Alter 35 - 44 Jahre: 79% - Alter 45 - 55 Jahre: 71% - Alter > 55 Jahre: 66% 2 Die Seitenangaben in den Quellenangaben (erste Spalte) beziehen sich auf die Stelle, an denen die in der dritten Spalte dargelegten Ergebnisse in der jeweiligen Publikation aufgeführt sind. Die in der zweiten Spalte angeführten Angaben zum Forschungsdesign können in den Publikationen auch an anderer Stelle (z. B. im dortigen Anhang) angegeben sein. 3 Das Verständnis des Begriffs Showrooming entspricht bei Asdecker (2013, S. 6 f.) dem des Competitive Showrooming, da sowohl in der dort dargelegten Definition als auch in der an die Teilnehmer gerichteten Frage explizit von einem Kauf bei einem anderen Anbieter bzw. Unternehmen gesprochen wird. Seite 3 147

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Institut für Demoskopie Allensbach (2015, S. 17) Bovensiepen et al. (2015, S. 15) Criteo (2020, S. 11)*; Criteo (2022, S. 6)** Datenerhebung: Befragung (mündlich-persönlich nach einem einheitlichen Frageformular) Erhebungszeitraum: 1. bis 12. Dezember 2014 Repräsentative Quotenauswahl Datenbasis: n = 1564 (Wohnbevölkerung ab 16 Jahre) Datenerhebung: Befragung (Online- Interviews) Erhebungszeitraum: August und September 2014 Datenbasis: n = 1000 (Onlinekäufer) Datenerhebung: Befragung Erhebungszeitraum: Juli bis August 2019 Datenbasis: n = 1015 Criteo (2022, S. 5 f.) Datenerhebung: Befragung Erhebungszeitraum: November 2021 Datenbasis: n = 1011 (Konsumenten, die mindestens einmal im Monat das Internet nutzen) Verbreitung von Showrooming: 41% (davon gaben 10% an, schon häufiger Showrooming betrieben zu haben und die übrigen 31% ein-, zweimal) Verbreitung von Showrooming: 62% Verbreitung von Webrooming: 64% Verbreitung von Showrooming: Gesamt**: 71% Nach Generationen*: - Gen Z & Millennials: 85% - Gen X: 73% - Babyboomer & stille Generation: 53% Verbreitung von Webrooming: Gesamt**: 76% Nach Generationen*: - Gen Z & Millennials: 87% - Gen X: 76% - Babyboomer & stille Generation: 64% Verbreitung von Showrooming: Gesamt: 71% Nach Generationen: - Generation Z & Millennials: 82% - Generation X: 76% - Babyboomer & Generation Silent: 57% Verbreitung von Webrooming: Gesamt: 77% Nach Generationen4: - Generation Z & Millennials: 85% - Generation X: 80% - Babyboomer & Generation Silent: 73% Tab. 1: Übersicht über Studien zur Verbreitung von Show- und Webrooming in Deutschland (Quelle: Eigene Darstellung) 4 Hinsichtlich der Verbreitung des Show- und Webrooming bei den verschiedenen Generationen ist zu beachten, dass sich die Definition der Altersgruppen in den beiden Studien von Criteo (2020; 2022) voneinander unterscheidet. Neben geringfügigen begrifflichen Unterschieden können hier bei einer näheren Betrachtung auch leichte Abweichungen in der Festlegung der Jahrgänge festgestellt werden. Für detaillierte Informationen zur jeweiligen Definition der Altersgruppen und die vorgenannten Unterschiede siehe Criteo (2020, S. 11) und Criteo (2022, S. 5). 148 Seite 4

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 4. Ergebnis / Erkenntnis Die Ergebnisse der aufgeführten Studien zeigen, dass sowohl Show- als auch Webrooming weit unter den Konsumenten in Deutschland verbreitet ist. Nach der aktuellsten Studie aus der in Tabelle 1 dargestellten Auflistung liegt der Anteil der deutschen Konsumenten, die Showrooming praktizieren bei 71 Prozent und Webrooming betreiben bei 77 Prozent (Criteo, 2022, S. 6). Ferner legen die Ergebnisse der Studien, die sowohl das Ausmaß der Verbreitung von Show- als auch das von Webrooming untersucht haben (siehe Bovensiepen et al., 2015, Criteo, 2020 und Criteo, 2022), nahe, dass die beiden Verhaltensweisen, wie auch bereits Lippold (2023) festgestellt hat, in etwa im gleichen Maße unter den deutschen Konsumenten verbreitet sind. Zudem deuten die Ergebnisse der Studien, die eine nach Alter bzw. Generationen differenzierte Betrachtung vorgenommen haben (siehe intelliAd, 2014, Criteo, 2020 und Criteo, 2022), darauf hin, dass je jünger die Konsumenten sind, desto verbreiteter sind dort die beiden Verhaltensweisen. Von daher kann angenommen werden, dass die in Deutschland bereits auf einem hohen Niveau befindliche Verbreitung des ROPO-Effekts in Zukunft wahrscheinlich noch weiter zunehmen wird. Seite 5 149

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 5. Literaturverzeichnis Asdecker, B. (2013). Showrooming - Das opportunistische Kundenverhalten im stationären Handel. Lehrstuhl für Produktion und Logistik, Forschungsgruppe Retourenmanagement, Otto-Friedrich- Universität Bamberg. Verfügbar unter: http://www.retourenforschung.de/upload/Auswertung_ Showrooming.pdf [letzter Zugriff: 18.08.2023]. Bovensiepen, G., Schmaus, B., Rumpff, S., Leskow, M. & Raimund, S. (2015). Total Retail 2015: Wie disruptive Faktoren den deutschen Handel herausfordern. PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC) (Hrsg.). Verfügbar unter: https://www.pwc.de/de/ publikationen/paid_pubs/geschaeft-mobile-und-social-werden-beim-einkauf-unzertrennlich.pdf [letzter Zugriff: 14.08.2018]. Criteo (2020). Shopper Story 2020: So kauft Deutschland ein. Verfügbar unter: https://www.criteo.com/de/wp-content/uploads/sites/3/2020/03/Criteo-Shopper-Story-2020-DE.pdf [letzter Zugriff: 17.08.2023]. Criteo (2022). Shopper Story 2022: Wie Konsumenten heute shoppen ; Deutschland. Verfügbar unter: https://www.criteo.com/de/wp-content/uploads/sites/3/2022/02/Shopper-Story-2022-Deutschland. pdf [letzter Zugriff: 09.08.2022]. Deges, F. (2020). Grundlagen des E-Commerce: Strategien, Modelle, Instrumente. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH. Erd, J. (2019). Der ROPO-Effekt im Hinblick auf Produkte der Unterhaltungselektronik in Österreich. In: Deutscher Dialogmarketing Verband e. V. (Hrsg.): Dialogmarketing Perspektiven 2018/2019: Tagungsband 13. wissenschaftlicher interdisziplinärer Kongress für Dialogmarketing. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH. S. 191-221. Heinemann, G. (2013). No-Line-Handel: Höchste Evolutionsstufe im Multi-Channeling. Springer Fachmedien Wiesbaden. Institut für Demoskopie Allensbach (2015). Lokale Welten. Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter e.V. (BVDA) (Hrsg.). Verfügbar unter: https://www.ifd-allensbach.de/uploads/ tx_studies/BVDA_LokaleWelten.pdf [letzter Zugriff: 22.10.2018]. intelliAd (2014). Studie: „Showrooming“ zwingt lokalen Handel zum Umdenken - Handelsblatt berichtet. Verfügbar unter: https://www.intelliad.de/showrooming_handel/ [letzter Zugriff: 04.08.2022]. Jäger, R. (2016). Multi-Channel im stationären Einzelhandel: Ein Überblick. Springer Fachmedien Wiesbaden. 150 Seite 6

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Kreutzer, R. T. (2018). Praxisorientiertes Online-Marketing: Konzepte - Instrumente - Checklisten. 3. Auflage. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH. Lippold, D. (2023). Welche Bedeutung hat der ROPO-Effekt eigentlich (noch)?. Verfügbar unter: https://www.marktforschung.de/marktforschung/a/welche-bedeutung-hat-der-ropo-effekt-eigentlich- noch/ [letzter Zugriff: 21.08.2023]. Merkle, W. (2020). Erfolgreich im stationären Einzelhandel: Wege zur konsequenten Profilierung im digitalen Zeitalter. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH. Schneider, A. (2019). Showrooming im stationären Einzelhandel: Entwicklung eines Erklärungsmodells des opportunistischen Konsumentenverhaltens. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH. Siepermann, M. (2018a). Definition Web Rooming. Verfügbar unter: https://wirtschaftslexikon.gabler. de/definition/web-rooming-54492/version-277521 [letzter Zugriff: 06.05.2021]. Siepermann, M. (2018b). Definition Show Rooming. Verfügbar unter: https://wirtschaftslexikon.gabler. de/definition/show-rooming-54493/version-277522 [letzter Zugriff: 12.08.2018]. 151

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Wiener Universitäre Schriften Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Ausgabe Herbst 2023 „ANFORDERUNGEN AN DIE ERBRINGUNG VON „ANFORDERUNGEN AN DIE ERBRINGUNG VON DIENSTLEISTUNGEN UNTER DEM ASPEKT DER DIENSTLEISTUNGEN UNTER DEM ASPEKT DER KUNDENBEGEISTERUNG“ KUNDENBEGEISTERUNG“ D. Menzel1 D. Menzel1 University of Library Studies and University of Library Studies and Information Technologies, Sofia Information Technologies, Sofia Keywords: Dienstleistung, Kundenbegeisterung, Kundenzufriedenheit, Keywords: Dienstleistung, Kundenbegeisterung, Kundenzufriedenheit, Service Excellence, Servicequalität, Wandel, Wettbewerb Service Excellence, Servicequalität, Wandel, Wettbewerb ABSTRACT ABSTRACT Kontinuierlich steigende Verbrauchererwartungen, kombiniert mit jederzeit verfüg- Kontinuierlich steigende Verbrauchererwartungen, kombiniert mit jederzeit verfüg- baren Informations- und Vergleichsmöglichkeiten, bedeuten auch für die Erbringung baren Informations- und Vergleichsmöglichkeiten, bedeuten auch für die Erbringung von Dienstleitungen neue Herausforderungen. Sie erhöhen die Anforderungen an die von Dienstleitungen neue Herausforderungen. Sie erhöhen die Anforderungen an die Unternehmen, sowie vor allem der mit der Dienstleistungserbringung betrauten Mit- Unternehmen, sowie vor allem der mit der Dienstleistungserbringung betrauten Mit- arbeiter. Kundenzufriedenheit ist in diesem Kontext als Unternehmensziel und Abgren- arbeiter. Kundenzufriedenheit ist in diesem Kontext als Unternehmensziel und Abgren- zung zum Wettbewerb nicht mehr ausreichend. Um in einem Umfeld stetigen Wandels zung zum Wettbewerb nicht mehr ausreichend. Um in einem Umfeld stetigen Wandels den langfristigen Erfolg des Unternehmens zu sichern ist eine zielgerichtete Weiter- den langfristigen Erfolg des Unternehmens zu sichern ist eine zielgerichtete Weiter- entwicklung notwendig. Das Konzept der Kundenbegeisterung bietet hier einen Ansatz entwicklung notwendig. Das Konzept der Kundenbegeisterung bietet hier einen Ansatz zur langfristigen Bindung von begeisterten Kunden und schließt zugleich angepasste zur langfristigen Bindung von begeisterten Kunden und schließt zugleich angepasste Prozesse, neue Verantwortlichkeiten und eine verstärkt auf Vertrauen und Kompetenz Prozesse, neue Verantwortlichkeiten und eine verstärkt auf Vertrauen und Kompetenz basierte Führung mit ein. Verbunden mit diesem Konzept sind signifikante Verände- basierte Führung mit ein. Verbunden mit diesem Konzept sind signifikante Verände- rungen in allen Bereichen. rungen in allen Bereichen. 1 Dirk Menzel, D-63128 Dietzenbach, Tulpenstraße 8; menzel.dirk@gmx.de 1 Dirk Menzel, D-63128 Dietzenbach, Tulpenstraße 8; menzel.dirk@gmx.de Seite 1 Seite 1 153

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Ausgabe Herbst 2023 1. Einführung Ungeachtet der Anzahl an bekannten Industrieunternehmen aus Deutschland nimmt die Erbringung von Dienstleistungen in der deutschen Wirtschaft eine beson- dere Rolle ein. Die Bundeszentrale für politische Bildung zählt im Rahmen der volks- wirtschaftlichen Gesamtrechnung die nachfolgenden Wirtschaftsbereiche zum Dienst- leistungssektor: „Handel, Gastgewerbe und Verkehr, Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister sowie öffentliche und private Dienstleister“ (Bundeszent- rale für politische Bildung 2017). Gemäß dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sind ca. 80% der deutschen Unternehmen dem Bereich der Dienstleistung zuzuordnen. Damit erreicht dieser Wirtschaftssektor eine besondere Stellung: „Er er- wirtschaftet 69 Prozent des BIP und schafft fast drei Viertel aller Arbeitsplätze“ (Bun- desministerium für Wirtschaft und Energie 2018). Im diesem Zusammenhang ist die kontinuierlich steigende Anzahl an Erwerbstätigen in diesem Bereich, und die damit verbundene Stellung im Arbeitsmarkt, zu beachten. Dies wird besonders deutlich bei einem Blick in das Jahr 1950. Zu diesem Zeitpunkt waren lediglich 32,5% der Beschäf- tigten im tertiären Sektor beschäftigt (Statistisches Bundesamt 2018). Einhergehend mit dieser Entwicklung haben sich, vor allem in Relation zum Jahr 1950, die Marktge- gebenheiten, sowie die Anforderungen der Kunden deutlich verändert. Besonders im Zusammenhang mit der zunehmenden Globalisierung und dem rasanten Wachstum der Informations- und Vergleichsmöglichkeiten auf Basis der internetbasierten Medien. „Die wachsende Auswahlmöglichkeit der Kunden zwischen technisch sehr ähnlichen Produkten und alternativen Anbietern führt zu einer stärkeren Fokussierung der For- schung auf Zufriedenheit und Beziehungen. Das trifft insbesondere auf den wachsen- den Dienstleistungsbereich zu“ (Becker und Schnee 2005, 29). Die Besonderheit von Dienstleistungen ist, dass diese „gleichzeitig erzeugt und konsumiert“ werden (Horo- vitz 1992, 46). Zudem basieren diesen auf einer Interaktion zwischen Kunde und Mit- arbeiter. Automatisierte oder KI-basierte Interaktionen werden im Rahmen dieser Un- tersuchung nicht betrachtet. Mit Blick auf die Anforderungen und Erwartungen von Seiten der Kunden wird jedoch an dieser Stelle ein vergleichbares Anspruchsdenken angenommen. Mit dem Angebot und der Erbringung von Dienstleistungen, entweder 154 Seite 2

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 als reiner Dienstleistungsanbieter oder als ergänzendes bzw. unterstützendes Angebot zu anderen angebotenen Produkten, geht eine Gewinnerzielungsabsicht einher. Die Bindung von Kunden und die Sicherstellung einer hohen Wiederkaufrate ist dabei von großer Bedeutung. Die Ergebnisse einer Studie von Bowen und Chen stützten die Be- hauptung, dass ein positiver Zusammenhang zwischen treuen Kunden und der Ren- tabilität eines Unternehmens besteht (Bowen und Chen 2001, 215). Marinotti beschreibt die Herausforderungen für Unternehmen wie folgt: „In today’s ever-evolving digital world, converting satisfied customers into loyal customers has become the high- est priority for businesses to stay competitive and be successful” (Marinotti 2023, 361). Um diesen wachsenden Anforderungen dauerhaft erfolgreich zu werden bietet das Konzept der Kundenbegeisterung unterstützende Ansätze, um nicht nur die vorhande- nen Kundenerwartungen zu erfüllen, sondern diese darüber hinaus zu begeistern und so dauerhaft an das Unternehmen zu binden. Denn „es reicht nicht mehr länger aus, dass Organisationen die Basis-Dienstleistungen und -Produkte erbringen, die Kunden grundsätzlich erwarten“ (DIN Deutsches Institut für Normung e. V. DIN CEN/TS 16880 (2016), 4). Zum momentanen Zeitpunkt existiert noch keine einheitliche und aner- kannte Definition von dem Begriff der Kundenbegeisterung. Im Sinne der meisten For- schungsarbeiten zu diesem Thema stellt diese einen „emotionalen Mix aus Überra- schung, Freude und Erregung dar“ (Bösener 2015, 36). Welche besonderen Anforderungen dies, für den in der Regel auf Interaktionen zwischen Personen basie- renden Bereich der Dienstleistungen mit sich bringt, wird nachfolgend dargestellt. 2. Methode Diese Ausarbeitung basiert auf einer umfangreichen Betrachtung von Veröffentli- chungen zu den Themen Dienstleistung und Kundenbegeisterung. Es erfolgte eine zielgerichtete Analyse der entsprechenden Fachliteratur aus dem deutschsprachigen und aus dem englischsprachigem Raum. Neben Buchveröffentlichungen fließen ne- ben Artikeln aus Fachzeitschriften auch Onlinebeiträge und Angebote von beruflichen Trainingsmaßnahmen in die Betrachtung mit ein. Die wirtschaftliche Bedeutung des Dienstleistungssektors erfolgt ausschließlich auf der Basis von vorliegenden Zahlen aus Deutschland. Im Rahmen dieser Ausarbeitung wird auf die Generierung Seite 3 155

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 empirischer Daten verzichtet und ausschließlich basierend auf relevanter Sekundär- forschung argumentiert. Ergänzt wird dies durch die vertieften Kenntnisse des Verfas- sers. Diese wurden im Rahmen einer langjährigen, einschlägigen beruflichen Praxis und in Verbindung mit dem aktuellen Dissertationsvorhaben zu dem Thema Kunden- begeisterung erworben. 3. Erkenntnis Dienstleistungen können als eigenständige Leistung oder in Kombination mit einem anderen Produkt angeboten werden. Von Seiten des Leistungserbringers ist in der Re- gel eine Gewinnerzielungs- und Kundenbindungsabsicht damit verbunden. Jedoch werden hier häufig Nachlässigkeiten in der operativen Umsetzung konstatiert, die sich negativ auf die Ergebnissituation des Unternehmens auswirken. Die Verantwortung hierfür ist bei den Unternehmen und insbesondere deren verantwortlichen Führungs- kräften zu suchen. „Die Ertrags- und Umsatzpotenziale, die mit innovativen und be- geisternden Dienstleistungen erzeugt werden können, werden jedoch auf den ersten Blick zumeist nicht erkannt“ (Gouthier 2013, 14). Die Leistungserbringung basiert auf einer Interaktion zwischen den beteiligten Personen und unterliegt hinsichtlich ihrer Qualität individuellen Einflüssen. Bruhn zufolge geht das Verhalten der Mitarbeiter mit in die Leistung ein und somit eine institutionelle und eine personelle Kundenorientie- rung zu beachten ist (Bruhn 2002, 38). Horovitz konstatiert in diesem Zusammenhang: „Bei den Dienstleistungen hängt der Erfolg jedoch allein von den Menschen und Me- thoden ab“ (Horovitz 1992, 50). Hinzukommt, dass für die Bewertung seitens der Kun- den häufig keine objektiven Bewertungskriterien herangezogen werden können und das subjektive Kundenempfinden die Beurteilung der geleisteten Dienstleistung maß- geblich beeinflusst. „Da im Dienstleistungsbereich die Bedeutung der mitarbeiterbezo- genen Faktoren besonders stark ausgeprägt ist, erfolgt die Bindung der Kunden vor allem über persönliche Beziehungen und unterstreicht auch die Bedeutung der Er- folgsgröße der Beziehungsqualität im Dienstleistungsbereich“ (Meffert und Bruhn 2009, 103). Erweitert werden die Herausforderungen für die Unternehmen durch mög- liche Bewertungsschwankungen einer Person in Abhängigkeit von sonstigen äußeren Einflüssen und sich stetig wandelnden Kundenerwartungen. „Being able to run a 156 Seite 4

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 successful business does not only mean knowing and understanding the consumer’s audience and their preferences but also the continuous changes in the business envi- ronment and how they affect consumer needs and preferences” (Marinotti 2023, 360). Enttäuschte Kunden tendieren dazu den Anbieter zu wechseln, ohne dem Unterneh- men die Möglichkeit einer Korrektur oder Verbesserung einzuräumen. Somit haben Dienstleister „ihren speziellen ‚Ausschuß‘ es sind all die Kunden, die nicht mehr wie- derkommen. Und diese ‚Abfallhaufen‘ haben ebenfalls ihren Preis. Sobald Servicebe- triebe aber damit beginnen, diesen Preis zu veranschlagen, werden sie auf die Not- wendigkeit aufmerksam, ihn zu reduzieren“ (Reichheld und Sasser 1991, 108). Die Unternehmen stehen vor der Aufgabe den Veränderungen gerecht zu werden und diese in die angebotenen Dienstleistungsangebote einzuarbeiten, um den langfristigen Unternehmenserfolg sicherzustellen. „Eine der größten Herausforderungen für Dienst- leistungsunternehmen kann in den wachsenden Ansprüchen, Erwartungen und Wün- schen der Kunden gesehen werden. Auf vielen Märkten genügt es nicht mehr, Kunden lediglich zufrieden zu stellen, sondern Kunden sollten von der angebotenen Leistung überzeugt sein“ (DIN Deutsches Institut für Normung e. V. 2011, 12). Besondere Be- achtung sollte in diesem Zusammenhang einer Untersuchung von Barnes et al. zu Teil werden. Darin wurde festgestellt, dass ca. 80% der einer positiven Bewertung zugrun- deliegenden Faktoren auf die Interaktion zwischen Kunden und Mitarbeiter zurückzu- führen sind. Der Anteil des Kernproduktes daran liegt lediglich bei ungefähr 16% (Bar- nes et al. 2011, 371). Eine mögliche Handlungsoption auf die dargestellten Herausforderungen im Dienst- leistungsbereich wird mit dem Konzept der Kundenbegeisterung zur Verfügung ge- stellt. Dabei ist festzuhalten, dass die Kundenbegeisterung bisher nicht im gleichen Umfang empirisch untersucht wurde wie die Kundenzufriedenheit (Meyer et al. 2017, 67). Unter anderem bedingt dadurch liegt zum aktuellen Zeitpunkt auch noch keine einheitliche Definition für die Kundenbegeisterung vor. Becker folgend hat sich ein Ver- ständnis als „eigenständiges emotionspsychologisches Konstrukt […] mehrheitlich durchgesetzt“ (Becker 2015, 26). Gouthier et al. führen diesbezüglich aus: „Unter Kun- denbegeisterung wird dabei ein positiver Gefühlszustand verstanden, der weitaus in- tensiver wahrgenommen wird als reine Zufriedenheit und bei Kunden zu einer stark Seite 5 157

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 emotional geprägten Einstellung führt“ (Gouthier et al. 2012, 212). Ungeachtet einer anerkannten Begriffsdefinition stehen die Unternehmen vor der Herausforderung auf die Anforderungen des Marktes zu reagieren. In diesem Zusammenhang sehen 197 befragte Kundenmanager „die emotionale Kundenbindung [als] das wichtigste Ziel des Managements von Kundenbegeisterung“ (buw Unternehmensgruppe/Center of Ser- vice Excellence CSE 2013). Emotionen, und hierbei insbesondere sehr positive Emo- tionen, werden in der Regel basierend auf einer positiven zwischenmenschlichen Be- ziehung (hier: Verkäufer – Kunde) ausgelöst. Produkte weisen nur selten eine überraschende, im Vorfeld nicht bekannte Funktion oder Eigenschaft, und damit be- geisternde Eigenschaft auf. Dies unterstreicht die Notwendigkeit zur Schaffung einer positiven menschlichen Beziehung. Denn, so Schüller: „Viele Begeisterungsfaktoren haben ihren Ursprung nicht nur in dem was getan wird, sondern vor allem, wie etwas getan wird“ (Schüller 2006, 8). Gouthier stellt die besondere Position der beteiligten Dienstleistungsmitarbeiter bei der Schaffung von Kundenbegeisterung ebenfalls her- aus (Gouthier 2013, 62). Zur Vermittlung und als Basis einer konsequenten Umsetzung des vom Unterneh- men gewünschten Verhaltens im Rahmen von dienstleistungsbezogenen Interaktio- nen ist ein zielgerichtetes Training notwendig. In diesem ist eine kundenbegeisternde Arbeitsweise zu vermitteln. „Kundenbegeisterung wird geschaffen, indem bleibende Eindrücke hinterlassen werden. Damit die Mitarbeiter dazu in der Lage sind, muss eine kontinuierliche Schulung und Weiterbildung erfolgen“ (DIN Deutsches Institut für Nor- mung e. V. 2011, 19). Eine im Rahmen der Forschungsarbeit vorgenommene Unter- suchung hat gezeigt, dass zum aktuellen Zeitpunkt kaum relevante Angebote im Be- reich der beruflichen Trainingsmaßnahmen mit dem Fokus auf die Kombination Dienstleistung und Kundenbegeisterung angeboten werden. Demnach stehen interes- sierte Unternehmen im Vorfeld einer Einführung vor der Aufgabe qualifizierte Angebote zu sichten und daraus ein passendes Programm auszuwählen. Bei Betrachtung der gesichteten Optionen konnten jedoch auch zwei Optionen in Bezug auf Inhalt und Kon- zeption besonders positiv hervortreten. Einerseits ist dies eine Service Excellence Masterausbildung, diese vermittelt in neun aufeinander aufbauenden Modulen vertie- fende Kenntnisse zum Thema Service Excellence (ADM Akademie des Managements 158 Seite 6

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 für Vertrieb und Service GmbH 2019, 6). Andererseits das interaktive Trainingstool Servicereise©. Dieses wurde im Jahr 2022 mit dem europäischen Trainingspreis des BDVT e.V. (Bundesverband für Training, Beratung und Coaching) ausgezeichnet und schließt die beschriebene Angebotslücke. „Wenn Service Excellence und ein erstklas- siger Service an den Kundinnen und Kunden gewinnbringend im Unternehmen veran- kert werden sollen, ist eine komplexe Strategie auf Managementebene erforderlich. […] Die Servicereise© schenkt abteilungs- und hierarchieübergreifend spielerisch Raum und Zeit für einen konkreten Austausch am Kern der Sache, kreiert Serviceideen und zeigt Verbesserungspotentiale auf“ (Herzig 2022). Seitens des Deutschen Instituts für Normung wird die Rolle der Mitarbeiter und der damit einhergehende Trainingsbe- darf ebenfalls betont. „Der Mitarbeiter ist eine zentrale Schlüsselfigur, um bei Kunden Begeisterung für eine Dienstleistung oder ein Produkt auszulösen. Nur wenn der Mit- arbeiter selbst von dem Produkt/der Dienstleistung überzeugt ist und eine hohe Mitar- beiterbegeisterung in Bezug auf das Arbeitsumfeld und Prozesse besteht, kann er beim Kunden Begeisterung vermitteln“ (DIN Deutsches Institut für Normung e. V. 2011, 44). Für Barnes et al. ist Training ein zentraler Bestandteil von Kundenbegeisterung (Barnes et al. 2014, 387). Dessen positive Effekte u. a. von Kumar und Sulthan bestätigt werden: „Through this study it has been found that the training and develop- ment programs have enhanced productivity, motivation level, and morale of employees and so on” (Kumar und Sulthan 2014, 67). Damit einhergehend sind positive wirtschaft- liche Effekte für die aktiv an kundenbindenden Maßnahmen arbeitenden Unternehmen zu verzeichnen. Dies beruht auf der besonderen „Bedeutung der Kundenbindung [und] ihren vielfältigen Einflüssen auf die ökonomischen Erfolgsgrößen“ (Meffert und Bruhn 2009, 101). Denn vor allem in einem hart umkämpften und turbulenten Umfeld ist kon- tinuierliches Lernen für das Überleben einer Organisation von entscheidender Bedeu- tung (Yukl 2006, 457). In einem Umfeld mit intensivem Wettbewerb, kontinuierlichen Veränderungen und stets besser informierten Kunden werden Unternehmen beson- ders gefordert sich von anderen Anbietern abzuheben. Sie stehen dabei vor der Auf- gabe die bestehenden Kunden durch geeignete Maßnahmen an sich zu binden und neue Kunden hinzuzugewinnen. Insbesondere im Dienstleistungsumfeld liegt hier der Fokus auf den täglichen Interaktionen am Ort der Leistungserbringung und der Sicher- stellung ihrer Besonderheit im Vergleich mit anderen Anbietern. Denn hinsichtlich der Seite 7 159

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Unternehmensergebnisse gilt es zu beachten: „Austauschbare Leistungen tendieren zu einer Umsatzrendite von Null“ (Mann 1988, 66). Basierend auf einer schwedischen Untersuchung zur Kundenzufriedenheit stellen Huber et al. den Einfluss von Kunden- zufriedenheit auf die Unternehmensrentabilität dar. „Hiernach bewirkt eine Erhöhung der Zufriedenheit um 1% eine Steigerung der Rentabilität um 2,4%. Umgekehrt führt eine 1%-ige Verminderung der Zufriedenheit zu einer 5,1%-igen Senkung der Renta- bilität“ (Huber et al. 2002, 74). Das Konzept der Kundenbegeisterung geht nochmals deutlich über den reinen Zufriedenheitsansatz hinaus und impliziert damit einherge- hend weitere Möglichkeiten zur Steigerung der Rentabilität. Diese Annahme ist jedoch im Rahmen einer gesonderten Betrachtung zu untersuchen und möglichst auf Basis von ergänzendem Datenmaterial zu belegen. Gestützt wird die getroffene Annahme von der bereits vorliegenden Untersuchung von Meyer et al.: „Specifically, our findings show customer delight, not satisfaction with the salesperson, leads to customer re- purchase intentions. Thus, while satisfaction is often advocated as a key performance indicator in sales, our findings illustrate that customer delight is the underlying mecha- nism that explains how retail salespeople can enhance their forward-looking revenues” (Meyer et al. 2017, 67). Mit Blick auf die Anforderungen an die Erbringung von Dienstleistungen unter dem Aspekt der Kundenbegeisterung ist festzustellen, dass diese sich dem kontinuierlich wandelnden Umfeld anpassen müssen. Eine reine Zufriedenheit des Kunden ist nicht mehr ausreichend, um diesen von einem Anbieterwechsel abzuhalten. Um von dem positiven Einfluss auf die Unternehmensrentabilität profitieren zu können ist eine lang- fristige, durch Kundenbegeisterung gestützte, Kundenbeziehung angeraten. „Um Kun- den langfristig zu binden, reicht es häufig nicht mehr aus, sie lediglich zufriedenzustel- len. Stattdessen gilt es, Kunden durch exzellente Dienstleistungen zu begeistern“ (Gouthier et al. 2012, 209). Zur Sicherstellung einer erfolgreichen Einführung von Kun- denbegeisterung und einer konsequenten, langfristigen Umsetzung ist das kontinuier- liche Training aller Mitarbeiter und der Einsatz zielgerichteter Methoden der Vermitt- lung unerlässlich. 160 Seite 8

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Ausgabe Herbst 2023 4. Literaturverzeichnis ADM Akademie des Managements für Vertrieb und Service GmbH (Hrsg.) (2019). Service Excellence. Masterausbildung. Ausbildungsrahmenplan. ADM Akademie des Managements für Vertrieb und Service GmbH. Barnes, Donald C./Collier, Joel E./Robinson, Stacey (2014). Customer Delight and Work Engagement. Journal of Services Marketing 28 (5), 380–390. Barnes, Donald/Ponder, Nicole/Dugar, Kranti (2011). Investigating the Key Routes to Customer Delight. Journal of Marketing and Practice 19 (4), 359–375. Becker, Florian (2015). Kundenbegeisterung durch Serviceinnovationen. Dissertation. Hohenheim, Universität. https://doi.org/10.1007/978-3-658-12209-6. Becker, Florian/Schnee, Sven (2005). Marktforschung in einer dynamischen Welt. In: Hansjörg Künzel (Hg.). Handbuch Kundenzufriedenheit. Strategie und Umsetzung in der Praxis. Berlin, Springer, 29–52. Bösener, Kathrin (2015). Kundenzufriedenheit, Kundenbegeisterung und Kundenpreisverhalten. Empirische Studien zur Untersuchung der Wirkungszusammenhänge. Dissertation Technische Universität Kaiserslautern 2014. Wiesbaden, Springer Gabler. Bowen, John T./Chen, Shiang--Lih (2001). The relationship between customer loyalty and customer satisfaction. International Journal of Contemporary Hospitality Management 13 (5), 213–217. https://doi.org/10.1108/09596110110395893. Bruhn, Manfred (2002). Das Konzept der kundenorientierten Unternehmensführung. In: Hans H. Hinterhuber/Kurt Matzler (Hg.). Kundenorientierte Unternehmensführung. Kundenorientierung - Kundenzufriedenheit - Kundenbindung. 3. Aufl. Wiesbaden, Gabler Verlag, 33–62. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2018). Dienstleistungen sichtbar gemacht: Zahlen und Trends auf einen Blick. BMWI. Online verfügbar unter https://www.bmwi.de/Redak- tion/DE/Artikel/Mittelstand/dienstleistungswirtschaft-01-zahlen-trends.html Bundeszentrale für politische Bildung (2017). Dienstleistungssektor. Bundeszentrale für politische Bildung. Online verfügbar unter http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirt- schaft/19052/dienstleistungssektor buw Unternehmensgruppe/Center of Service Excellence CSE (2013). Kundenbegeisterung im Kundenmanagement, Kooperationsstudie von buw und CSE. Osnabrück, Oestrich-Winkel. Seite 9 161

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Ausgabe Herbst 2023 „INNOVATIONSMANAGEMENT – EINE „INNOVATIONSMANAGEMENT – EINE INFORMATIONSWISSENSCHAFTLICHE PERSPEKTIVE“ INFORMATIONSWISSENSCHAFTLICHE PERSPEKTIVE“ P. Pöchlauer1 P. Pöchlauer1 University of Library Studies and Information Technologies, Sofia University of Library Studies and Information Technologies, Sofia Keywords: Innovationsmanagement, Innovation, Information, Informationswissenschaften. Keywords: Innovationsmanagement, Innovation, Information, Informationswissenschaften. 1. ABSTRACT 1. ABSTRACT Innovationsmanagement stellt einen unabdingbaren Faktor für Unternehmen dar, die künftig und nachhaltig erfolgreich sein wollen. Innovationsmanagement stellt einen unabdingbaren Faktor für Unternehmen dar, die künftig und nachhaltig erfolgreich sein wollen. Innovationsmanagement und Innovationen an sich stehen dabei in wesentlichem Zusammenhang mit Information, insbesondere in unserem, von der Informationstechnologie geprägten Zeitalter. Information kann dabei sowohl die Basis für Innovation, als auch das Ergebnis von Innovationsprozessen darstellen. Innovationsmanagement und Innovationen an sich stehen dabei in wesentlichem Zusammenhang mit Information, insbesondere in unserem, von der Informationstechnologie geprägten Zeitalter. Information kann dabei sowohl die Basis für Innovation, als auch das Ergebnis von Innovationsprozessen darstellen. Dieser Beitrag beleuchtet das Informationsmanagement aus einer informationswissenschaftlichen Perspektive und versucht dabei, die wesentlichen Zusammenhänge zu skizzieren. Dieser Beitrag beleuchtet das Informationsmanagement aus einer informationswissenschaftlichen Perspektive und versucht dabei, die wesentlichen Zusammenhänge zu skizzieren. 1 Patrick Pöchlauer; patrick.poechlauer@fh-steyr.at Seite 1 1 Patrick Pöchlauer; patrick.poechlauer@fh-steyr.at 165

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 1. Einführung Die Zeit, in der wir leben, wird oftmals als eine Zeit großer Unsicherheit beschrieben. Dabei kann Information als Reduktion von Unsicherheit bzw. als ein Werkzeug zur Reduktion eben dieser Unsicherheit betrachtet werden. (vgl. Floridi, 2011, S. 31) Die Einführung bzw. Entwicklung neuer Produkte ist von höchster Bedeutung für das Wachstum von Unternehmen und, infolge der Verkürzung von Produktlebenszyklen, eine wesentliche Maßnahme zur Existenzsicherung von Unternehmen. (vgl. Erichson, 2007, S. 418) Das wirtschaftliche Ökosystem, das eine Organisation umgibt, ist voll von Fähigkeiten und Werten, die nahezu endlos kombiniert werden könnten, um neue Produkte oder Services zu kreieren. (vgl. Hamel, 2013, S. 81) Diese Werte bzw. Ressourcen des Umfeldes bestehen in der heutigen Zeit oftmals überwiegend oder ausschließlich aus Informationen. Die Schwierigkeit im Innovationen Innovationsmanagement oder mit im Allgemeinen liegt darin, dass Innovationen bzw. Produkte, die dem Kunden heute nutzlos erscheinen, bereits morgen genau seine Bedürfnisse erfüllen könnten. Somit kann nicht davon ausgegangen werden, dass allein die Kunden den Unternehmen den rechten Weg für erfolgreiche Innovationen weisen können. (vgl. Christensen, 2011, S. 258) Die Gewinnung von Ideen kann dabei entweder aus vorhandenen Innovations- quellen (Ideensammlung) oder durch Erfindung von etwas komplett Neuem (Ideengenerierung) erfolgen. (vgl. Vahs & Brem, 2015, S. 255) Für Unternehmen und die Gesellschaft werden das Management von Information bzw. funktionierende Informationsprozesse immer bedeutender, sowohl für das operative Geschäft als auch in Bezug auf künftiges Wachstum. (vgl. Floridi, 2010, S. 91) Märkte können auch als Informationssysteme betrachtet werden, da die Akteure entsprechende Information über das Angebot und die Konditionen entsprechender möglicher Transaktionen benötigen. Dies betont die Bedeutung von Kommunikation und Dokumentation von Informationen im ökonomischen Kontext. (vgl. Buckland, 2017, S. 11) Informationen können unter anderem auch als Ressourcen betrachtet werden. (vgl. Bawden & Robinson, 2022, S. 268) 166 Seite 2

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Einerseits brauchen Organisationen Stabilität, um ihre Existenz in der Gegenwart zu sichern, andererseits sind sie allerdings permanentem Veränderungsdruck ausgesetzt, der Flexibilität und Variabilität verlangt. Eine wesentliche Aufgabe des Managements ist somit die Initiierung und Bewältigung von Wandel und Innovation. (vgl. Schreyögg & Koch, 2010, S. 370) Damit dies gelingen kann, sind unterschiedliche Arten von Informationsprozessen für die Unternehmen relevant, wie beispielweise die Informationssuche bzw. Beschaffung, Data Mining, Datensammlung und -erfassung, Datenspeicherung, Datenverarbeitung bzw. -bearbeitung, Datenformatierung, Daten- verteilung, Aggregation von Daten, Überprüfung und Auswertung von Daten. (vgl. Floridi, 2011, S. 32) Information kann sowohl eine Ressource als auch ein Produkt oder ein Ziel darstellen, ja nach Perspektive aus der die zugrundeliegenden Prozesse betrachtet werden. (vgl. Floridi, 2010, S. 104) In diesem Kontext wird auch vom Management der Informations-Ressourcen gesprochen, was die Bedeutung von Information für modernes Management betont. (vgl. Bawden & Robinson, 2022, S. 268) Im Kontext von Innovation könnte es sich dabei beispielsweise um Input in Form von Markt- oder Forschungsdaten, ein mögliches Produkt wie das Ergebnis einer Such-Abfrage oder jegliche Art von informationstechnischem bzw. -technologischem Service, oder ein Ziel in Form von neuem Input oder neuen Ideen für die Organisation handeln. Innovation und Kreativität und damit auch Innovationsmanagement sind in hohem Maße vom Input durch Informationssysteme abhängig. (vgl. Bawden & Robinson, 2022, S. 200) Entrepreneure und unternehmerische Manager*innen nutzten ihr Netzwerk von Beziehungen (innerhalb und außerhalb der Organisation), um Informationen und Wissen zu sammeln. (vgl. Burns, 2022, S. 42f.) 2. Methode Es erfolgte eine traditionelle Literaturanalyse, um einerseits den thematischen Sachverhalt strukturiert zu erarbeiten und entsprechende Erkenntnisse zu gewinnen. Es wurde dabei stets versucht, die Themen Innovation und Innovationsmanagement aus einer informationswissenschaftlichen Perspektive zu beleuchten und darzustellen. Seite 3 167

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 3. Ergebnis / Erkenntnis Der Innovationsprozess im Unternehmen soll die Entstehung einer Innovation strukturieren und damit übersichtlich bzw. nachvollziehbar, wiederhol- und steuerbar (und damit auch effizient) gestalten und soll damit den Zufall durch die Absicht ersetzen, wenngleich immer wieder auch glückliche Zufälle eine wichtige Rolle in der Entstehung echter Innovation spielen können. (vgl. Uebernickel, Stölzle, Lennerts, Lampe & Hoffmann, 2016, S. 9) Der Innovationsprozess als solcher hat in einem Unternehmen, konkret auf den Punkt gebracht, die Aufgabe, alle Schritte durchgängig sicherzustellen, die notwendig sind, um eine Idee oder einen Einfall mit den verfügbaren Mitteln zeitgerecht in ein marktreifes bzw. marktfähiges Produkt zu transformieren. (vgl. Vahs & Brem, 2015, S. 229) Innovationen können sowohl von innerhalb (also aus den eigenen Fachab- teilungen), als auch von außerhalb (also aus dem Umfeld) des Unternehmens angestoßen werden, entweder durch die Wahrnehmung eines Problems oder einer Chance auf der Marktseite oder durch interne Auslöser, die sich aus der Unternehmenstätigkeit ergeben. Unabhängig von der Art der Initiierung sollte am Beginn des Innovationsprozesses eine systematisch durchgeführte Ist-Analyse (Analyse der Ausgangslage) stehen. (vgl. Hartschen, Scherer, & Brügger, 2012, S. 15) In groben Hauptphasen gesehen, besteht der Innovationsprozess aus der Ideengenerierung (auch als Ideenproduktion bezeichnet), der Ideenakzeptierung (Ideenannahme) und der Ideenrealisierung bzw. -implementierung. (vgl. Thom, 1980, o. S., zitiert in: Zotter, 2007, S. 56) Der Innovationsprozess zielt jedenfalls immer darauf ab, ausgehend von einer Idee über eine strukturierte Entscheidung und Bewertung der Möglichkeiten, zu einer Implementierung zu führen. (vgl. Hartschen, Scherer, & Brügger, 2012, S. 120) Die Informationswissenschaften befassen sich mit der Aufnahme bzw. Sammlung, Speicherung, Verarbeitung von Informationen, als auch mit ethischen Problem- stellungen im Zusammenhang mit diesen Prozessen und stellen damit eine wesentliche Basis für die unterschiedlichen Phasen des skizzierten Prozesses dar. Seite 4 168

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 (vgl. Buckland, 2017, S. x) Entsprechende begleitende bzw. integrierte Informations- prozesse sind daher im Kontext der Innovation unabdingbar. Der primäre Zweck von Informations- bzw. Kommunikationsprozessen ist der akkurate Transfer von Informationen. (vgl. Floridi, 2010, S. 43) Ideengenerierung und Ideensammlung Die Schwierigkeit bei der Sammlung von Ideen liegt darin, dass Ideen in aller Regel kommen, sich ergeben, auftreten oder auftauchen, ohne sich vorher anzukündigen. (vgl. Meissner, 2011, S. 61) Je nachdem, ob der Anstoß der Idee im Technology-Push oder Market-Pull liegt, kommen unterschiedliche Quellen für die Ideen in Betracht, wie in der nachfolgenden Tabelle in aller Kürze dargestellt wird. Anstoß/Strategie Technology-Push Market-Pull Stakeholder-Gruppe/Ideenquelle Eigene Forschungs- oder Entwicklungsabteilung Eigene IT-Abteilung Eigene Produktionsabteilung Externe wissenschaftliche Institute Lieferanten Eigene Vertriebs- oder Marketingabteilung Eigene Kundendienstabteilung Kunden Berater Lieferanten Tab. 1: Stakeholdergruppen als Ideenquellen Quelle: In Anlehnung an (Disselkamp, 2012, S. 44) Der Anstoß kann entweder direkt in Form einer Rückmeldung einer Stakeholder- Gruppe an das Unternehmen herangetragen werden, es kann aber auch aktiv eine Marktbefragung im Sinne von Interviews, Kundenbefragungen, Auswertungen des Kaufverhaltens etc. durchgeführt werden. (vgl. Meyer, 2012, S. 53) Die entsprechen- den Informationen werden in diesem Schritt also zunächst erhoben. Seite 5 169

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Ein wesentlicher Anstoß für innovative Ideen kann damit unter anderem aus der Recherche nach verfügbaren Informationen, also etwa durch Dokumentenrecherche, Marktforschung, explorative Gespräche bzw. Interviews, aber auch aus der Analyse von Sekundärdaten gewonnen werden. (vgl. Vahs & Brem, 2015, S. 303) Bei der Generierung von Ideen können oder vielmehr sollen zumindest alle Funktionsbereiche bzw. Abteilungen eines Unternehmens, die über Markt- und/oder Technik-Kontakte verfügen, beteiligt sein. (vgl. Gerpott, 2005, S. 51) Es zeigt sich auch hier wieder die Notwendigkeit des Zugangs zu Information. Dies trifft insbesondere für Routine- oder Verbesserungsinnovation zu. Für die Generierung von Ideen stehen verschiedene Techniken zur Verfügung, die sich grundsätzlich in intuitive (wie Brainstorming, Brainwriting, Methode 6-3-5, Ideen-Delphi, SIL-Methode), systema- tische (wie Morphologie, Attribute Listing, K-J Methode) und analytische (wie Funktionsanalyse, Wertanalyse, EKS-Methode, TRIZ) unterscheiden lassen. (vgl. Völker, Thome & Schaaf, 2012, S. 77ff.) Es kommen also unterschiedlichste Kreativitätstechniken bzw. Methoden in Betracht, den kreativen Prozess der Lösungsfindung zu stimulieren und auch zu simulieren. (vgl. Kolb, 2009, S. 189) Nach Bawden & Robinson (2022) können unter anderem die nachfolgenden Aspekte im Rahmen des Informationsmanagement Kreativität und Innovation positiv beeinflussen: Berücksichtigung von nebensächlichem oder spekulativem Material Bereitstellung von interdisziplinärer Information Darstellung von Informationen, um Analogien, Muster und Ausnahmen ableiten zu können Förderung informeller Informationskanäle Bereitstellung von Informationen, die auf individuelle Vorlieben und Anforderungen zugeschnitten sind. (vgl. Bawden & Robinson, 2022, S. 200) 170 Seite 6

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Für die eigentliche Sammlung der Ideen bietet sich eine Art Ideendatenbank, jeden- falls aber ein elektronisches Speichermedium an, da es in dieser Phase vor allem auch auf eine gute Übersicht und dann in weiterer Folge auch Vergleichbarkeit der unter- schiedlichen Lösungsvorschläge ankommt. (vgl. Vahs & Brem, 2015, S. 232) Dafür kommen in der Praxis in aller Regel informationstechnologische Systeme zum Einsatz. Erfassung und Speicherung In sehr kleinen Unternehmen mag es noch ausreichen, Ideen auf Papier oder anderen physischen Medien zu visualisieren und auch dort zu konservieren und bei Bedarf nach passenden Problemlösungen durchsuchen zu können. Wenn allerdings ein strukturierter Innovationsprozess angestrebt wird und insbesondere bei mittleren und größeren Unternehmen kommt typischerweise allein aufgrund der Datenmenge und auch der Komplexität der damit verbundenen Daten ausschließlich eine IT-Lösung oder zumindest eine Lösung mit EDV-Unterstützung in Betracht. (vgl. Vahs & Brem, 2015, S. 310) Hierfür kommen unterschiedliche Lösungen in Frage. Im günstigsten Fall unterstützt das eingesetzte ERP-System die Verwaltung von Ideen, da hier unterschiedlichste Daten mit den Vorschlägen verknüpft werden können, wie beispielsweise konkrete Analysen, zugrundeliegende Kommunikation oder ähnliches. Es kommen aber auch insbesondere jene Software-Lösungen in Betracht, die auch im Rahmen des Wissensmanagements zur Anwendung gebracht werden können oder aber auch unterschiedliche Kollaborationswerkzeuge wie z. B. Microsoft Sharepoint oder ähnliche. Je besser dieser Bereich in bereits vorhandenen Software-Lösungen im Betrieb integriert werden kann, desto dienlicher ist dies einer strukturierten weiteren Verarbeitung im Rahmen des Innovationsmanagements. Screening der Ideen Das Screening der Ideendatenbank bzw. des aktuellen Bestands an Ideen sollte einerseits in regelmäßigen Abständen, andererseits auch anlass- und problembe- zogen erfolgen. Es soll nach der Erfassung und Speicherung der Ideen sicherstellen, dass die folgenden Phasen des Innovationsprozesses effektiv und effizient durch- laufen werden können, wobei hier insbesondere wichtig ist, auf die Redundanzfreiheit in der Datenhaltung zu achten und die vorhandenen Ideen unter Zweckmäßigkeitsas- pekten zu sichten und gegebenenfalls zu verringern. (vgl. Vahs & Brem, 2015, S. 313) Seite 7 171

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Bewertung von Innovationsideen Aus der Vielzahl an Ideen und Vorschlägen aus der kreativen Phase der Ideen- generierung gilt es nun jene herauszufiltern bzw. zu selektieren, die entweder den größten Nutzen bieten oder auch am ehesten oder effizientesten realisiert werden können. (vgl. Disselkamp, 2012, S. 163) Die gefundenen Ideen müssen dazu einem strukturierten Bewertungsprozess unterzogen werden, um in der Folge zu einer Entscheidung über eine mögliche Umsetzung gelangen zu können. (vgl. Schmitt, 2009, S. 71) Die Ideen müssen nun anhand unterschiedlicher Gesichtspunkte, wie etwa der technischen Umsetzbarkeit, des voraussichtlichen Markterfolgs, ihres Beitrages zu strategischen Zielsetzungen und dergleichen beurteilt werden. (vgl. Vahs & Brem, 2015, S. 321) Je nach Art und Umfang der Innovationsidee kommen damit unterschiedliche Bewertungsmethoden bzw. -ansätze in Betracht, um eine entsprechende Basis für Auswahl und Entscheidung zu schaffen. Eine Idee sollte jedenfalls machbar bzw. durchführbar sein, der Konkurrenz standhalten und zur Unternehmenskultur passen, um erfolgreich umgesetzt werden zu können. (vgl. Schmitt, 2009, S. 88ff.) Handelt es sich um Ideen in großer Abhängigkeit von technologischen Aspekten, kann eine separate Technologiebeurteilung sehr sinnvoll sein. (vgl. Hartschen, Scherer & Brügger, 2012, S. 103) Es ist wesentlich, in welcher Phase des Technologie-Lebenszyklus sich die Technologie im Augenblick befindet. Es geht um die Frage, welche Position die betreffende Technologie im Augenblick aufweist und welches (wettbewerbs-)strategische Potenzial zu erwarten ist. (vgl. Stummer, Günther & Köck, 2010, S. 32) Technologische Interdependenzen, vor allem hinsichtlich Substitution, sind zu berücksichtigen, insofern ob mit der neuen Technologie eigene oder fremde substituiert wird. Konkurrenz- oder Substitutions- technologien lösen ähnliche Kundenprobleme durch unterschiedliche bzw. alternative Mittel. (vgl. Gerpott, 2005, S. 26) Da Forschungs- und Entwicklungsprojekte aufgrund Ihrer Neuartigkeit stets mit einer Vielzahl von Risiken verbunden sein können, ist die Berücksichtigung der Risiko- Perspektive bzw. die Integration des Risikomanagements im Innovationsmanagement unumgänglich. (vgl. Lehner & Kobe, 2006, S. 72) Risikomanagement bezeichnet die 172 Seite 8

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 systematische Analyse, Bewertung, Behandlung und Steuerung von Unternehmens- risiken und ist darauf ausgerichtet, potenziell kritische Situationen im Rahmen der Unternehmenstätigkeiten frühzeitig zu erkennen, zu vermeiden oder zu reduzieren bzw. nach Eintritt die Wirkung der Risiken zu minimieren. (vgl. Brauweiler, 2015, S. 1) Das Risikomanagement, insbesondere das Projektrisikomanagement, umfasst in der Praxis die vier Hauptaktivitäten der Risikoidentifikation, -bewertung und -vermin- derung, sowie der fortlaufenden Beobachtung der Eintrittsindikatoren. (vgl. DeMarco & Lister, 2003, S. 16) Auswahl und Entscheidung über die Umsetzung Die Auswahl der umzusetzenden Alternative bzw. die Entscheidung darüber ist zumeist die Aufgabe des Top-Managements bzw. der Unternehmensführung, wobei die zugrundeliegenden Bewertungen und Analysen durchaus von fachverantwort- lichen, dem mittleren Management oder vorzugsweise von einem interdisziplinären Gremium mit Mitgliedern aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen erfolgen sollte. (vgl. Vahs & Brem, 2015, S. 233) Eine ausgewogene Auswahl an Innovationsprojekten, hinsichtlich Risiken, Zeitrahmen und Geldfluss zählt zu den größten strategischen Herausforderungen mit Innovationen und diese sollte daher stets auf Basis einer eingehenden Betrachtung aller relevanten Aspekte erfolgen. (vgl. Lehner & Kobe, 2006, S. 77) Die Auswahl und Entscheidung erfordern damit eine möglichst umfassende Datenbasis, welche die entsprechend relevanten Informationen in strukturierter Form zur Verfügung stellt. Umsetzung der Ideen Da es sich bei der Umsetzung von Innovationen um einmalige, neuartige, riskante und oft auch komplexe Vorhaben handelt, bietet es sich an, die Umsetzung als Projekt zu organisieren bzw. durch Projektmanagement-Methoden zu begleiten. (vgl. Bea, Scheurer & Hesselmann, 2020, S. 53f) Da Innovationsvorhaben oftmals sehr stark mit Entwicklungsaktivitäten verbunden sind, bieten sich hier insbesondere Ansätze des agilen Projektmanagements an. Die Umsetzung der Ideen kann wesentlich durch informatorische und informationstechnologische Prozesse unterstützt werden. Seite 9 173

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Stummer, C., Günther, M. & Köck, A. M. (2010). Grundzüge des Innovations- und Technologiemanagements. Wien: Facultas. Uebernickel, F., Stölzle, W., Lennerts, S., Lampe, K. & Hoffmann, C. P. (2016). Das St. Galler Business-Innovation-Modell. In C. P. Hoffmann, S. Lennerts, C. Schmitz, W. Stölzle, & F. Uebernickel, Business Innovation: Das St. Galler Modell (S. 3-17). Wiesbaden: Springer. Vahs, D., & Brem, A. (2015). Innovationsmanagement. Von der Idee zur erfolgreichen Vermarktung (5. Ausg.). Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Völker, R., Thome, C. & Schaaf, H. (2012). Innovationsmanagement. Bestandteile - Theorien - Methoden. Stuttgart: W. Kohlhammer. Zotter, K.-A. (2007). Modelle des Innovations- und Technologiemanagements. In H. Strebel, Innovations- und Technologiemanagement (2. Ausg., S. 53-93). Wien: Facultas. 175

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Wiener Universitäre Schriften Herbstausgabe 2023 Herbstausgabe 2023 Open Banking“ Alexander Schlee1 Alexander Schlee1 „Geschäftsmodellanalyse im Zuge der Entwicklung des „Geschäftsmodellanalyse im Zuge der Entwicklung des Open Banking“ UNIVERSITY OF LIBRARY STUDIES AND INFORMATION UNIVERSITY OF LIBRARY STUDIES AND INFORMATION TECHNOLOGIES, SOFIA TECHNOLOGIES, SOFIA Keywords: Open Banking, API-Banking, Zahlungsverkehr, Drittdienstleister, Keywords: Open Banking, API-Banking, Zahlungsverkehr, Drittdienstleister, Geschäftsmodelle, St. Galler Business Model Navigator Geschäftsmodelle, St. Galler Business Model Navigator ABSTRACT ABSTRACT Open Banking beschreibt den Sachverhalt, dass Banken teile ihrer Infrastruktur öffnen und Drittparteien zur Verfügung stellen. Beschleunigt wurde dieser Umstand durch die PSD-2-Richtlinie. In der vorliegenden Ausarbeitung wird analysiert, welche Geschäfts- modelle sich für die Banken ergeben und welche Strategien verfolgt werden können. Als Grundlage wird der St. Galler Business Model Navigator verwendet. Open Banking beschreibt den Sachverhalt, dass Banken teile ihrer Infrastruktur öffnen und Drittparteien zur Verfügung stellen. Beschleunigt wurde dieser Umstand durch die PSD-2-Richtlinie. In der vorliegenden Ausarbeitung wird analysiert, welche Geschäfts- modelle sich für die Banken ergeben und welche Strategien verfolgt werden können. Als Grundlage wird der St. Galler Business Model Navigator verwendet. 1 Alexander Schlee; schlee-alexander@gmx.net Seite 1 1 Alexander Schlee; schlee-alexander@gmx.net Seite 1 177

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Herbstausgabe 2023 1. Einführung Der Begriff “Open Banking” beschreibt den Umstand, dass Banken ihre Infrastrukturen öffnen müssen, damit dritte Dienstleister auf diese zugreifen können. Häufig wird „API Banking“ synonym zum „Open Banking“ verwendet, jedoch umfasst der Begriff „API“ (Application Programming Interface) die technischen Schnittstellen. Ein „Katalysator“ für die Entwicklung des Open Banking ist die PSD2 (Payment Service Directive2) Richtlinie, welche den Kreditinstituten im wesentlichen vorgibt, Drittparteien (Third Party Providern – TPP) im Zahlungsverkehrsmarkt den Zugang zu bestimmten Schnittstellen zu gewähren, sodass diese den Nutzern ihre Dienste anbieten können. Somit soll eine regulatorische Grundlage geschaffen werden, um den Wettbewerb im Zahlungsverkehr voranzutreiben. Ebenfalls wird die Entwicklung verschiedener Unter- nehmen gefördert, die unter anderem Lösungen im Bereich der Zahlungsauslöse- dienste (Payment Service Provider - PISP) oder Kontoinformationsdienste (Account Information Service Provider - AISP) anbieten (vgl. Gozman et al., 2018, S. 6-8) Unternehmen, die Lösungen im Bereich der Zahlungsauslösedienste anbieten, initiieren im Kundenauftrag einen Zahlungsvorgang, greifen auf das jeweilige Konto zu und führen die gewünschte Transaktion aus. Somit soll der Zahlungsprozess für alle involvierten Parteien erleichtert werden (vgl. Polasik et al., 2020, S. 387). Kontoinformationsdienste gehören ebenfalls zu den TPPs und ermöglichen die Aggregation und Aufstellung verschiedener Konten auf einer Benutzeroberfläche. Somit soll eine aggregierte Übersicht über die eigenen Finanzen realisiert werden. Auch hier greift der Drittdienstleister auf verschiedene Kundendaten der jeweiligen Institute zu. Im Rahmen dieser Ausarbeitung soll unter der Anwendung des St. Galler Business Model Navigator untersucht werden, welche Auswirkungen entstehen und welche Geschäftsmodelle sich durch die Öffnung der Schnittstellen von Banken entwickeln können. Seite 2 178

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Herbstausgabe 2023 2. Methode Wie im einleitenden Teil erwähnt, wird unter der Verwendung des Business Model Navigator analysiert, welche Geschäftsmodelle sich aufgrund der zunehmenden Entwicklung des Open Banking ergeben können. Das Modell wurde von der St. Galler Universität konzipiert und gilt als prozessorientierte Methodik zur Beschreibung und Entwicklung von Geschäftsmodellen, welche sich bereits in unterschiedlichen Unternehmen und Branchen bewähren konnte (vgl. Gassmann et al., 2021, S.22). Abbildung 1: Der Business Model Navigator Quelle: Gassmann et al., 2021, S. 22 In diesem Kapitel wird das Modell vorgestellt, während im darauffolgenden Abschnitt dann die Geschäftsmodellanalyse durchgeführt wird. Der Business Model Navigator kann in vier Phasen unterteilt werden (Initiierung, Ideenfindung, Integration und Realisierung). Im Rahmen der Initiierungsphase wird das Umfeld analysiert. Für die vorliegende Ausarbeitung wird lediglich diese Phase betrachtet, sodass die anderen drei Phasen keine Verwendung finden. Seite 3 179

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Herbstausgabe 2023 Nach Gassmann et al. werden bei einer Geschäftsmodellbeschreibung stets vier Dimensionen betrachtet, sodass die Kernelemente „Wer-Was-Wie-Wert“ erarbeitet werden sollen. Die nachfolgende Grafik gilt als zentraler Bestandteil der Initiierungs- phase soll die aufgeführten Kernelemente veranschaulichen: Abbildung 2: Magisches Dreieck mit vier Dimensionen eines Geschäftsmodells Quelle: Gassmann et al., 2021, S.7 Somit wird ein Geschäftsmodell durch die nachfolgenden vier Dimensionen beschrieben: Wer (Kunde/Zielgruppe) Was (Nutzenversprechen) Wie (Wertschöpfungskette) Wert (Ertragsmechanik) In diesem Zusammenhang wird auch von einem „magischen Dreieck“ gesprochen, in welchem sich in der Mitte der Kunde befindet. Aus den angeführten Dimensionen ergeben sich die jeweiligen Fragen: 1. Wer ist der Zielkunde? (Wer?) Ein Unternehmen muss seine Kunden kennen, um zu wissen wie die Ansprache zu erfolgen hat. Es gilt dem Kunden den größtmöglichen Mehrwert anbieten zu können. Daher befindet sich der Kunden im Mittelpunkt des vorgestellten Modells. Seite 4 180

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Herbstausgabe 2023 2. Welcher Mehrwert wird dem Kunden geboten? (Was?) Die nächste Dimension behandelt die Frage, welche Dienstleistungen, Services oder Produkte dem Kunden angeboten werden können, sodass die Bedürfnisse befriedigt oder Probleme gelöst werden können. 3. Wie erfolgt die Leistungserstellung? (Wie?) Der dritte Aspekt behandelt die Frage nach den erforderlichen Maßnahmen, die getroffen werden müssen, sodass die versprochene Leistung realisiert werden kann. 4. Wie wird ein Wert generiert? (Wert?) Die vierte Dimension beschäftigt sich mit den Erlösen und Kosten eines Geschäftsmodells, konzentriert sich auf eine gewinnbringende Konzeption und beurteilt somit, ob das jeweilige Vorhaben rentabel ist. Unabhängig der vier aufgeführten Dimensionen des „magischen Dreiecks“ wird innerhalb der Initiierungsphase die Umfeldanalyse durchgeführt, wobei der wesentliche Fokus auf den Einflussfaktoren und den Akteuren liegt, die ebenfalls aus der Abbildung 1 nachvollzogen werden können. Als mögliche Einflussfaktoren können beispielsweise regulatorische Gegebenheiten, Technologien oder aktuelle Trends gezählt werden. Zu den Akteuren können unter anderem die Partner, Wettbewerber oder Kunden gezählt werden. 3. Ergebnisse In diesem Teil der Ausarbeitung wird die Entwicklung des Open Banking und Anwendung des Business Model Navigator untersucht, welches im vorangegangenen Kapitel vorgestellt wurde. Somit werden die Einflussfaktoren, die Akteure, die Ziel- gruppe, die Leistungserstellung, die Wertschöpfungskette und die Ertrags- mechanik analysiert. In der wissenschaftlichen Literatur wird für die Untersuchung der Einflussfaktoren häufig die PESTEL-Analyse herangezogen, um zu beschreiben, welchen äußerlichen Gegebenheiten sich Unternehmen ausgesetzt sehen. Die Analyse fokussiert sich auf politische, wirtschaftliche, sozio-kulturelle, technologische, ökologische und rechtliche Seite 5 181

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Herbstausgabe 2023 Faktoren, die einen direkten Einfluss auf ein Unternehmen nehmen können (vgl. Pan et al., 2019, S. 2-4). Folgende Aspekte können als Einflussfaktor auf die Entwicklung des Open Banking gesehen werden: Veränderte Kundenerwartungen (sozio-kultureller Faktor) Erhöhter Wettbewerb im Finanzdienstleistungssektor (wirtschaftlicher Einfluss) Zunehmende Digitalisierung (technologischer Fortschritt) Regulatorik (rechtlicher Faktor) Aufgrund der zunehmenden Angebote haben Konsumenten einen größeren Entscheidungsspielraum bei der Wahl Produkte und Dienstleistungen, die möglicher- weise aufgrund des erhöhten Wettbewerbs auch preiswerter sind. Ein erhöhter Wettbewerb bedeutet nicht nur, dass Kreditinstitute lediglich mit anderen Banken konkurrieren, sondern auch mit FinTechs oder möglicherweise auch mit den großen Internetunternehmen, welche nach und nach vermehrt Finanzdienstleistungen anbieten. Lange Zeit wurde die Digitalisierung im Bankenbereich ignoriert. Der Eintritt von neuen Marktteilnehmern stellt für Banken auch neue Kooperationsmöglichkeiten dar (vgl. Fleischer, S. 73-76). Häufig kommt es auch vor, dass es unterschiedliche Kundenerwartungen zwischen der jungen und der älteren Generation gibt, da die jüngere Generation häufig technikaffiner ist und eher dazu neigt, Bankangelegenheiten über das Smartphone abzuwickeln. Im Bereich des technologischen Fortschritts kann die zunehmende Digitalisierung eingeordnet werden. Trends wie beispielsweise Big Data, die Blockchain-Technologie oder die Künstliche Intelligenz verändern den möglichen Umgang mit Kundendaten (vgl. Microsoft, o.J., S. 16). Außerdem gibt es eine erhöhte Nachfrage nach Cloud-Lösungen, sodass Unternehmen sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und den Aufbau der benötigten Infrastruktur delegieren können. Im Bereich der Regulatorik haben unterschiedliche Vorschriften einen Einfluss auf die Öffnung der Bankenschnittstellen. Als wesentlicher Beschleuniger für das Open Banking kann die PSD-2-Richtlinie gezählt werden. Die EU-Mitgliedsstatten sind angehalten, die PSD-2 in nationales Recht zu übertragen (vgl. Mai, 2018, S. 3). Seite 6 182

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Herbstausgabe 2023 Zu den Akteuren im Open-Banking Kontext zählen im Wesentlichen die neuen Marktteilnehmer, die Dienstleistungen im Finanzdienstleistungsbereich anbieten, wie beispielsweise die bereits erwähnten Fintech-Firmen oder die großen Internet- konzerne. Diese neuen Marktteilnehmer im Bereich der Finanzdienstleistungen zielen darauf ab, kundenzentrierte Produkte und Dienstleistungen anzubieten und vorhandene Angebote zu optimieren (vgl. Gulden, 2019, S. 43). Insbesondere profitieren die großen Internetfirmen von dem in der Vergangenheit aufgebautem Vertrauen und von einer großen Nutzerbasis. Weiterhin können zu den Akteuren die Banken selbst aber auch die Bankkunden gezählt werden, deren Bedürfnisse sich laufend ändern. Letztere sind auch wiederum die Zielgruppe, welche von den technologischen Innovationen profitieren. Kreditinstitute können die Möglichkeit nutzen und in Zusammenarbeit mit den Technologie- und Internetunternehmen auf die sich verändernden Kundenbedürfnisse reagieren. Im Zuge der Analyse der Leistungserstellung und der Wertschöpfungskette werden unterschiedliche Szenarien dargestellt, wie durch die Öffnung der Banken und die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure Werte geschaffen werden können. Abhängig von der jeweiligen Literatur kann es unterschiedliche Szenarien in Bezug auf das Open Banking geben. Grundsätzlich zeichnet sich der Trend dahingehend ab, dass es zu Kooperationen zwischen Banken und den neuen Teilnehmern im Finanzdienstleistungsumfeld kommen wird. Open Banking wird die Beziehung zwischen dem Kunden und der Hausbank nachhaltig verändern. Durch die PSD-2-Richtlinie verlieren Kreditinstitute das Monopol über die Daten ihrer Kunden. Durch die kontinuierliche Weiterentwicklung der API-Technologie und die genannte Zusammenarbeit können dem Kunden innovative Dienstleistungen angeboten werden, die über klassische Bankdienst- leistungen hinausgehen. Nichtsdestotrotz muss die Bank selbst entscheiden, welche Strategie im Rahmen des Open Banking verfolgt werden soll. PwC hat im Jahr 2017 eine Analyse zur strategischen Positionierung der Kreditinstitute im Open Banking-Kontext vorgenommen, sodass die sich Banken in einem der folgenden Quadranten positionieren können: Seite 7 183

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Herbstausgabe 2023 Abbildung 3: Positionierungsstrategien der Kreditinstitute im Open-Banking Kontext Quelle: PwC, 2017, S. 6 Aus der Abbildung 3 lassen sich insgesamt vier Quadranten identifizieren. Es werden die den Kunden gebotenen Mehrwerte in Form von Services, Produkten und Dienstleistungen (Y-Achse) in Abhängigkeit des Öffnungsgrades der Bank und der Monetarisierung (X-Achse) dargestellt. Wenn sich die Bank als Compliant Player positioniert, entscheidet sie sich für einen geringen Öffnungsgrad, was jedoch im Umkehrschluss bedeutet, dass auch nur wenig Mehrwerte geboten werden können. Folglich erfüllt die Bank in diesem Quadranten lediglich die Mindestanforderungen und gewährt den Zugang zu bestimmten Schnitt- stellen ausgewählten Drittdienstleistern, wie beispielsweise den Zahlungsauslöse- diensten oder Kontoinformationsdiensten. Positioniert sich die Bank als Aggregator, so entscheidet sie sich für die Öffnung möglichst geringer Schnittstellen, wobei dem Kunden gleichzeitig verbesserte oder neue Lösungen angeboten werden sollen. So können sich die Kreditinstitute beispiels- weise an den Angeboten innovativer FinTech-Unternehmen orientieren und bestimmte Services selbst anbieten. Seite 8 184

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Herbstausgabe 2023 Der Quadrant Platform kennzeichnet sich dadurch, dass ein hoher Öffnungsgrad vorliegt und somit der Zugriff auf die eigene Infrastruktur an Drittanbieter gewährt wird, die eigenen Innovationen jedoch verhältnismäßig geringgehalten werden. Durch unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit mit innovativen Unternehmen lassen sich neue Services für den Kunden anbieten. In der Positionierung als Aggregator as a platform im vierten Quadranten entscheidet sich die Bank für die Implementierung möglichst vieler Schnittstellen und arbeitet somit mit unterschiedlichen Drittanbietern aus verschiedenen Branchen und FinTech-Unter- nehmen zusammen, sodass dem Zielkunden eine Vielzahl an neuen oder verbesser- ten Lösungen zur Verfügung gestellt werden können (vgl. ebd, 2019, S. 6-9). Aus einer weiteren Untersuchung, welche von Efma und Finastra durchgeführt wurde, geht hervor, dass ein großer Teil der Bankenvorstände die Ansicht vertritt, dass das Konzept der „Plattformökonomie“ die beste Möglichkeit darstellt, um auf die Anforderungen der PSD-2-Regelung reagieren zu können. Hierbei ist es denkbar, dass sich die Bank entweder selbst als eine Plattform positioniert und Services anderer Unternehmen anbietet oder aber Teil einer bereits bestehenden Plattform sein wird und so ihr Portfolio zur Verfügung stellt (vgl. Efma u. Finastra, 2018, S. 16-18). In Bezug auf die Ertragsmechanik und die Monetarisierung der Schnittstellen sind verschiedene Abstufungen denkbar, die aus den erwähnten Positionierungsstrategien der Banken hervorgehen. Entscheidet sich eine Bank dafür, lediglich die Mindest- anforderungen zu erfüllen, sind die Auflagen des Gesetzgebers zwar erfüllt, jedoch bietet diese Variante eine begrenzte Anzahl an Möglichkeiten zur Ertragssteigerung. Auf der anderen Seite kann durch die Entscheidung, die Schnittstellen einem möglichst breiten Anwenderkreis zur Verfügung zu stellen bedeuten, dass diverse Ansätze zur Monetarisierung entstehen. Ebenfalls sind verschiedene Gebührenmodelle denkbar, nachdem im ersten Schritt die Schnittstellen implementiert worden sind. Es konnte aufgezeigt werden, dass unter Hinzuziehung des Modells nach Gassmann et al. analysiert werden kann, wie sich Banken im Kontext des Open Banking positio- nieren können, um bestmöglich auf die regulatorischen Anforderungen zu reagieren. Seite 9 185

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Herbstausgabe 2023 4. Literaturverzeichnis [Efma u. Finastra 2018]: Efma u. Finastra (2018): Bankas a Platform- Essential toosl for Open Banking and PSD 2, < https://www.finastra.com/sites/default/files/documents/2018/05/bank-as-a- platform-essential-tools.pdf > [Zugriff: 2023-03-11] [Fleischer 2017]: Fleischer, Klaus (2017): Auswirkungen der Digitalisierung auf das Private Banking, in: Fleischer, Klaus (Hrsg.): Trends im Private Banking III, Bank Verlag GmbH, S. 73-93 [Gassmann et al. 2021]: Gassmann, Oliver, Frankenberger, Karolin, Choudury, Michaela (2021): Geschäftsmodelle entwickeln: 55+ innovative Konzepte mit dem St. Galler Business Model Navigator, 3. Auflage, Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG [Gozman et al. 2018]: Gozman, Daniel, Hedman, Jonas, Olsem Kasper (2018): Open Banking: Emergent Roles, Risks & Opportunities, 26th European Conference in Information Systems (ECIS2018) [Gulden 2019]: Gulden, Julian (2019): Automatisierte Geldanlage. Determinanten und Einflussbedingungen der Akzeptanz von Investment Management FinTechs, Springer Gabler Verlag [Mai 2018]: Mai, Heike (2018): PSD 2, Open Banking und der Wert personenbezogener Daten, EU-Monitor. Digitale Ökonomie und struktureller Wandel, Deutsche Bank Research [Microsoft o.J.]: Microsoft (o.J.): PSD 2 and Open Banking. Using regulation to kick-start the transformation of banking, <info.microsoft.com/rs/157-GQE- 382/images/PSD2%20and%20Open%20Banking%20Whitepaper_Microsoft_Avanade_Accenture.pdf> [Zugriff: 2023-03-12] [Pan et al. 2019]: Pan, Wie, Chen, Le, Zhan, Wenting (2019): PESTEL Analysis of Construction Productivity Enhancement Strategies: A Case Study of Three Economies, Journal of Management and Engineering, 35(1) [Polasik et al. 2020]: Polasik, Michal, Huterska, Agnieszka, Iftikhar, Rehan, Mikula, Stepan (2020): The impact of Payment Services Directive 2 on the PayTech sector development in Europe, Journal of Economic Behavior & Organization, Vol. 178, S.285-401 [PwC 2017]: PwC (2017): Roles for banks and payment operators. How the scenario might evolve in the future. PSD2 in a nutshell, < https://www.pwc.com/it/en/industries/banking/assets/docs/psd2- nutshell-n05.pdf > [Zugriff: 2023-03-10] Seite 10 186

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 „DIE RELEVANZ VON BUSINESS-PROCESS-MANAGEMENT IM ERP-PROJEKT“ „DIE RELEVANZ VON BUSINESS-PROCESS-MANAGEMENT IM ERP-PROJEKT“ M. H. SOYSAL1 M. H. SOYSAL1 University of Library Studies and Information Technologies, Sofia University of Library Studies and Information Technologies, Sofia Keywords: Enterprise-Resource-Planning, ERP, Business-Process- Management, BPM, ERP-Projekt, Prozesse Keywords: Enterprise-Resource-Planning, ERP, Business-Process- Management, BPM, ERP-Projekt, Prozesse 1. ABSTRACT 1. ABSTRACT Die weltweiten Ausgaben in Business Process Management (BPM) haben eine Steigerung bis zu 198 Milliarden Dollar im Jahr 2018 verzeichnet. Während Unternehmen die Relevanz von BPM mit einer steigenden Tendenz bewerten, erreichen sie nur 5 % der durch BPM definierten Ziele. Durch die Anwendung von BPM-Maßnahmen erzielen Unternehmen eine Innovations- und Effizienzsteige- rung und bringen dennoch Risiken mit sich. Mehrere Wissenschaftler unterstrei- chen, trotz der Risikobelastung, die Relevanz von BPM in einem ERP-Projekt und führen sogar den Misserfolg von ERP-Projekten auf fehlende BPM-Maßnah- men zurück. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, standardisierte ERP-Prozesse an Geschäftsprozesse anzupassen oder Geschäftsprozesse an ERP-Prozesse anzupassen. Diese Herausforderungen werden in wissenschaft- licher Literatur mit unterschiedlichen Perspektiven bewertet und können neben hohen Kosten auch unterschiedliche Risiken hervorrufen. Trotz der hohen Risi- ken bewerten 65 % der Manager die Wahrscheinlichkeit eines Unternehmens- schadens, verursacht durch eine ERP-Implementierung, mit einer überschauba- ren Wahrscheinlichkeit. Die weltweiten Ausgaben in Business Process Management (BPM) haben eine Steigerung bis zu 198 Milliarden Dollar im Jahr 2018 verzeichnet. Während Unternehmen die Relevanz von BPM mit einer steigenden Tendenz bewerten, erreichen sie nur 5 % der durch BPM definierten Ziele. Durch die Anwendung von BPM-Maßnahmen erzielen Unternehmen eine Innovations- und Effizienzsteige- rung und bringen dennoch Risiken mit sich. Mehrere Wissenschaftler unterstrei- chen, trotz der Risikobelastung, die Relevanz von BPM in einem ERP-Projekt und führen sogar den Misserfolg von ERP-Projekten auf fehlende BPM-Maßnah- men zurück. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, standardisierte ERP-Prozesse an Geschäftsprozesse anzupassen oder Geschäftsprozesse an ERP-Prozesse anzupassen. Diese Herausforderungen werden in wissenschaft- licher Literatur mit unterschiedlichen Perspektiven bewertet und können neben hohen Kosten auch unterschiedliche Risiken hervorrufen. Trotz der hohen Risi- ken bewerten 65 % der Manager die Wahrscheinlichkeit eines Unternehmens- schadens, verursacht durch eine ERP-Implementierung, mit einer überschauba- ren Wahrscheinlichkeit. Muhammet Hüseyin Soysal; D-71116 Gärtringen, Gartenstraße 12; soysal@live.de Muhammet Hüseyin Soysal; D-71116 Gärtringen, Gartenstraße 12; soysal@live.de Seite 1 189

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 1. Einführung Enterprise-Resource-Planning (ERP) - Systeme verknüpfen eine Vielzahl von Infor- mationen und zählen zu eines der wichtigsten IT-Systeme. Die daraus generierten Da- ten und Informationen dienen Unternehmen als Entscheidungsgrundlage. (van Roekel & van der Steen, 2019, S. 1–2) ERP-Projekte weisen eine hohe Komplexität auf und benötigen für die Implementierung hohe Investitionen. Trotz der hohen Investitionen weisen ERP-Projekte eine hohe Fehlerrate auf und können zu einer Starrheit der Prozesse führen und dadurch die Flexibilität von Prozessen einschränken. Die Konse- quenzen von unflexiblen Prozessen trägt dazu bei, die Individualität des Unterneh- mens aufzugeben und Wettbewerbsvorteile zu verlieren. (Žabjek, Kovačič & Štember- ger, 2009, S. 2) Bei der Auswahl eines ERP-Systems sind mehrere Faktoren entschei- dend. Ein wesentlicher Faktor sind die Funktionen des ERP-Systems, die dazu dienen, Unternehmensprozesse abzubilden. Ein weiterer Faktor ist die Effizienzsteigerung der Prozesse. Unternehmen haben dabei den Anspruch, durch die Implementierung eines ERP-Systems die vorhandenen Prozesse zu optimieren. Nach Vollendung einer Systemeinführung vergleichen Unternehmen die Effizienz der Prozesse vor der ERP- Implementierung mit der Effizienz der Prozesse nach der ERP-Implementierung. (Brabänder & Erbach, 2007, S. 1) Unternehmen bevorzugen ERP-Systeme, da sie aus standardisierten Modulen bestehen und Kostenersparnisse mit sich bringen. Würden Unternehmen die Entscheidung treffen, ein eigenes System zu entwickeln, können die Ausgaben für ein eigenentwickeltes System kostenintensiver sein. (Neubauer, 2009, S. 10) Trotz der Entscheidung für ein standardisiertes ERP-System, mit dem Ziel Kostenersparnisse zu erzielen, erreichen 60 bis 90 % der ERP-Implementierungen nicht den Return-on-Investment (ROI). 65 % Manager unterschätzen dabei die Risiken in einem ERP-Projekt und erwarten die Schädigung des Unternehmens durch die ERP-Implementierung mit einer lediglich überschaubaren Wahrscheinlichkeit. (Dey, Clegg & Bennett, 2010, S. 4) Der Rückschluss von gescheiterten ERP-Projekten ist dabei auf den mangelnden Fokus der Geschäftsprozesse zurückzuführen. (Al-Mudimigh, 2007, S. 2) Deshalb unterstreichen mehrere Wissenschaftler die Rele- vanz von Business-Process-Management (BPM) – Maßnahmen für eine erfolgreiche ERP-Implementierung. 190 Seite 2

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 2. Methode In dieser Arbeit werden unterschiedliche Studien mit den Schwerpunkten in Busi- ness-Process-Management und Enterprise-Resource-Planning ausgewertet. Die wesentlichen Inhalte der Studien beziehen sich auf die Relevanz von BPM, der erwarteten Zielen durch BPM, die erreichten Ziele durch BPM sowie der verbesserten Prozesse im Rahmen eines ERP-Projekts. Die Daten der Studien werden analysiert, zusammengefasst und Schlussfolgerungen ausgearbeitet. Auf Basis der Erkenntnisse aus den Studien erfolgt eine Analyse in wissenschaftlichen Artikeln über die Relevanz und Auswirkung von BPM in ERP-Projekten. Zur Verbesserung von Prozessen sind seit mehreren Jahren unterschiedliche Me- thoden vorhanden. Neben der Lean Management Methode existiert das Business Pro- cess Management. (Maldonado, Leusin, Bernardes & Vaz, 2020, S. 2) Wie in Abbil- dung 1 abgebildet, verzeichnen die weltweiten Ausgaben in von Business Process Management eine stetige Steigerung von 2013 bis 2018. Während die Ausgaben von Business Process Management im Jahr 2013 noch bei 167 Milliarden Dollar lagen, stiegen die Ausgaben um 18,56 % auf 198 Milliarden Dollar im Jahr 2018. Lediglich im Jahr 2015 erfolgte im Vergleich zum Jahr 2014 ein Rückgang, welche trotz des Rück- gangs gegenüber dem Jahr 2013 um 9 Milliarden Dollar höher ist. Aus den steigenden Ausgaben für BPM in den Jahren 2013 bis 2018 wird die zunehmende Bedeutung von Business Process Management für Unternehmen deutlich. Bei einer weiteren Unter- suchung der Ausgaben und der Erstellung einer Sekundärachse auf der Abbildung 1 wird die Rückläufigkeit des Wachstums festgestellt. Während im Jahr 2014 noch das Wachstum der Ausgaben 8,38 % beträgt, sinkt das Wachstum auf -2,76 % im Jahr 2015 im Vergleich zum Jahr 2014. Im Jahr 2016 stieg das Wachstum im Vergleich zum Jahr 2015 auf 3,98 % und sank im Jahr 2017 auf 3,28 %. Zwar stieg im Anschluss das Wachstum von 2018 im Vergleich zum Jahr 2017 um 4,76 %, erreichte allerdings nicht das Wachstum von 2014 mit 8,38 %. Dadurch ist zwar eine Steigerung der Ausgaben gegenüber den Vorjahren von 2013 bis 2018 ersichtlich, wodurch die Relevanz von BPM deutlich wird, allerdings zeigen die Daten auch einen Rückgang im Wachstum gegenüber den Vorjahren, wodurch Anzeichen auf Herausforderungen im BPM-Um- feld erkennbar werden. Seite 3 191

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 167 181 176 183 8,38 5,39 2013 2014 2015 -2,76 9,58 3,98 2016 250 200 150 100 50 0 -50 -100 18,56 198 4,76 2018 189 13,17 3,28 2017 20 15 10 5 0 -5 % n i m u t s h c a W l l o D n e d r a i l l i M n r a i n e b a g s u A Ausgaben in Milliarden Dollar Wachstum ggü. 2013 Steigerung ggü. Vorjahr Abb. 1: Der weltweiten Ausgaben in Business-Process-Management 2013 bis 2018 (Quelle: Nasscom & Statista, 2019) Die Relevanz von BPM und die Herausforderungen sind nicht lediglich aus der Stu- die von Nasscom & Statista (2019) ersichtlich. Eine Studie, bestehend aus 400 Teil- nehmen untersuchte die Relevanz von BPM in Unternehmen. Die Studienteilnehmer gaben als Zielsetzung mit hoher Relevanz an, die Transparenz mit Hilfe von BPM zu steigern, die Kundenzufriedenheit zu erhöhen, Kosten einzusparen und die Qualität zu steigern. Bei einem Vergleich mit den erreichten Zielen, wurde eine geringe Zielerrei- chung von 5 % deutlich. Dennoch sind 80 % der Studienteilnehmer der Überzeugung, dass die Relevanz von BPM zunehmen wird und 60% der Studienteilnehmer gaben an, BPM bereits als wichtiges Thema zu behandeln. (Komus & Hofmann, 2018, S. 7– 10) Aus der Studie wird die Relevanz von BPM deutlich, da 80 % der Studienteilneh- mer eine Steigerung der Relevanz und 60 % der Studienteilnehmer bereits BPM eine hohe Relevanz zuweisen. Die Herausforderungen im BPM-Umfeld zeigen die gering- fügige Erreichung der gesetzten Ziele mit 5 %. Hierbei wird parallel zur Studie von Nasscom & Statista (2019) die hohe Relevanz von BPM und die Herausforderungen abgeleitet. Die hohe Relevanz ist dabei nach Looy & Devos (2018) auf die Innovations- und Effizienzsteigerungen von BPM zurückzuführen. (Looy & Devos, 2018, S. 1) 192 Seite 4

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Ausgabe Herbst 2023 Das BPM weist neben der Relevanz für Innovations- und Effizienzsteigerung auch die Relevanz für eine ERP-Implementierung auf. Mehrere Wissenschaftler weisen da- bei auf die Relevanz von BPM für eine ERP-Implementierung hin. Žabjek, Kovačič, & Štemberger (2009) zeigen eine verstärkte Relevanz von BPM Ansätzen und Methoden für ein ERP-Projekt und unterstreichen die Relevanz. (Žabjek, Kovačič & Štemberger, 2009, S. 1,10) Al-Mudimigh (2007) beschreibt die Relevanz von BPM-Ansätzen und Change-Management-Maßnahmen für eine erfolgreiche ERP-Implementierung. Dabei sind ERP-Projekte kennzeichnet durch die Reformierung von Unternehmensprozes- sen und nicht als IT-Projekt, sondern BPM-Ansatz zu deklarieren. Zudem begründet er den Grund für gescheiterte ERP-Projekte mit einem mangelnden BPM-Fokus. (Al- Mudimigh, 2007, S. 1–8) Neben Al-Mudimigh führen auch Sammon & Adam (2005) das Scheitern der ERP-Projekte auf ungenügend aufgenommene Anforderungen und der mangelnden Analyse der Anforderungen zurück. Bei ungenügender Ausführung von Maßnahmen vor einer ERP-Implementierung kann ein System bereitgestellt wer- den, dessen Nutzen nicht vollständig generiert werden kann oder sogar zum Scheitern des Projekts führen. (Sammon & Adam, 2005, S. 9) Greasley & Wang (2017) weisen bei einer Vernachlässigung der Anpassung von Prozessen auf ein standardisiertes ERP-System, auf das Risiko einer permanenten Anpassung der ERP-Software und einer fehlerhaften Systemausrichtung. (Greasley & Wang, 2017, S. 1) Dabei bewerten Zuhaira & Ahmad (2020) die Umgestaltung von Prozessen im Rahmen des BPM als einen kritischen Punkt in Unternehmen. (Zuhaira & Ahmad, 2020, S. 9) Durch die Be- wertung von BPM-Projekten als kritischer Punkt können weitere Risiken entstehen. Dadurch besteht die Gefahr, zusätzlich zu einem riskanten ERP-Projekt, die Risiken durch die risikobehafteten BPM-Projekte zu erhöhen. Neben den Risiken bringt das Business Process Management (BPM) den Vorteil, die Informationstechnologie (IT) mit den Unternehmensprozessen zu kombinieren und verfolgt dabei das Ziel die IT auf Unternehmensprozesse zu fokussieren. (Lederer An- tonucci, Fortune & Kirchmer, 2020, S. 3) In einer Studie von Panorama Consulting mit 140 Teilnehmern, wurden Unternehmen nach der Verbesserung der Prozesse im Rah- men eines ERP-Projekts befragt. Dabei gaben 51,4 % der Teilnehmer an, wichtige Prozesse verbessert zu haben. Während 45 % der Teilnehmer angaben, die meisten Seite 5 193

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Prozesse verbessert zu haben, gaben 3,6 % der Teilnehmer an, keine Prozesse ver- bessert zu haben. (Panorama Consulting Group, 2022, S. 26) Die Ergebnisse verdeutlichen die Nutzung von ERP-Projekten zur Verbesserung der Unternehmensprozesse. 3,6% 45% 51,4% Die wichtigsten Prozesse verbessert Die meisten Prozesse verbessert Keine Prozesse verbessert Abb. 2: Verbesserung der Prozesse im Rahmen eines ERP-Projekts durch BPM (Quelle: Panorama Consulting Group, 2022, S. 26) Durch eine Prozessmodellierung können Prozessabläufe und Verbesserungspoten- ziale abgebildet werden. Das jeweilige Vorhaben für die Abbildung der Prozesse be- stimmt auch die Form der Abbildung. Für die Planung eines ERP-Projekts ist eine Mo- dellierung der Prozesse im Unternehmen relevant. Hierfür müssen vorgelagerte und nachgelagerte Prozesse abgebildet werden. (Quiescenti, Bruccoleri, La Commare, Noto La Diega & Perrone, 2006, S. 3–4) Bestehen Lücken zwischen den Unterneh- mensanforderungen und der Abdeckungsbereichen eines ERP-Systems mit Standard Modulen, entsteht eine sogenannte Fehlanpassung. (Beijsterveld & Groenendaal, 2016, S. 1) Luo & Strong (2004) definieren drei Kategorien der Prozessanpassungen, die den Grad der Systemanpassung widerspiegeln. Die Kategorien teilen sich in keine, inkrementelle und radikale Prozessveränderungen. Diese drei Kategorien werden mit den Systemanpassungen modulare, tabellarische und codebasierte Anpassung ge- genübergestellt und zeigen bei zunehmender Prozess- und Systemanpassung ein zu- nehmendes Projektrisiko. (Luo & Strong, 2004, S. 4) Bei der Betrachtung auf die An- passung der Prozesse zur Erfüllung der Anforderungen sind in der Literatur unter- schiedliche Aussagen zu finden. Während Wissenschaftler wie Quiescenti et. Al. 194 Seite 6

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 (2006) die Anpassung der Unternehmensprozesse an das System für notwendig hal- ten (Quiescenti, Bruccoleri, La Commare, Noto La Diega, & Perrone, 2006b, S. 2) be- gründet Neubauer (2009) den Verlust der Individualität der Unternehmensprozesse durch die Anpassung der Prozesse an das ERP-System. Andererseits ist die Anpas- sung des ERP-Systems sogar mit höheren Kosten verbunden wie die Eigenentwick- lung eines Systems. (Neubauer, 2009, S. 10) Dabei kann die Anpassung der Prozesse neben dem Verlust der Individualität, die Wettbewerbsfähigkeit negativ beeinflussen. Insbesondere dann, wenn das Unternehmen sich durch individuellen Prozess kenn- zeichnet und ein bestimmtes Segment im Markt durch ihre individuellen Prozesse be- dienen kann. Ein Verlust der individuellen Prozesse kann in diesem Fall die Geschäfts- fähigkeit negativ beeinträchtigen. Hierfür existiert keine klare Formel, die besagt ab welchem Grad ein Unternehmen die Prozesse an das ERP-System anpassen soll oder die ERP-Prozesse an das Unternehmen angepasst werden sollen. Da Unternehmen sich allerdings an die Umgebung anpassen müssen, kann die Beibehaltung von indi- vidualisierten Prozessen vorteilhaft sein. (Beijsterveld & Groenendaal, 2016, S. 2) Kuettner, Diehl, & Schubert (2013) beschreiben die Anpassung der Prozesse an das ERP-System als eine Veränderung der strategischen Ausrichtung und der Kulur. (Kuettner, Diehl & Schubert, 2013, S. 7) Die Konzeption der Aktivitäten von BPM sollte dabei vom Kunden aus ausgehend definiert werden und einen Kundennutzen stiften. (Al-Mudimigh, 2007, S. 4) Dabei sind die Ansätze von BPM nicht lediglich auf die Ge- genwart zur Bewältigung von Problemen bestimmt, sondern auch in Zukunft ein rele- vanter Baustein. (vom Brocke, Schmiedel, Recker, Trkman, Mertens & Viaene, 2014, S. 5) Die abgebildeten Prozesse in einem ERP-System bilden nicht den endgültigen Status der Prozess ab. Nachdem die Prozesse abgebildet sind, sollten Prozesse wei- terhin auf ihre Effizienz und Sinnhaftigkeit hinterfragt und optimiert werden. (Quiescenti, Bruccoleri, La Commare, Noto La Diega & Perrone, 2006, S. 2) Aufgrund der hohen Bedeutung von BPM in einem ERP-Projekt, sollten Unternehmen für die Steigerung der Erfolgsrate eines ERP-Projekts die Ansätze und Methoden von BPM verstärkt einsetzen. (Žabjek, Kovačič & Indihar Štemberger, 2009, S. 1,10) Seite 7 195

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Ausgabe Herbst 2023 3. Erkenntnis Mehrere Wissenschaftler betonen die Relevanz von BPM in einem ERP-Projekt und beschreiben ein ERP-Projekt nicht als IT-Projekt, sondern als BPM-Ansatz. Die Rele- vanz von BPM wird so stark unterstrichen, dass sogar Misserfolge von ERP-Projekten auf einen mangelnden BPM-Fokus zugeordnet werden. In einem ERP-Projekt können Geschäftsprozesse an die Prozesse des ERP-Systems angepasst werden oder aber auch das ERP-System an die Geschäftsprozesse. Beide Versionen sind risikobehaf- tet, da sowohl ERP-Projekte als auch BPM-Maßnahmen unterschiedliche Risiken mit sich bringen. Durch eine Kombination der beiden Projekte können ungewollt zusätzli- che Risiken entstehen. Deshalb sollten Unternehmen vor dem Beginn einer ERP-Im- plementierung eine umfangreiche Kenntnis über die Möglichkeiten und Grenzen von BPM aneignen. Sind die Möglichkeiten und Grenzen bereits bekannt, sollten Unter- nehmen die notwendigen Maßnahmen von BPM für ein ERP-Projekt genauestens ken- nen. Dabei sollten die BPM-Maßnahmen frühzeitig umgesetzt werden, damit das ERP- Projekt nicht unverhältnismäßig verzögert wird. Allerdings sollten bei jeder BPM-Maß- nahme die potenziellen Risiken durch die eingeleiteten Maßnahmen im ERP-Projekt bekannt sein. Bei der Bewertung der Risiken sollten die Eintrittswahrscheinlichkeit und das Ausmaß des entstehenden Schadens genaustens bewertet werden. Sind Risiken mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit erkennbar, sollten umgehend Maßnahmen da- für ausgearbeitet werden, um bei Eintritt der Risiken schnell reagieren zu können. Stel- len allerdings potenzielle Risiken eine große Gefahr dar und weisen eine hohe Ein- trittswahrscheinlichkeit auf, sollten sie umgehend beseitigt und genaustens bewertet werden, ob die BPM-Maßnahme und der daraus erzielte Vorteil, im Verhältnis zu dem potenziellen Risiko im ERP-Projekt steht. Da ERP-Projekte keine Projekte sind, die mehrfach im Unternehmen durchgeführt werden, fehlt Unternehmen die Erfahrung in der ERP-Implementierung. Unternehmen sollten dabei bevorzugen, eine unabhängige Beratung in Betracht zu ziehen, wodurch neutral bewertet werden kann, in welchem Fall ein Prozess dem ERP-System oder das ERP-System dem Prozess angepasst werden muss. Durch eine neutrale, professionelle und erfahrene Sicht können poten- zielle Risiken durch die Anpassung von Geschäftsprozessen und ERP-Prozessen re- duziert werden und aus den Vorteilen eines ERP-Systems profitiert werden. Seite 8 196

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 4. Literaturverzeichnis Al-Mudimigh, A. (2007). The role and impact of business process management in enterprise systems implementation. Business Process Management Journal, 13, 866–874. edb. Greasley, A. & Wang, Y. (2017). Integrating ERP and enterprise social software. Business Process Management Journal, 23, 2–15. edsemr. Zuhaira, B. & Ahmad, N. (2020). Business process modeling, implementation, analysis, and management: The case of business process management tools. Business Process Manage- ment Journal, 27, 145–183. edsemr. Beijsterveld, J. A. A., & Groenendaal, W. J. H. (2016). Solving misfits in ERP implementations by SMEs. Information Systems Journal, 26, 369–393. edb. Dey, P. K., Clegg, B. T., & Bennett, D. J. (2010). Managing enterprise resource planning projects. Business Process Management Journal, 16, 282–296. edsemr. Van Roekel, H.-J. & van der Stehen, M. (2019). Integration as unrealised ideal of ERP systems: An exploration of complexity resulting from multiple variations of integration. Qualitative Research in Accounting & Management, 16, 2–34. edsemr. Komus, A. & Hofmann, R. (2018). Praxisbuch Prozessmanagement: BPM erfolgreich etablieren und nachhaltig verankern 10 ausführliche Beispiele aus der Praxis. Carl Hanser Verlag GmbH & Company KG. Kuettner, T., Diehl, R. & Schubert, P. (2013). Change factors in Enterprise 2.0 initiatives: Can we learn from ERP?. Electronic Markets: The International Journal on Networked Business, 23, 329–340. edssjs. Looy, A. V. & Devos, J. (2018). A roadmap for (un)successful BPM: positivist case studies. Business Process Management Journal, 25, 1164–1190. edsemr. Luo, W. & Strong, D. M. (2004). A Framework for Evaluating ERP Implementation Choices. IEEE Transactions on Engineering Management, 51, 322–333. edb. Maldonado, M. U., Leusin, M. E., Bernardes, T. C. de A. & Vaz, C. R. (2020). Similarities and differences between business process management and lean management. Business Pro- cess Management Journal, 26, 1807–1831. edsemr. Seite 9 197

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Nasscom & Statista (2019, März 15). Market size of business process management (BPM) world- wide from 2013 to 2018 (in billion U.S. dollars) [Graph]. In Statista. Abgerufen 14. Februar 2023, von https://www.statista.com/statistics/536737/worldwide-it-business-process-manage- ment-spending/ Neubauer, T. (2009). An empirical study about the status of business process management. Business Process Management Journal, 15, 166–183. edsemr. Panorama Consulting Group. (2022). The 2022 ERP Report. Abgerufen 14 Februar 2023, von https://f.hubspotusercontent40.net/hubfs/4439340/The%202022%20ERP%20Report%20- %20Panorama%20Consulting%20Group.pdf Quiescenti, M., Bruccoleri, M., La Commare, U., Noto La Diega, S. & Perrone, G. (2006). Business process-oriented design of Enterprise Resource Planning (ERP) systems for small and medium enterprises. International Journal of Production Research, 44, 3797–3811. buh. Sammon, D. & Adam, F. (2005). Towards a model of organisational prerequisites for enterprise-wide systems integration: Examining ERP and data warehousing. Journal of Enterprise Information Management, 18, 458–470. edsemr. Vom Brocke, J., Schmiedel, T., Recker, J., Trkman, P., Mertens, W. & Viaene, S. (2014). Ten principles of good business process management. Business Process Management Journal, 20, 530–548. edsemr. Lederer-Antonucci, Y., Fortune, A. & Kirchmer, M. (2020). An examination of associations between business process management capabilities and the benefits of digitalization: All capabilities are not equal. Business Process Management Journal, 27, 124–144. edsemr. Žabjek, D., Kovačič, A. & Štemberger, M. I. (2009). The influence of business process management and some other CSFs on successful ERP implementation. Business Process Management Journal, 15, 588–608. edsemr. 198

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 „DIE DELEGATION VON STEUERPFLICHTEN AN IN DER BETRIEBSORGANISATION „DIE DELEGATION VON STEUERPFLICHTEN NACHGEORDNETE MITARBEITER“ AN IN DER BETRIEBSORGANISATION NACHGEORDNETE MITARBEITER“ Frank Zingelmann1 Frank Zingelmann1 University of Library Studies and Information Technologies, Sofia University of Library Studies and Information Technologies, Sofia Keywords: Verantwortung, Verantwortungsprinzip, Delegation, Handlungs- und Führungsverantwortung, Steuerberater, Finanzbehörde. Keywords: Verantwortung, Verantwortungsprinzip, Delegation, Handlungs- und Führungsverantwortung, Steuerberater, Finanzbehörde. ABSTRACT ABSTRACT Der steuerpflichtige Unternehmer entscheidet nichtdelegierbare Sachaufgaben, deren Vorbereitung und Durchführung der Mitarbeiter einschließlich Steuerberatern übertragen kann. Der steuerpflichtige Unternehmer entscheidet nichtdelegierbare Sachaufgaben, deren Vorbereitung und Durchführung der Mitarbeiter einschließlich Steuerberatern übertragen kann. Soweit Kompetenzen delegierbar sind, müssen Sie von Mitarbei- tern im Rahmen der vertikalen Arbeitsteilung übernommen werden. Soweit Kompetenzen delegierbar sind, müssen Sie von Mitarbei- Dabei verbleibt dem Unternehmer, wie jedem Vorgesetzten, aus- tern im Rahmen der vertikalen Arbeitsteilung übernommen werden. schließlich die Führungsverantwortung für Auswahl, Information und Dabei verbleibt dem Unternehmer, wie jedem Vorgesetzten, aus- Kontrolle. Eine rechtliche Gesamtverantwortung bei Verschulden des schließlich die Führungsverantwortung für Auswahl, Information und Mitarbeiters ist der deutschen Rechtsordnung grundsätzlich fremd. Kontrolle. Eine rechtliche Gesamtverantwortung bei Verschulden des Mitarbeiters ist der deutschen Rechtsordnung grundsätzlich fremd. Gegenüber der Finanzbehörde müssen delegierte Kompetenzen rechtsverbindlich nachgewiesen werden. Gegenüber der Finanzbehörde müssen delegierte Kompetenzen rechtsverbindlich nachgewiesen werden. 1 Frank Zingelmann; D-22459 Hamburg; Habichthorst 42; frank@zingelmann-stb.de Seite 1 1 Frank Zingelmann; D-22459 Hamburg; Habichthorst 42; frank@zingelmann-stb.de Seite 1 201

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 1. Einführung Der Assistent der Kaufmännischen Geschäftsführerin in einer GmbH schildert den Verlauf eines Gesprächs zwischen seiner „Chefin“ und den neu eingestellten Leiter einer größeren Bäckerei-Filiale mit Verkauf von Backwaren und Führung eines Cafés (12 Mitarbeiter): „… und mein Kollege in der Geschäftsführung, zuständig für die Unternehmens- strategie, sagte mir, sie hätten sich seit Übernahme der Filialleitung gut eingearbeitet und würden überall helfen, wo Not am Mann sei. Sie würden manchmal sogar den Verkauf und die Bedienung im Café unterstützen.“ „Ja, ich rackere mich ab und bin gelegentlich fix und fertig. Ich will ja auch bei meinen Leuten beliebt sein. Und das ist mein Thema heute. Ich möchte gern ein Seminar über Team-Management besuchen.“ „Um sich in der Kommunikation noch zu verbessern.“ „Genau, ich will als Leiter auch für meine 12 Mitarbeiter Motivator und weniger Vorgesetzter sein.“ „Das verstehe ich, das ist die eine Seite ihrer Führungsaufgabe. Dazu ist auf der anderen Seite die Zuteilung von Aufgaben und Verantwortung wichtig. Ich glaube, ich sollte bald mal zu Ihrer Filiale kommen.“ „Da könnten sie mir bestimmt einige Tipps zum Führungsverhalten geben. Ich freue mich auf Ihren Besuch. Die Kollegen sind ja auch ihre Mitarbeiter“. „Da könnten sie sich also mal den Ordner mit den Management-Richtlinien ansehen und erkennen, wer zu meinen Mitarbeitern gehört. Und noch was: Wir haben gute Kontakte zum Finanzamt. Die wollen wir nicht kaputt machen. Wir rechnen täglich mit einer unangekündigten Kassen-Nachschau und mit einem Kassensturz. Da werden sie ganz schön überrascht sein. Die sagen vorher nicht Bescheid. Bitte lesen Sie die Richtlinien; sie müssen ja auch mit Ihren drei Mitarbeitern Ziele vereinbaren und durchführen.“ Seite 2 202

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 „Wieso drei Mitarbeiter, ich habe doch 12“. „Na ja, darüber reden wir noch. Die wichtigste Richtlinie ist erst einmal die Nachschau-Anweisung. Bitte lesen Sie die und machen Sie mir einen Vorschlag für Ihre Stellvertreterin.“ Die Verantwortung und die sich daraus ergebende persönliche Haftung der Geschäftsleitung, der Führungskräfte und der Mitarbeiter sind unmittelbar mit der Organisation und dem Führungsstil eines Unternehmens verbunden. Der Inhalt dieser Verantwortung ist anders bei herkömmlicher, insbesondere autoritärer Führung und einer ihr entsprechenden Organisation als bei einer auf dem Prinzip der Delegation von Verantwortung beruhenden Struktur. Dies wird gewöhnlich nicht erkannt, führt zu grundlegenden Irrtümern über die Verantwortung und entsprechendem Fehlverhalten in der täglichen Praxis. Führungsstil ist die Grundhaltung und das sich daran orientierte Verhaltensmuster, mit dem jemand seine Führungsaufgaben wahrnimmt. Es gibt eine Reihe unterschiedlicher Führungsstile mit zahlreichen Erklärungsversuchen für erfolgreiches Führungsverhalten. Der Trend geht weltweit, wenn auch teilweise mit geringem Erfolg, in Richtung der delegativen Führung mit eindeutigen Handlungsprinzipien, die dem „Modell der Delegation von Verantwortung“ entsprechen. Bei diesem Verantwortungsprinzip wird von einer vertikalen Gewaltenteilung in einer hierarchischen Organisation ausgegangen. Dazu gehört, dass Mitarbeiter nicht im Namen eines Vorgesetzten oder der Geschäftsführung handeln (s. das autoritäre „Im Auftrage“), sondern im Namen und in Vollmacht der Organisation. „Das gesetzliche Weisungsrecht der Führungskräfte wird bei Sachaufgaben aufgegeben. Anstelle einer Weisungshierarchie entsteht eine Kompetenz- und Verantwortungshierarchie. Jeder Vorgesetzte nimmt sein Weisungsrecht ausschließlich im Rahmen der Führungs- aufgaben wahr“ (Borsch u. a. 2019). 203 Seite 3

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 2. Handlungs- und Führungsverantwortung Die umfassend angelegte Führungskonzeption „Verantwortungsprinzip“ stellt die Delegation von Verantwortung in den Mittelpunkt der Unternehmensführung. Nach Siedenbiedel (2001:127) „wird die in einer Instanz angelegte Verantwortung in zwei verschiedene Kategorien aufgegliedert. Die Verantwortung des Inhabers einer Instanz umfasst zum einen die Handlungsverantwortung und zum anderen die Führungs- verantwortung. Dabei resultiert Führungsverantwortung aus der Wahrnehmung der Führungsaufgaben, dagegen bezieht sich die Handlungsverantwortung auf die Wahrnehmung der vom Inhaber der Instanz zu erledigenden Sachaufgaben. Diese Art der Differenzierung und Operationalisierung der Kategorie Verantwortung verdeutlicht folgende Abbildung (vgl. Siedenbiedel 2001:128). Abb. 1: Handlungs- und Führungsverantwortung (in Anlehnung an Höhn/Böhme, 1983, in: Siedenbiedel, 2001:128) Seite 4 204

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Ein Unternehmen hat, angenommen, 120 Mitarbeiter einschließlich Geschäfts- leitung. Der Denkansatz ist, alle 120 Personen sind Mitarbeiter für die Wahrnehmung von Sachaufgaben. Sie handeln in einem Freiraum zur Selbstentfaltung im eigenen Namen und aus eigenem Recht. Mit Kompetenzen wird ihnen ein eigener Zuständigkeitsbereich geschaffen, innerhalb dessen sie in Normalfällen selbstständig handeln und entscheiden (Handlungsverantwortung). Hierzu rechnen als externe Mitarbeiter auch Steuerberater. Einige dieser Mitarbeiter im Unternehmen haben neben diesen sachgerichteten Aufgaben auch personengerichtete Aufgaben im Rahmen ihrer Führungsverant- wortung. Im Mittelpunkt stehen hier die bereits im Altertum bekannten, also klassischen drei Führungsaufgaben Auswahl, Information und Kontrolle als tägliche Vorgesetztenpflicht. Das ist der wichtigste Sorgfaltspflichtenkreis eines jeden Vorgesetzten, nämlich die cura in eligendo (Auswahl), die cura in instruendo (Information) und die cura in custodiendo (Kontrolle). Diese Trilogie ist fundamental für eine rechtssichere Betriebsorganisation.2 3. Betriebsorganisation Die Hamburger Backwaren GmbH (HBHH) stellt hochwertige Bäckereierzeugnisse mit Rohstoffen von regionalen Partnern in bester Qualität her. Sie hat ihren Sitz im Stadtzentrum mit acht Filialen im Hamburger Umland. Jede Filiale hat ein Büro und zwei Abteilungen: Backwaren und Café einschließlich Küche. Dem Filialleiter sind jeweils eine Assistenz und zwei Abteilungsleitern direkt unterstellt. Insgesamt hat jede Filiale 12 festangestellte Mitarbeiter. Jeder Filialleiter ist der Geschäftsführung direkt unterstellt. Um die unternehmerischen Ziele zu erreichen und Leistungen optimal zu verwirklichen, sind eine Aufbau- und Ablauf- beziehungsweise Prozessorganisation in organisando 2 Die genannten klassischen Führungspflichten, hauptsächlich die Auswahlpflicht, ergeben sich aus Entscheidungen des Reichsgerichts vom 09.07.1906 und vom 06.03.1911 sowie des BGH vom 25.10.1951 (vgl. Vogel 1935). Nach dem Schweitzer Privatrecht bei der Geschäftsherrenhaftung hat das Bundesgericht 1994 eine vierte Sorgfaltspflicht für die Betriebsorganisation (Schachtrahmenfall). Vergleichbar in Deutschland ist das Organisationsverschulden. Seite 5 festgelegt: die cura 205

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 4. Delegation von Verantwortung Es ist grundsätzlich zu prüfen, wer entscheidet und wer ist in der Entscheidungs- vorbereitung tätig. Abb. 1: Entscheidungs- und Beratungsverantwortung Die Mitarbeiter in der Assistenz sowie in den Projektteams sind in der Entscheidungsvorbereitung und gegebenenfalls in der Durchführung tätig. Sie tragen die Beratungsverantwortung, erledigen also weitgehend zuarbeitende, unterstützende und beratende Aufgaben. Beratungsfälle ergeben sich auch, wenn ein Mitarbeiter keine Entscheidungs- kompetenz hat und deshalb den Sachverhalt dem Vorgesetzten in einem Beratungs- gespräch vorlegen muss. Auch umgekehrt: Der Vorgesetzte muss vor einer Entschei- dung dem Mitarbeiter, weil der wesentlich betroffen ist, anhören (Führungsgrundsatz: Betroffene = Beteiligte). 5. Unternehmensleitung und Verantwortungsprinzip Im Gegensatz zum Aktiengesetz, nachdem nach § 76 der Vorstand die AG „unter eigener Verantwortung“ leitet, fehlt im GmbH-Gesetz eine solche Bestimmung. Im Gegenteil, die Geschäftsführung ist der Gesellschafterversammlung unterstellt. Klar, wer hier die Entscheidungs- und wer Beratungsverantwortung hat. Zudem hat die Gesellschafterversammlung der GmbH jederzeit das Recht, der Geschäftsführung Weisungen zu erteilen und im Betrieb durchzuregieren. Seite 7 207

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Allerdings gibt es weisungsfreie Geschäfte, bei denen Weisungen rechtswidrig sind. Dies gilt für den Bereich der Steuern und der Buchführung und für die Entscheidung über die Eröffnung des Konkurses. Die beiden Geschäftsführer sind somit verpflichtet, für die ordnungsmäßige Buchführung zu sorgen (Handlungsverantwortung nach § 41 GmbHG). Diese Pflicht trifft nach § 91 AktG auch den Vorstand einer AG. Neben der Handlungsverantwortung wirkt sich die Führungsverantwortung wie folgt aus: Der Geschäftsführer braucht nicht unbedingt über eigene Kenntnisse der Buchführung zu verfügen. Er kann jedoch seiner Sorgfaltspflicht durch Einstellung geeigneter Mitarbeiter aufgrund sorgfältiger Auswahl (cura in eligendo) und durch deren Überwachung nachkommen (cura in custodiendo). Hat der Geschäftsführer ● geeignete Mitarbeiter aufgrund sorgfältiger Auswahl zur Buchführung eingestellt, ● hat er des Weiteren von sorgfältig ausgesuchten Dritten, etwa einer Steuerberatung, sich bei der Überwachung unterstützen lassen, so hat er seine Sorgfaltspflicht für eine ordnungsmäßige Buchführung erfüllt und ist von jeder Haftung frei“ (vgl. Höhn 1995). Vom zur Buchführung verpflichteter Personenkreis: Bei der OHG und der KG wird die Verpflichtung zur Buchführung entweder allen persönlich haftenden Gesellschaftern oder einschränkend nur dem geschäftsführenden Teil der persönlich haftenden Gesellschafter zugeschrieben (vgl. Schiffer 2004). Auch bei der AG gilt das Verantwortungsprinzip insoweit, „als es dem Vorstand freigestellt ist, die Ausführung der Buchführungspflicht (§ 91 Abs. 1 AktG) Dritten zu überlassen, sei es Angestellten der AG oder Außenstehenden, insbesondere Steuer- beratern. Der Vorstand ist jedoch verpflichtet, die ordnungsmäßige Buchführung laufend zu überwachen und bei Fehlentwicklungen sofort einzuschreiten. Verletzt der Vorstand seine Pflicht, zum Beispiel auch durch mangelnde Kontrolle bei erfolgreicher Delegation, so kann die AG den Vorstand dafür in Regress nehmen“ (vgl. Schiffer 2004). Seite 8 208

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 6. Gesamtverantwortung und Delegation Das Organigramm zeigt die Gesamtverantwortung der Geschäftsführung, allerdings mit einer Ressortverteilung. So ist der Strategische Geschäftsführer zum Beispiel nicht für Finanzfragen zuständig. Trotzdem liegt bei ihm aufgrund der Gesamtverantwortung und der Allzuständigkeit eine straf- und damit eine haftungsrechtliche Verantwortlich- keit vor. Hier wird in der Rechtspraxis von einer gegenseitigen Führungspflicht in der Geschäftsführung gesprochen. Denn wie in Führungs-Mitarbeiterverhältnissen gelten auch hier die klassischen Führungspflichten Auswahl, Information und Kontrolle. „Wenn ein Geschäftsführer Pflichtverletzungen eines Mitgeschäftsführers nicht bemerkt und nicht verhindert, liegt meist entweder ein Überwachungs- oder ein Organisationsverschulden vor: ● waren die Pflichtverletzungen nicht zu erkennen, war die Organisation unzureichend; ● hätte die Organisation die Kenntnis ermöglicht, war die Überwachung unzureichend. Gegen die kriminelle Energie eines Mitgeschäftsführers ist eine hundertprozentige Vorsorge nie möglich, Pflichtverletzungen müssen aber möglichst rasch erkannt werden. Das Haftungsrisiko des Geschäftsführers liegt deshalb nicht primär darin, einen Erstverstoß nicht verhindert, sondern diesen nicht bemerkt und deshalb Folgeverstöße nicht verhindert zu haben. Je länger Pflichtverletzungen eines Geschäftsführers möglich sind, desto deutlicher wird die Haftung des anderen Geschäftsführers“ (vgl. Muschalle u. a. 2006). Abgesehen von der Buchführungspflicht verbleibt es beim Recht der Gesellschafter- versammlung, dem Geschäftsführer Weisungen zu erteilen und in der Hierarchie der Organisation „durchzuregieren“. Das verstößt allerdings elementar gegen das Verant- wortungsprinzip. Deshalb haben manche Unternehmen dieses aus 1892 stammende Weisungsrecht widerrufen. „Ein Geschäftsführer, der im Rahmen des ihm gewährten Freiraums von Weisungen der Gesellschafter freigestellt ist, erhält insoweit eine dem Vorstand einer AG beziehungsweise Genossenschaft vergleichbare Position“ (vgl. Höhn 1995). Seite 9 209

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Hierzu ist noch festzustellen, dass eine Gesamtverantwortung für hierarchisch nachgeordnete Ebenen ausgeschlossen ist. Wer für alles verantwortlich sein soll, fühlt sich letztlich für nichts verantwortlich. Nur für echte Teams (Geschäftsleitung, Projektteams wie im vorstehenden Organigramm) verbleibt es bei der Gesamtverant- wortung. In Krisen- und Ausnahmesituationen kann es Ausnahmen geben (BGH, WM, 1996, 2240) (vgl. Borsch u. a. 2019). 7. Delegationsgrundsätze Für die der Geschäftsführung nachgeordneten Mitarbeiter gelten weitere Delega- tionsgrundsätze (in Anlehnung an Wirtschaftsakademie Bad Harzburg, 2022, 33–80). ● Der steuerpflichtige Unternehmer muss dauerhaft eine geordnete Organisation einschließlich der Ablaufprozesse sicherstellen. Er hat nichtdelegierbare und delegierbare Aufgaben. Für beide besteht keine Gesamtverantwortung. Im Widerspruch zum Erlass des Bundesfinanzministeriums betr. Buchführungs- grundsätze vom 28.11.2019 (Rz. 21, GoBD, Dok. 2019/0962810). ● Ziele, Aufgaben und Kompetenzen werden von der Unternehmensführung festgelegt. Delegation ist keine Abspaltung von Befugnissen eines Vorge- setzten, der trotz der Delegation auch weiterhin die gesamte Verantwortung für nachgeordnete Aufgabenbereiche behält. ● Mit Führung ist der unmittelbar nachgeordnete Mitarbeiter gemeint. Für Fehler eines Mitarbeiters kann der Vorgesetzte nur verantwortlich gemacht werden, wenn er seine Führungspflichten versäumt. Die Verantwortung entfällt grund- sätzlich für Fehler der seinen Mitarbeitern unterstellten Mitarbeiter. ● Hat der Vorgesetzte seine Führungsaufgaben ordnungsgemäß erfüllt, so trägt nicht er, sondern das Unternehmen, die Behörde, das Risiko für eventuelles Fehlverhalten des Mitarbeiters. ● Jede Führungskraft muss sich auch um den übernächsten Mitarbeiter kümmern, um zum Beispiel nicht nur zu kontrollieren, wie der direkt unterstellte Mitarbeiter seine Sachaufgaben wahrnimmt, sondern auch, um zu kontrollieren, ob ihr Mitarbeiter seine Führungsaufgaben erfüllt, also zum Beispiel ob er kontrolliert. Seite 10 210

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 ● Das Zeichnungsrecht ist grundsätzlich nicht in das Ermessen der Unter- nehmensführung oder des Vorgesetzten gestellt, sondern ergibt sich originär aus den übertragenen Zielen und Kompetenzen. Es ist dem Aufgabenbereich immanent, wird nicht besonders verliehen und darf dem Mitarbeiter nicht vorenthalten werden. 8. Stellung des Steuerberaters Das Organigramm zeigt die Position des Steuerberaters. Er ist externer Mitarbeiter und unmittelbar der Geschäftsführung beziehungsweise dem Unternehmer unterstellt. Der Steuerberater steht in einem Dienstvertragsverhältnis (§ 611 BGB) mit Beratungs- pflichten in der Entscheidungsvorbereitung bei nichtdelegierbaren Aufgaben des Unternehmers. Soweit rechtlich zulässig können ihm auch Sachaufgaben zur selbstständigen Erledigung übertragen werden. Dem Unternehmer verbleibt in solchen Fällen die Führungsverantwortung. Aufgrund seiner besonderen Fachkenntnisse sollte der Steuerberater „Mitglied des Projektteams Richtlinien“ sein. Dort könnte er federführend die Aufgaben zur Ordnungsmäßigkeit der Verfahren in DV-Systemen übernehmen (einschließlich Verfahrensdokumentation, internes Kontrollsystem und Tax Compliance Management System). In der vorliegenden Betriebsorganisation wird gegenüber dem Steuerberater von einem sogenannten Vollauftrag ausgegangen. Er führt die Bücher, er stellt den Abschluss und fertigt die Steuererklärungen. Insgesamt wurde ihm die „Wahrnehmung aller steuerlichen Belange“ übertragen.3 3 BGH, 216, § 675, Rn. 26, hier: Dauerberatung Seite 11 211

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 9. Organisation und Führungs-Mitarbeiter-Verhältnisse Zum eingangs beschriebenen Gespräch zwischen der kaufmännischen Geschäfts- führerin und dem neu eingestellten Filialleiter ist auf der Grundlage des Organigramms folgendes weiterhin festzustellen: ● Das Organigramm mit den Führungs-Mitarbeiterverhältnissen ist eine Vorgabe der Unternehmensleitung, die nicht verändert werden darf (Organisations- verbot). Dem Filialleiter unterstehen Assistenz und zwei Abteilungsleiter als Führungskräfte gegenüber insgesamt neun Mitarbeitern. ● Die Stelleninhaber wissen, was Sie aufgrund ihrer Aufgaben (Kompetenz- matrix) erledigen dürfen und wann Sie ein Problem vom Vorgesetzten entscheiden lassen müssen. Sie sind sicher, dass der Vorgesetzte nicht in ihren Aufgabenbereich eingreift. ● Freigestellt von den Sachaufgaben seiner Mitarbeiter kann jeder Vorgesetzte sich mit großer Intensität neben seinen eigenen Sachaufgaben der Auswahl, Weiterbildung, Zielsetzung und Kontrolle seiner Mitarbeiter widmen. Zusammenfassend: alle Führungskräfte der HBHH haben sicherzustellen, dass die ihnen übertragenen Aufgaben fachlich einwandfrei erledigen. Im Falle der HBHH werden die Führungskräfte ihre ganze Energie dransetzen, dass die Mitarbeiter ihre allgemein anerkannten fachlichen Standards beachten. ihr unmittelbar nachgeordneten Mitarbeiter permanent die ● Für die im Organigramm zum Ausdruck gebrachten Projektteams „Filialleiter“ und „Richtlinien“ der Unternehmensführung gelten bestimmte Grundregeln. In beiden Fällen ist es das Ziel, besonders wichtige Entscheidungen der Geschäftsführung vorzubereiten, vom Sammeln und Aufbereiten von Informationen und der Erarbeitung von Alternativen bis zum Entscheidungs- vorschlag. Die Teams tragen als Ganzes die Handlungsverantwortung für ihre Kollektiv- entscheidungen. Im Wege der Delegation wird vom Vorgesetzten des Teams, hier die Geschäftsführung, entweder die Beratungspflicht oder Entscheidungs- rechte in einer Kompetenzmatrix übertragen. Bei der Geschäftsführung verbleibt die Führungsverantwortung. Seite 12 212

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 ● für Im Gespräch mit dem Filialleiter bat die Kaufmännische Geschäftsführerin um einen Vorschlag für die Stellvertretung. Hier liegt schnell ein Verstoß gegen die Organisationspflicht vor, solange die Geschäftsführung nicht jeden Mitarbeiter einen Stellvertreter bestimmt. Beim Filialleiter, und bei jedem seiner Kollegen, muss die Stellvertretung dringend geregelt werden, weil sie eine Voraussetzung für eine ordnungsmäßige Buchführung ist. Im Falle der genannten Kassen-Nachschau und des Kassensturzes (als Kontrollmöglichkeit der Kassenführung) müssen Mitarbeiter bei Abwesenheit des Filialleiters als Stellvertreter über rechtsverbindliche Kompetenzen aller wesentlichen Zugriffs- und Benutzungsrechte des Kassensystems verfügen. Sie haben gegenüber der Finanzbehörde die Pflichten des steuerpflichtigen Unternehmers zu erfüllen. 10. Literaturverzeichnis Borsch, H., & Borsch, D. (2019). Demokratisierung in der Organisation. Stuttgart. Höhn, R. (1995). Die Geschäftsleitung der GmbH. Köln. Muschalle, V., Schultze, T. (2006). Die Haftung des Geschäftsführers. Stuttgart. Schiffer, J. (2004). Haftungsgefahren im Unternehmen. (J. Schiffer, Hrsg.) Herne/Berlin. Siedenbiedel, G. (2001). Organisationslehre. Stuttgart. Vogel, H. (1935). Der nach § 831 BGB zulässige Entlastungsbeweis der sorgfältigen Auswahl bei Großbetrieben. Dresden. Wirtschaftsakademie Bad Harzburg (2022). Handlungs- und Führungsverantwortung. Studienbrief Fernstudium Management-Referent/in, Personal-Referent/in. Seite 13 213

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Wiener Universitäre Schriften Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Ausgabe Herbst 2023 „DIE MCDA ALS METHODE ZUR BEWERTUNG DES „DIE MCDA ALS METHODE ZUR BEWERTUNG DES VORANSCHREITENS DER ENERGIEWENDE IM VORANSCHREITENS DER ENERGIEWENDE IM INDUSTRIESEKTOR“ INDUSTRIESEKTOR“ L. Feller1 L. Feller1 University of Library Studies and Information Technologies University of Library Studies and Information Technologies Sofia Sofia Keywords: Industriesektor, Energiepolitisches Dreieck, MCDA, Energiewende, Industrielle Energieversorgung, Nachhaltigkeit Keywords: Industriesektor, Energiepolitisches Dreieck, MCDA, Energiewende, Industrielle Energieversorgung, Nachhaltigkeit ABSTRACT ABSTRACT Der Industriesektor steht aufgrund seines hohen Energiebedarfs und den daraus folgenden Emissionen vor der Herausforderung des Der Industriesektor steht aufgrund seines hohen Energiebedarfs Umstiegs auf einen nachhaltigen und damit emissionsfreien Betrieb. und den daraus folgenden Emissionen vor der Herausforderung des Umstiegs auf einen nachhaltigen und damit emissionsfreien Betrieb. Im Rahmen des energiepolitischen Dreiecks sind bei einer industriellen Energiewende die Dimensionen Wirtschaftlichkeit, Im Rahmen des energiepolitischen Dreiecks sind bei einer Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit zu berücksichtigen. industriellen Energiewende die Dimensionen Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit zu berücksichtigen. Die Methodik der multikriteriellen Entscheidungsanalyse erlaubt die Einbeziehung mehrerer Zieldimensionen bei der Durchführung einer quantitativen Analyse. Durch die Festlegung der Kriterien kann Die Methodik der multikriteriellen Entscheidungsanalyse erlaubt der Scope einer solchen Untersuchung bestimmt werden. die Einbeziehung mehrerer Zieldimensionen bei der Durchführung einer quantitativen Analyse. Durch die Festlegung der Kriterien kann der Scope einer solchen Untersuchung bestimmt werden. 1 Lars Feller; fellerlars@yahoo.de 1 Lars Feller; fellerlars@yahoo.de Seite 1 215

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 1. Einführung Der Industriesektor stellt eine wesentliche Säule für die globale Wirtschaftsleistung dar. Im Jahr 2021 trägt er weltweit zu 28,3% des GDPs bei (World Bank, 2022). Trotz der Vielfalt an individuellen Produktionsprozessen innerhalb des Sektors, haben die Unternehmen einen hohen Energiebedarf gemeinsam, sodass der Anteil der Energiekosten an den Produktionskosten signifikant ist (Hutton et al., 2021, S. 2). Eine sichere Energieversorgung ist für die Produktionsprozesse, insbesondere als Ausgangspunkt für eine Vielzahl von Wertschöpfungsketten unerlässlich. In den 27 EU-Staaten waren im Jahr 2019 3,2 Millionen Menschen im energieintensiven Sektor tätig; dies entspricht 11% der Beschäftigten im gesamten Industriesektor (de Bruyn et al., 2020, S. 15). Aufgrund dieser Bedeutung für nationale und internationale Wertschöpfungsketten muss diese Relevanz insbesondere in Zeiten hoher Energiepreise und im Rahmen der Konzeption eines klimaneutralen Systems bei der Gestaltung von Politikinstrumenten berücksichtigt werden (Shawkat et al., 2022, S. 11–15). Abb. 1: Globale CO2 Emissionen nach Sektoren im Jahr 2022 (Quelle: Chen et al., 2023, S. 9) Gleichermaßen relevant sind die verursachten Emissionen des Sektors. Auf globaler Ebene entfallen 26,3 % aller CO2 Emissionen auf den Industriesektor. Dieser ist damit nach dem Energieversorgungssektor, der wiederum Energie für alle 216 Seite 2

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 übrigen Sektoren umwandelt, der Sektor mit den höchsten Emissionen (s. Abbildung 1). Um diese globalen Emissionen zu reduzieren, bedarf es einem Wandel des industriellen Energiesystems für ein Gelingen der Energiewende. Aus dem hohen Energiebedarf des Industriesektors und den daraus resultierenden Emissionen folgt die Herausforderung des Umstiegs auf einen nachhaltigen Betrieb. 2. Ansätze zur Bewertung des Voranschreitens der Energiewende Der sowie die damit fortschreitende Klimawandel einhergehenden Herausforderungen haben nicht zuletzt aufgrund der vermehrt auftretenden Natur- katastrophen an Bedeutung gewonnen (Lee et al., 2023, S. 8). Die erforderliche Energiewende hat dadurch sowohl in öffentlichen politischen Debatten als auch im wissenschaftlichen Kontext eine zentrale Rolle eingenommen (Araújo, 2014, S. 8–9; Lockwood, 2022, S. 1–3). Aufgrund der unterschiedlichen Rahmen- bedingungen der nationalen Industriesektoren und den damit verbundenen individuellen Voraussetzungen, haben sich vielfältige Ansätze zur Bewertung der industriellen Energiewende entwickelt. (ETI), der mittels Ansätze zur quantitativen Bewertung greifen oftmals auf indikatorbasierte Verfahren zurück. Das Weltwirtschaftsforum veröffentlicht den „Energy Transition Index“ Indikatoren die Zieldimensionen Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit auf nationaler Ebene miteinander vergleicht (Singh et al., 2019). In den Arbeiten vom Global Energy Institute (2020), Martchamadol und Kumar, (2013) und Narula und Reddy (2015) führen die Autoren ebenfalls einen indikatorbasierten internationalen Vergleich durch und betrachten dabei speziell die Zieldimension der Versorgungssicherheit. Neben den rein quantitativen Bewertungsansätzen existiert außerdem das Forschungsfeld der Politikanalysen Dessen Gegenstand sind insbesondere Politik- instrumente, die zur Umsetzung einer industriellen Energiewende herangezogen werden können (Acciai and Capano, 2018, S. 3). Zur Erklärung des Voranschreitens der Energiewende werden die verwendeten Politikinstrumente im Kontext mit ihrer Effektivität untersucht (Tanaka, 2011). Grundlage für eine solche Bewertung ist die Definition des Ziels bzw. der jeweiligen Zieldimension. Vor dem Hintergrund eines 217 Seite 3

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 angestrebten nachhaltigen industriellen Energiesystems bedarf es einer Klärung des zugrundeliegenden Nachhaltigkeitsverständnisses, da dieses schließlich als Ziel- kriterium einer erfolgreichen Energiewende heranzuziehen ist. Allgemein gilt unter dem Nachhaltigkeitsbegriff, dass heutige Generationen ihre Bedürfnisse befriedigen können, ohne dabei die Bedürfnisbefriedigung zukünftiger Generationen ein- zuschränken (Marti and Puertas, 2022, S. 1). Die Übertragung dieses Kriteriums auf den Bereich der Energiepolitik bzw. den Energiesektor führt zum sogenannten energiepolitischen Dreieck, welches insbesondere im Industriesektor und dessen Energiewende von Bedeutung ist. 3. Das energiepolitische Dreieck als Rahmen einer umfassenden Nachhaltigkeitsbewertung Seit der industriellen Revolution in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sind die anthropogenen Emissionen stetig gestiegen. Industrielle Prozesse führten ins- besondere ab dem 19. Jahrhundert zu einem gravierenden Anstieg des Energie- verbrauchs (Wieland, 2020). Diese Entwicklung führte zugleich zu einem signi- fikanten Anstieg des Wohlstands, zunächst vor allem in den westlichen Ländern (Rodríguez-Navarro and Brito, 2022, S. 18). Bei dem damit einhergehenden Anstieg der Bevölkerung vervierfachte sich beispielsweise das BIP pro Kopf in England zwischen 1850 und 1970 (Roser et al., 2013). In Deutschland und Italien wuchs die Wirtschaft zwischen 1950 und 1973 jährlich um 5 % (Maddison, 2021, S. 132). Die Konsequenz dieser Entwicklung waren jedoch auch massive beein- trächtigende Auswirkungen auf die Umwelt, insbesondere durch die verursachten Treibhausgasemissionen. Heute besteht in der Wissenschaft Einigkeit darüber, dass diese Auswirkungen reduziert werden müssen, um die Folgen des Klimawandels zu begrenzen (Bolis et al., 2014,S. 11–15). Hieraus ist die Bedeutung für eine nach- haltige Entwicklung in den Fokus gerückt (Hafner and Raimondi, 2020, S. 3–5). Dies beinhaltet, dass neben wirtschaftlichem Erfolg auch die Dimensionen Umweltschutz und sozialer Fortschritt Beachtung finden (Marti and Puertas, 2022, S. 1). Erstmalig 1987 wurden im Brundtland-Bericht die negativen Auswirkungen einer rein auf wirtschaftlichen Fortschritt Industrialisierung und Globalisierung öffentlich genannt (WCED, 1987). Bei UN-Konferenzen in den Folgejahren (z.B. Rio fokussierten 218 Seite 4

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 de Janeiro 1992, Kyoto 1997) wurden schließlich immer wieder nachhaltigkeitsziele festgelegt, welche die drei Säulen der Nachhaltigkeit widerspiegeln (s. Abbildung 2). Neben der Zielfestlegung bei der Weltklimakonferenz 2015 in Paris, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf 2 Grad Celsius zu reduzieren, wurden von den Vereinten Nationen im selben Jahr ebenfalls Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals) definiert (Grigoryev and Medzhidova, 2020, S. 3). Für den Energiesektor ist die Dekarbonisierung des Sektors sowie die Transformation zu einer nachhaltigen Industrie dabei von besonderer Bedeutung (Sachs et al., 2019). Abb. 2: Säulen der Nachhaltigkeit und energiepolitisches Dreieck (Quelle: Schmidt et al., 2019, S. 5; Thatcher, 2014, S. 7) Im Rahmen einer nachhaltigen Energieversorgung spielt insbesondere der Aspekt der Versorgungssicherheit, auch als Teil der sozialen Säule, eine bedeutende Rolle. Im energiepolitischen Dreieck ersetzt die Zieldimension einer sicheren Energie- versorgung die soziale Säule, da es sich hierbei um eine der drei primären Zieldimensionen der nachhaltigen Energieversorgung handelt, die damit auch Vor- aussetzung für eine erfolgreiche Energiewende ist (Grigoryev and Medzhidova, 2020, S. 3). Diese Zieldimension der Versorgungssicherheit ist speziell durch die Energiekrise in Europa in Folge des Kriegs in der Ukraine in den Fokus gerückt. Eine zuverlässige Energieversorgung für die industrielle Leistungsfähigkeit und damit auch für die Wirtschaftskraft eines Landes (Szustak et al., 2021, S. 7–8) ist eine wesentliche Voraussetzung Das Spannungsfeld innerhalb dieses energiepolitischen Dreiecks (s. Abbildung 2) gilt als „Energy Trilemma“. Die grundlegende Herausforderung besteht darin, alle drei Zieldimensionen bei der industriellen Energiewende zu berücksichtigen 219 Seite 5

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 (Schoenmaker, 2011, S. 2). Im Kontext einer voranschreitenden Klimakrise, dem Streben nach wirtschaftlichem Erfolg auf nationaler Ebene und sowie der Bedeutung einer sicheren Energieversorgung ist die Relevanz des Trilemmas stärker in den öffentlichen Fokus gerückt (Dietrich, 2019). 4. Multikriterielle Entscheidungsanalyse (MCDA) Zur Einbeziehung der dargelegten Herausforderungen des „Energy Trilemma“ in eine Bewertung wurde die multikriterielle Entscheidungsanalyse (engl. Multi Criteria Decision Analysis (MCDA)) als anwendbare Methodik identifiziert. Die Methode der MCDA wurde erstmals von Raiffa (1968) angewendet und veröffentlich. Seitdem wird diese Methodik neben einer Vielzahl von Wissenschaftsbereichen auch in dem übergeordneten Themengebiet der Energiesystem- und Nachhaltigkeitsanalyse sowie im Kontext der Energiewende verwendet (Abu Taha and Daim, 2013, S. 3; Estévez et al., 2021, S. 1). Es handelt sich bei der MCDA um eine Methodik, die aufgrund ihrer ausgeprägten Flexibilität ermöglicht, eine Vielzahl an verschiedenen Informationen in eine Entscheidungsanalyse einzubeziehen und dadurch allen Stakeholdern nachvollziehbare Informationen zur Verfügung zu stellen. Sie hat somit zum Ziel, den Entscheidungsprozess strukturiert zu unterstützen, wozu eine Vielzahl an speziellen Vorgehensweisen angewendet werden kann (Geldermann, 2014, S. 4). Da eine Option üblicherweise nicht alle gestellten Anforderungen in Gänze zu erfüllen vermag, werden die Zielkriterien jeder zur Verfügung stehenden Option separat betrachtet. Auf diese Weise kann ein beliebig komplexes Entscheidungs- problem disaggregiert und dadurch das Gesamtentscheidungsproblem strukturiert gelöst werden (Geldermann, 2014, S. 5). Dies erlaubt, dass Kriterien und Anforderungen miteinander verglichen werden können, die ansonsten wegen unterschiedlicher Maßeinheiten etc. nicht vergleichbar wären. Es besteht außerdem die Möglichkeit, qualitative Merkmale durch die Anwendung semiquantitativer Skalen in der Struktur der MCDA zu berücksichtigen, um so schließlich zu einem quantitativen Ergebnis zu kommen (Suominen et al., 2022, S. 6–7). Die Umsetzung und Struktur einer MCDA ist in Abbildung 3 dargestellt. Das Hauptziel der MCDA ist die quantitative Bewertung jeder zur Verfügung stehenden 220 Seite 6

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Auswahloption, um schließlich die Entscheidung für die am besten bewertete Option zu treffen. Das Hauptziel muss daher messbar und realistisch sein. Außerdem muss dies betreffend unter allen Stakeholdern ein einheitliches Verständnis darüber bestehen, da das Hauptziel den Ausgangspunkt der MCDA darstellt (Zanghelini et al., 2018, S. 3–5). Abbildung 3: Schematische Darstellung des Aufbaus einer MCDA (Quelle: Geldermann, 2014, S. 7) Dieses Hauptziel wird in der nächsten Hierarchieebene in mehrere Zielebenen unterteilt (s. Abbildung 3). Die Zielebenen stellen übergeordnete Gruppen dar, denen verschiedene Bewertungskriterien zugeordnet werden. Im Wissenschaftsgebiert der Nachhaltigkeitsbewertung handelt es sich beispielsweise in vielen Fällen um die drei Säulen aus Abbildung 2: sozial, ökologisch und ökonomisch (Estrada et al., 2022, S. 9–10). Zu jeder Zielebene werden, wie in Abbildung 3 dargestellt, in der nächsten Hierarchieebene Kriterien zugeordnet. Diese werden quantitativ, z.B. durch Maß- einheiten oder Indikatoren, in der Analyse berücksichtigt. Hierbei ist zu beachten, 221 Seite 7

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 dass die Kriterien einer Zieldimension nicht konträr zueinander stehen (Hinloopen et al., 1983, S. 2–4). Sowohl den Zielebenen als auch den jeweiligen Kriterien werden Gewichtungs- faktoren (w) zugeordnet. Auf diese Weise werden sie entsprechend ihrer Bedeutung bewertet, was zugleich direkten Einfluss auf das Hauptziel und die jeweilige Bewertung hat, weswegen es zu deren Festlegung wiederum mehrere Ansätze gibt, wie Estrada et al. (2022, S. 9) darlegen. 5. Ergebnis / Fazit Die Methodik der MCDA bietet durch ihren strukturellen Aufbau die Möglichkeit, mehrere Zieldimensionen in einer quantitativen Analyse zu erfassen. Deshalb sind die Voraussetzungen gegeben, die drei Zieldimensionen des energiepolitischen Dreiecks (Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit) im Rahmen einer Bewertung des Voranschreitens der Energiewende zu berück- sichtigen. Auf diese Weise kann eine umfassende Bewertung im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung, die das Hauptziel in der MCDA darstellt, durchgeführt werden. Die Flexibilität der MCDA ermöglicht darüber hinaus, z.B. durch ver- schiedene Gewichtungen der drei Zieldimensionen, tiefergehende Analysen, in denen die Perspektiven aller Stakeholder Berücksichtigung finden. Insbesondere aufgrund der großen Relevanz des energiepolitischen Dreiecks im Industriesektor, wurde die Anwendung der MCDA als geeignete Bewertungsmethode identifiziert. Durch die Einbeziehung von Kriterien, die ausschließlich den Industrie- sektor erfassen, erlaubt sie eine sektorspezifische Analyse. Zudem lassen sich, unter Berücksichtigung individueller Rahmenbedingungen, objektive Vergleiche zwischen nationalen Industriesektoren durchführen. Die quantitative Durchführung stellt darüber hinaus sicher, dass es sich um eine objektive Bewertung handeln kann, die durch die Aktualisierung der Kriterien fortgeführt werden kann. 222 Seite 8

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 6. Literaturverzeichnis Abu Taha, R., Daim, T. (2013). Multi-Criteria Applications in Renewable Energy Analysis, a Literature Review, in: Daim, T., Oliver, T., Kim, J. (Eds.), Research and Technology Management in the Electricity Industry, Green Energy and Technology. Springer London, London, pp. 17–30. Acciai, C. Capano, G. (2018). Climbing down the ladder: a meta-analysis of policy instruments applications. Araújo, K. (2014). The emerging field of energy transitions: Progress, challenges, and opportunities. Energy Research & Social Science 1, 112–121. https://doi.org/10.1016/j.erss.2014.03.002 Bolis, I., Morioka, S.N. Sznelwar, L.I., (2014). When sustainable development risks losing its meaning. Delimiting the concept with a comprehensive literature review and a conceptual model. Journal of Cleaner Production 83, 7–20. https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2014.06.041 Chen, O., Garcia Tapia, V., Rogé, A. (2023). CO2 Emissions in 2022. de Bruyn, S. Jongsma, C., Kampman, B., Görlach, B., Thie, J.-E. (2020). Energy-intensive industries: challenges and opportunities in energy transition : in depth analysis. European Parliament. Directorate General for Internal Policies of the Union., Luxemburg. Dietrich, S. (2019). Deutsche Energiepolitik: Im schiefen Dreieck. FAZ.NET. Estévez, R.A., Espinoza, V., Ponce Oliva, R.D., Vásquez-Lavín, F. Gelcich, S. (2021). Multi-Criteria Decision Analysis for Renewable Energies: Research Trends, Gaps and the Challenge of Improving Participation. Sustainability 13, 3515. https://doi.org/10.3390/su13063515 Estrada, L.M., Haase, M., Baumann, M., Wulf, C. (2022). MCDA for sustainability assessment - insights to Helmholtz Association activities. Geldermann, J. (2014). Leitfaden zur Anwendung von Methoden der multikriteriellen Entscheidungsunterstützung. Global Energy Institute (2020). Index of U.S. Energy Security Risk - Assessing America’s Vulnerabilities in a Global Energy Markt. Grigoryev, L.M., Medzhidova, D.D. (2020). Global energy trilemma. RUJEC 6, 437–462. Hafner, M., Raimondi, P.P. (2020). Priorities and challenges of the EU energy transition: From the European Green Package to the new Green Deal. RUJEC 6, 374–389. Hinloopen, E., Nijkamp, P., Rietveld, P. (1983). Qualitative discrete multiple criteria choice models in regional planning. Regional Science and Urban Economics 13, 77–102. Hutton, G., Clark, H., Bolton, P., Carver, D. (2021). Energy intensive industries. Lee, H., Calvin, K., Dasgupta, D., Krinner, G. (2023). SYNTHESIS REPORT OF THE IPCC SIXTH ASSESSMENT REPORT. Lockwood, M. (2022). Policy feedback and institutional context in energy transitions. Policy Sci 55, 487–507. https://doi.org/10.1007/s11077-022-09467-1 Maddison, A. (2021). Jobs for Rural Youth: The Role of Local Food Economies, Development Centre Studies. OECD. https://doi.org/10.1787/692c0ca1-en Martchamadol, J., Kumar, S. (2013). An aggregated energy security performance indicator. Applied Energy 103, 653–670. https://doi.org/10.1016/j.apenergy.2012.10.027 223 Seite 9

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Wiener Universitäre Schriften Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Ausgabe Herbst 2023 „BEWERTUNG VON POLITIKINSTRUMENTEN ZUR „BEWERTUNG VON POLITIKINSTRUMENTEN ZUR UMSETZUNG DER INDUSTRIELLEN ENERGIEWENDE“ UMSETZUNG DER INDUSTRIELLEN ENERGIEWENDE“ L. Feller1 L. Feller1 University of Library Studies and Information Technologies University of Library Studies and Information Technologies Sofia Sofia Keywords: Industrielle Energiewende, Politikinstrumente, Keywords: Industrielle Energiewende, Politikinstrumente, Quantitative Politikanalyse, Bewertungsmethoden, Industriesektor Quantitative Politikanalyse, Bewertungsmethoden, Industriesektor ABSTRACT ABSTRACT Das Erreichen der bestehenden politischen Klimaziele setzt für den Das Erreichen der bestehenden politischen Klimaziele setzt für den Industriesektor voraus, dass die Fertigungsprozesse emissionsfrei Industriesektor voraus, dass die Fertigungsprozesse emissionsfrei gestaltet werden. Damit sind erhebliche Investitionen für die Unter- gestaltet werden. Damit sind erhebliche Investitionen für die Unter- nehmen verbunden. Dieser Prozess muss mit politischen Instrumen- nehmen verbunden. Dieser Prozess muss mit politischen Instrumen- ten flankiert werden, damit die erforderlichen Maßnahmen der ten flankiert werden, damit die erforderlichen Maßnahmen der Energiewende auch tatsächlich umgesetzt werden, um die sektor- Energiewende auch tatsächlich umgesetzt werden, um die sektor- spezifischen CO2-Minderungsziele zu erreichen. spezifischen CO2-Minderungsziele zu erreichen. Aufgrund der Vielzahl an international angewandten Politik- Aufgrund der Vielzahl an international angewandten Politik- instrumenten gibt es verschiedene Klassifizierungsansätze. Die instrumenten gibt es verschiedene Klassifizierungsansätze. Die Anwendung von Politikinstrumenten hängt maßgeblich von den Anwendung von Politikinstrumenten hängt maßgeblich von den jeweiligen Rahmenbedingungen ab. jeweiligen Rahmenbedingungen ab. Die identifizierte Methodik ermöglicht eine quantitative Bewertung Die identifizierte Methodik ermöglicht eine quantitative Bewertung des Einsatzes von Politikinstrumenten im internationalen Vergleich. des Einsatzes von Politikinstrumenten im internationalen Vergleich. 1 Lars Feller; fellerlars@yahoo.de 1 Lars Feller; fellerlars@yahoo.de 227 Seite 1

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 1. Einführung Das große Wachstum des Industriesektors in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wodurch der Sektor signifikant zum allgemeinen Wirtschaftswachstum beigetragen hat, ging jedoch auch mit negativen Effekten für die Umwelt einher (Hamilton, 2010, S. 8–12). Schwefeldioxidverbindungen in der Luft führten zu einem flächenmäßigen Waldsterben. Weitere Folgen der Industrialisierung waren u.a. die Verschmutzungen von Böden und Gewässern durch industrielle Abwässer (Wieland, 2020). Im Kontext des Klimawandels von besonderer Relevanz sind die durch industrielle Prozesse verursachten Treibhausgasemissionen, insbesondere CO2- Emissionen. Um die negativen Folgen dieser Emissionen zu reduzieren und den anthropogenen Klimawandel und dessen Folgen zu begrenzen, ist es unerlässlich, diese Emissionen zu reduzieren (Bolis et al., 2014, S. 11–15). Charakteristisch für den Industriesektor sind vielfältige Prozesse mit hohen Bedarfen an Strom und Hochtemperaturwärme. Hierbei werden fossile Energieträger direkt in Wärme umgewandelt, wodurch die erheblichen CO2 Emissionen des Sektors verursacht werden (de Bruyn et al., 2020, S. 16). Die Herausforderung der industriellen Energiewende besteht somit darin, diese Prozesse möglichst emissionsfrei zu gestalten. Hierfür ist es von großer Bedeutung, dass dafür geeignete Technologien auf den relevanten Märkten in ausreichendem Leistungsumfang verfügbar sind. Die internationale Energieagentur geht davon aus, dass im Hinblick auf die Zielsetzung, bis 2050 den Status der Klimaneutralität zu erreichen, bislang nur vierzig Prozent der erforderlichen Technologien am Markt etabliert sind (IEA, 2022, S. 10). Als zentrale Technologien gelten Verfahren, bei denen Treibhausgase aufgrund des Einsatzes regenerativer Energieträger nicht entstehen oder deren Emission in die Atmosphäre anderweitig verhindert wird (de Bruyn et al., 2020, S. 28): Anwendung von Wasserstoff: Durch die Oxidation von (grünem) Wasserstoff können in industriellen Prozessen Temperaturen von über 1000° Celsius emissionsfrei bereitgestellt werden. Darüber hinaus gilt Wasserstoff als Ausgangsprodukt für die Herstellung von Ammoniak, Methanol und weiteren wichtigen chemischen Grundstoffen (Neuwirth et al., 2022, S. 1–2). Die Anwendung von CO2-neutralem grünen Wasserstoff, der bei der Herstellung 228 Seite 2

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 mittels Elektrolyseuren zugleich als Speichermedium genutzt wird, ermöglicht es, diese Produkte emissionsfrei herzustellen (Abdalla et al., 2018, S. 8). Carbon Capture and Utilization/Storage (CCUS): Die Anwendung von CCUS verhindert, dass CO2 in industriellen Prozessen in die Atmosphäre emittiert werden. Durch verschiedene Ansätze werden die entstehenden CO2- Emissionen gespeichert bzw. in einen geschlossenen Kreislauf überführt (IEA, 2019, S. 6–8). Elektrifizierung: Durch die Elektrifizierung industrieller Prozesse kann eine breite Bandbreite an Temperaturniveaus bereitgestellt werden und so die fossile Wärme- und Dampferzeugung ersetzt werden (de Bruyn et al., 2020, S. 28). Bei ausreichender Verfügbarkeit von grünem Strom können signifikante CO2-Einsparpotentiale gehoben werden (Schüwer und Schneider, 2018, S. 1). Anwendbare Technologien sind u.a. Wärmepumpen, Elektrokessel und Elektrolichtbogenöfen. Diese Ansätze ermöglichen zukünftig einen klimaneutralen Betrieb von industriellen Prozessen. Erforderlich für die Umsetzung ist, dass die zugrundeliegenden Verfahren gegenüber den herkömmlichen Technologien, die auf dem Einsatz fossiler Energie- träger gründen, wirtschaftlich konkurrenzfähig werden. Gegenwärtig sind sie aufgrund hoher Investitionskosten, höherer Betriebskosten und oftmals zusätzlich notwendiger Infrastrukturkosten um bis zu Faktor drei teurer (de Bruyn et al., 2020, S. 45). 2. Umsetzung der internationalen Klimapolitik im Industriesektor Zur Einführung und Etablierung nachhaltiger Energieerzeugungstechnologien wurden auf internationaler Ebene, insbesondere im Rahmen der Weltklima- konferenzen, weitreichende Beschlüsse gefasst. Erstmalig in Rio de Janeiro im Jahr 1992 wurden Maßnahmen zur Etablierung von Nachhaltigkeitszielen eingeleitet, die fortan von der Nachhaltigkeitskommission der Vereinten Nationen weitergeführt worden sind (Marti und Puertas, 2022, S. 1). Auf die ersten verbindlichen Klimaziele einigte man sich schließlich bei der Weltklimakonferenz in Kyoto 1997 (Hák et al., 2018). In den folgenden Jahren fanden weitere Klimakonferenzen statt, bei denen 229 Seite 3

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 versucht wurde, neue Maßnahmen und Ziele zum Schutz des Klimas einzuführen. In diesem Kontext ist oftmals kritisiert worden, dass diese nicht ausreichend ambitioniert seien (Greenpeace, 2019). Von großer Bedeutung war die Weltklimakonferenz 2015 in Paris. 195 Staaten einigten sich darauf, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2° Celsius, möglichst jedoch 1,5° Celsius, gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen (Sachs et al., 2019, S. 6). Außerdem sollen Entwicklungsländer durch finanzielle Hilfen, die wiederum im Rahmen finanzieller Maßnahmen umgesetzt werden können (s. Tabelle 1), bei ihrer nachhaltigen Entwicklung unterstützt werden, sodass diese nicht den gleichen umweltschädlichen Pfad der Industrialisierung gehen, wie es die heutigen Industriestaaten seit dem Ende des 19. Jahrhunderts getan haben (Huan et al., 2021, S. 2). Klassifizierung von Maßnahmen Politikinstrumente Regulatorische Maßnahmen Finanzielle Maßnahmen Informationsbasierte Instrumente Tab. 1: Klassifizierung von Politikinstrumenten (Quelle: Ma et al., 2021) § Gesetze § Regulierungsprozesse § Richtlinien / Vorgaben § Normen § Subventionen § Steuererleichterungen § Kredite § Zuschüsse / Garantien § Bildungsmaßnahmen § Kampagnen Auf internationaler Ebene gibt es somit stetig aktualisierte Klimaziele, die auch auf einzelne Sektoren heruntergebrochen werden (de Bruyn et al., 2020, S. 51–52). Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es jedoch der Einführung von Politikinstrumenten, um die dafür notwendigen Technologien (Wasserstoffanwendungen, CCUS, Elektrifi- zierung von Prozessen) am Markt zu etablieren (s. Tabelle 1). Politikinstrumente haben somit zum Ziel, verschiedene Hürden der nachhaltigen Technologien (z.B. höhere Brennstoffkosten, höhere Investitionskosten, Preisrisiken, Um- baukosten) zu überwinden (Beck and Martinot, 2004, S. 366–370). Hierzu können gemäß Ma et al. (2021) spezifische regulatorische oder finanzielle Maßnahmen angewendet werden, die von informationsbasierten Instrumenten begleitet werden initiale 230 Seite 4

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 (vgl. Tabelle 1). Menanteau et al. (2003) argumentieren hinsichtlich der Notwendigkeit für solche Maßnahmen außerdem, dass die Einführung entsprechender Politik- instrumente durch deren positiven Effekte für die Allgemeinheit wie z.B. reduzierte Luftverschmutzungen durch erneuerbare Energieerzeugung zu begründen bzw. rechtfertigen sei (Azhgaliyeva et al., 2018, S. 4–5). Da Klimaziele vielfach auf internationaler Ebene festgelegt werden, diese jedoch auf nationaler bzw. Sektorenebene umzusetzen sind, gibt es mehrere unterschiedliche Politikinstrumente, die zum Teil auch speziell im Energiesektor angewendet werden wie beispielsweise der Emissionshandel (s. Tabelle 2). Wie im Energiesektor an- gewandte Instrumente klassifiziert werden können, ist in Tabelle 1 und 2 dargestellt. Dabei kann zwischen dem Detailgrad der Einordnung unterschieden werden. Im internationalen Vergleich wird deutlich, dass es aufgrund der Vielzahl an verwendeten Instrumenten mit jeweils individuellen Rahmenbedingungen unterschiedliche Ansätze zur Klassifizierung gibt (Baake et al., 2021, S. 13–14). Klassifizierung von Maßnahmen Politikinstrumente ‚Command-and-Control‘-Instrumente Ökonomische Instrumente Freiwillige Maßnahmen Marktbasierte Instrumente § Emissionsrichtlinien § Bauvorschriften § Sicherheitsbestimmungen § Steuern § Subventionen § Zuschüsse/Garantien § Kredite § Zertifizierungen § Freiwillige Vereinbarungen § Emissionshandel § Netzengpassgebühren § Entgelte/Umlagen § Verpflichtende Quoten Tab. 2: Klassifizierung von Politikinstrumenten im Industriesektor (Quelle: Bengtsson et al., 2010) Diese Ansätze der Klassifizierung bieten die Möglichkeit, die Politikinstrumente in weiteren Analysen zu berücksichtigen, ohne jedes Instrument einzeln zu betrachten. Dies erlaubt, die Anwendung verschiedener Politikinstrumente im internationalen Kontext und somit verschiedenen Rahmenbedingungen zu untersuchen. 231 Seite 5

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 3. Methodik Aufgrund der zuvor dargelegten Vielfalt an zur Verfügung stehender Politik- instrumente zur Umsetzung einer industriellen Energiewende, bedarf es einer Bewertung, welche Instrumente am effektivsten bzw. am besten geeignet sind. Da dies in hohem Maße von den jeweiligen Rahmenbedingungen abhängt, müssen diese bei der Bewertung berücksichtigt werden, was zugleich als Forschungslücke identifiziert wurde, die mit der Methodik adressiert werden soll. Der Fortschritt der Energiewende, der im internationalen Vergleich durch Anwendung der jeweiligen Politikinstrumente erzielt werden konnte, soll dazu verglichen werden. Diese Erkenntnisse können schließlich bei der zukünftigen Einführung von neuen Politikinstrumenten berück- sichtigt werden. Da Politikinstrumente nicht in identischer Weise in verschiedenen Ländern angewendet werden, sollen die im vorherigen Kapitel dargelegten Klassifizierungsansätze genutzt werden. Dadurch können schließlich die individuellen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden, da nicht spezifische Instrumente, sondern klassifizierte Maßnahmen im Rahmen der Methodik untersucht werden sollen. Als zentraler Ansatz wurde identifiziert, basierend auf quantitativen Bewertungs- ergebnissen, auch die Politikinstrumente quantitativ zu erfassen und auf diese Weise zu analysieren. Dies bedeutet jedoch, dass nicht alle Politikinstrumente ideal erfasst werden können, z.B. informationsbasierte Instrumente oder Command-and-Control Instrumente (vgl. Tabelle 1 und 2). Geeignet hingegen sind Instrumente, die sich in eine quantitative Analyse integrieren lassen. Die beschriebene Unterteilung von de Bruyn et al. (2020, S. 40–44) in Preis- und Förderinstrumente ermöglicht dies beispielsweise. Die Methodik wurde identifiziert, um mögliche Zusammenhänge zwischen dem Einsatz von Politikinstrumenten und dem Voranschreiten der industriellen Energie- wende zu analysieren. Die quantitative Erfassung von sowohl Fortschritten bei der industriellen Energiewende als auch den eingesetzten Politikinstrumenten erlaubt somit, die potenziellen Zusammenhänge aufzeigen und darzulegen. 232 Seite 6

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 4. Hypothese und Ausblick Das Ziel der entwickelten Methodik ist es, den Einsatz von Politikinstrumenten hinsichtlich ihrer Effektivität bei der Umsetzung der industriellen Energiewende zu analysieren und zu bewerten. Somit kann basierend auf der Anwendung der Klassifizierungsansätze die Hypothese aufgestellt werden, dass die parallele Analyse des Fortschreitens der industriellen Energiewende sowie den dafür eingesetzten Politikinstrumenten zu neuen Erkenntnissen führen kann. Es handelt sich dabei um eine hohe Abstraktionsebene, da die unterschiedlichen Entwicklungen bei der Energiewende indikatorbasiert erfasst werden sollen und die eingesetzten Politik- instrumente quantitativ Berücksichtigung finden. Das Vorgehen ermöglicht somit einen internationalen Vergleich, ohne dabei detailliert die spezifischen Rahmenbedingungen der relevanten Länder einbeziehen zu müssen. Um möglichst ähnliche Rahmen- bedingungen zu haben, soll die identifizierte Methodik zunächst auf die Industrie- sektoren der Industriestaaten angewendet werden. Der rein quantitative Ansatz der Methodik ermöglicht es, objektive und somit eindeutig nachvollziehbare Ergebnisse zu erzielen. Kann die Hypothese bestätigt werden, so kann außerdem der Anwendungsbereich der Industrieländer erweitert und die verwendeten Werte und Indikatoren fortgeführt werden, um zukünftige Entwick- lungen mit der Methodik ebenfalls abzubilden und zu erfassen. 5. Literaturverzeichnis Abdalla, A.M., Hossain, S., Nisfindy, O.B., Azad, A.T., Dawood, M., Azad, A.K. (2018). Hydrogen production, storage, transportation and key challenges with applications: A review. Energy Conversion and Management 165, 602–627. https://doi.org/10.1016/j.enconman.2018.03.088 Azhgaliyeva, D., Belitski, M., Kalyuzhnova, Y., Romanov, M. (2018). Policy instruments for renewable energy: an empirical evaluation of effectiveness. IJTIP 12, 24. https://doi.org/10.1504/IJTIP.2018.094409 Baake, R., Graichen, P., Fischer, B., Hochfeld, C., Klein-Hitpaß, A., Kosok, P. (2021). Politikinstrumente für ein klimaneutrales Deutschland. Beck, F., Martinot, E. (2004). Renewable energy policies and barriers. Encyclopedia of Energy, 5. Bengtsson, M., Hotta, Y., Hayashi, S., Akenji, L. (2010). The four main types of policy instruments, Policy Tools for Sustainable Materials Management: Institute for Global Environmental Strategies. 233 Seite 7

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Wiener Universitäre Schriften Ausgabe Herbst 2023 Bolis, I., Morioka, S.N., Sznelwar, L.I. (2014). When sustainable development risks losing its meaning. Delimiting the concept with a comprehensive literature review and a conceptual model. Journal of Cleaner Production 83, 7–20. https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2014.06.041 de Bruyn, S., Jongsma, C., Kampman, B., Görlach, B., Thie, J.-E. (2020). Energy-intensive industries: challenges and opportunities in energy transition : in depth analysis. European Parliament. Directorate General for Internal Policies of the Union., Luxemburg. Greenpeace (2019). Internationale Klimakonferenzen [WWW Document]. Internationale Klimakonferenzen. URL https://www.greenpeace.de/klimaschutz/klimakrise/internationale- klimakonferenzen (accessed 9.28.22). Hák, T., Janoušková, S., Moldan, B., Dahl, A.L. (2018). Closing the sustainability gap. Ecological Indicators 87, 193–195. https://doi.org/10.1016/j.ecolind.2017.12.017 Hamilton, J.D. (2010). Historical Oil Shocks. Huan, Y., Liang, T., Li, H., Zhang, C. (2021). A systematic method for assessing progress of achieving sustainable development goals: A case study of 15 countries. Science of The Total Environment 752, 141875. https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2020.141875 IEA (2022). Achieving Net Zero Heavy Industry Sectors in G7 Members. IEA (2019). Transforming Industry through CCUS. Ma, W., de Jong, M., de Bruijne, M., Mu, R. (2021). Mix and match: Configuring different types of policy instruments to develop successful low carbon cities in China. Journal of Cleaner Production 282, 125399. https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2020.125399 Marti, L., Puertas, R. (2022). Sustainable energy development analysis: Energy Trilemma. Sustainable Technology and Entrepreneurship 1, 100007. https://doi.org/10.1016/j.stae.2022.100007 Menanteau, P., Finon, D., Lamy, M.-L. (2003). Prices versus quantities: choosing policies for promoting the development of renewable energy. Energy Policy 31, 799–812. https://doi.org/10.1016/S0301-4215(02)00133-7 Neuwirth, M., Fleiter, T., Manz, P., Hofmann, R. (2022). The future potential hydrogen demand in energy-intensive industries - a site-specific approach applied to Germany. Energy Conversion and Management 252, 115052. https://doi.org/10.1016/j.enconman.2021.115052 Sachs, J.D., Schmidt-Traub, G., Mazzucato, M., Messner, D., Nakicenovic, N., Rockström, J. (2019). Six Transformations to achieve the Sustainable Development Goals. Nat Sustain 2, 805– 814. https://doi.org/10.1038/s41893-019-0352-9 Schüwer, D., Schneider, C. (2018). Electrification of industrial process heat: long-term applications, potentials and impacts. Wieland, M. (2020). Umweltverschmutzung: Industrielle Revolution [WWW Document]. URL https://www.planet- wissen.de/natur/umwelt/umweltverschmutzung/pwieindustriellerevolutionundumweltverschmutzung 100.html (accessed 9.27.22). 234 Seite 8

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Kommunikationspolitik im Marketing Juni 2023 Kommunikationspolitik im Marketing Juni 2023 „KOMMUNIKATIONSPOLITIK IM SOZIALMARKETING“ „KOMMUNIKATIONSPOLITIK IM SOZIALMARKETING“ H. Nerger-Klosowski1 H. Nerger-Klosowski1 University of Library Studies and Information Technologies, Sofia University of Library Studies and Information Technologies, Sofia Keywords: Kommunikation, NPO, Marktwirtschaft, Wettbewerb, Konkurrenz, Menschlichkeit Keywords: Kommunikation, NPO, Marktwirtschaft, Wettbewerb, Konkurrenz, Menschlichkeit ABSTRACT ABSTRACT Aufgrund der Marktentwicklung in fast allen Bereichen sozialer Organisationen ge- winnt das Sozialmarketing an Bedeutung, wobei der Kommunikationspolitik bei der Er- füllung sozialer Aufgaben ein hoher Stellenwert zukommt. Soziale Probleme treffen auf betriebswirtschaftliche Probleme – eine schwere Herausforderung. Oft sind u.U. mit der Erfüllung sozialer Aufgaben auch Veränderungen individueller mentaler Prozesse be- troffen. Aufgrund der Marktentwicklung in fast allen Bereichen sozialer Organisationen ge- winnt das Sozialmarketing an Bedeutung, wobei der Kommunikationspolitik bei der Er- füllung sozialer Aufgaben ein hoher Stellenwert zukommt. Soziale Probleme treffen auf betriebswirtschaftliche Probleme – eine schwere Herausforderung. Oft sind u.U. mit der Erfüllung sozialer Aufgaben auch Veränderungen individueller mentaler Prozesse be- troffen. Ein wachsender Konkurrenzdruck hat einen Wettbewerb geschaffen, dem sich z.B. auch Kitas stellen müssen, wonach Eltern zunehmend von ihrem Wunsch- und Wahl- recht Gebrauch machen, die für sich geeignetste Einrichtung zu finden. Ein wachsender Konkurrenzdruck hat einen Wettbewerb geschaffen, dem sich z.B. auch Kitas stellen müssen, wonach Eltern zunehmend von ihrem Wunsch- und Wahl- recht Gebrauch machen, die für sich geeignetste Einrichtung zu finden. Mit Blick auf immer knapper werdenden Mitteln im sozialen Bereich ist auch hier ein gewisser Konkurrenzdruck entstanden, wo Konzepte und Strategien erarbeitet werden müssen, damit die Vorzüge des Produktes/ Dienstleistung überzeugen können. Mit Blick auf immer knapper werdenden Mitteln im sozialen Bereich ist auch hier ein gewisser Konkurrenzdruck entstanden, wo Konzepte und Strategien erarbeitet werden müssen, damit die Vorzüge des Produktes/ Dienstleistung überzeugen können. 1 Heidi Nerger-Klosowski; 21465 Wentorf (Germany), Berliner Landstraße 44a; heidi.klosowski@gmx.net University of Library Studies and Information Technologies (UNIBIT) 1 Heidi Nerger-Klosowski; 21465 Wentorf (Germany), Berliner Landstraße 44a; heidi.klosowski@gmx.net University of Library Studies and Information Technologies (UNIBIT) 1 237 1

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Kommunikationspolitik im Marketing Juni 2023 1. Einleitung „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Paul Watzlawick (Schneider 2013, S. 283) Angesichts eines intensiven Wettbewerbes um wichtige Ressourcen wie fi- nanzielle Zuwendungen, Aufträge durch die Kostenträger oder Spendengel- der, aber auch im Hinblick der Konkurrenz um qualifiziertes und motiviertes Personal sind Einrichtungen und Träger der sozialen Arbeit angehalten, ein professionelles Marketing in ihre, an den neuen Markt angepasste Manage- mentstrategien aufzunehmen. Die Veränderung bedingt für die betroffenen Institutionen auch im Manage- mentkonzept Fragen hinsichtlich der Produkt-, Preis-, und Kommunikations- politik systematisch und professionell zu beantworten. Hierzu sind Märkte und Marktentwicklungen zu beobachten, die Bedarfe der Kunden zu analysieren, die eigene Position gegenüber den Stärken und Schwächen der Wettbewerber zu klären; aber auch die Servicepolitik, die gezielte Öffentlichkeitsarbeit und vieles anderes mehr stehen im Mittelpunkt eines zukunftsfähigen Sozialmal- managements. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Kommunikationspolitik als ein Instrument des Marketings im sozialen Bereich, um aufzuzeigen, dass in diesem Handlungsfeld durch den Einsatz von Instrumenten und Maßnahmen der Kommunikation, die Erreichung von Zielen erleichtert werden kann. Da Kommunikation als Medium im menschlichen Zusammenleben, wie auch im Marketing von Produkten und Dienstleistungen somit eine bedeutende Rolle zukommt, soll der Frage nachgegangen werden: „Wie funktioniert Kommuni- kationspolitik im Sozialmarketing?“ 238 University of Library Studies and Information Technologies (UNIBIT) 2

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Kommunikationspolitik im Marketing Juni 2023 2. Methode Das methodische Vorgehen entspricht einer systematischen Literaturreche als qualitative Methodik. Geleitet von der Frage nach der Umsetzung von Kom- munikation im Sozialmarketing, wurden aus wissenschaftlichen Veröffentlichun- gen die Inhalte herausfiltert und analysiert, die für diese Arbeit relevant sind. 3. Kommunikationspolitik im Sozialmarketing Zum Marketing zählt zunächst die Konzeption, Bereitstellung und Umset- zung einer guten Leistung (Kortendieck, 2011, S. 134). Erst in den 1960er Jahren entstand die Idee eines separierten Sozialmarketings als Unterschied zum klassischen Marketing. Bruhn und Tilmes beschreiben den Begriff Sozial- marketing wie folgt: „Social Marketing ist die Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle von Marketingstrategien und -aktivitäten nichtkommerzieller Organisatio- nen, die direkt oder indirekt auf die Lösung sozialer Aufgaben gerichtet sind“ (Bruhn/ Tilmes 1994, S. 23, zit. n. Birzele/ Thieme 2007, S. 68). 3.1 Besonderheiten von Nonprofit-Organisationen „Der Soziale Bereich wird dem Nonprofit-Bereich (NPO) zugerechnet und als Sozialwirtschaft bezeichnet“ (Wendt, 2008, zit. n. Kortendieck, 2011, S.1212). Die Organisationsziele von NPO`s sind mehr missionsgeleitet als in Unter- nehmen, wobei die Finanzziele eher untergeordnet zur Erreichung dieser Mis- sion dienen. Die Mission einer sozialen Organisation gibt die Richtung, den Weg und die Wertebasis vor (Bornholdt, Noll, Ruckh, 2006, S. 25). Das be- deutet: „(…) dass im Vergleich zur Profitorientierung der Unternehmen das oberste Organisationsziel einer NPO vorwiegend qualitativer Natur ist und damit die University of Library Studies and Information Technologies (UNIBIT) 3 239

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Kommunikationspolitik im Marketing Juni 2023 Quantifizierung der Zielerreichung schwer fällt“ (Bruhn 2005, S. 41, zit. n. Bornholdt et al. 2006, S. 25). Zudem sind NPOs meistens mitgliedschaftlich organisiert oder in Vereins- oder Verbandsstrukturen eingebunden, welches das Maß an Demokratie er- höht, jedoch gleichzeitig auch ein Hindernis sein kann. Des Weiteren stellen Ehrenamtliche eine beachtliche Säule dar, deren Handeln auf Freiwilligkeit be- ruht und keinerlei weisungsgebunden ist, sodass strategische Entscheidungen nur gemeinsam und oft sehr langwierig getroffen werden. Mitarbeiter einer NPO beziehen nicht selten ihr Selbstverständnis für die Arbeit aus einer mo- ralischen Überzeugung, welches ihre Motivation darstellt. Jedoch sind oft ge- wisse Vorbehalte gegen Marketing (z.B. Geldverschwendung), mit denen sen- sibel umgegangen werden muss, vorhanden. Weiterhin gehört ein eher grund- sätzliches Vertrauen in eine NPO dazu, wobei man wissen sollte, welche Er- wartungen damit verbunden sind, um Enttäuschungen zu vermeiden. (ebd. S., 25-26) 3.2 Kommunikation und Kommunikationsprozess im Marketing „Der Begriff Kommunikation (lat.: communis = gemeinsam) bedeutet: „eine gemeinsame Basis mit jemandem herzustellen, indem eine Informa- tion, Idee oder Einstellung mitgeteilt wird“ (Schneider 2013, S. 287). Hier wird klar erkennbar, dass der Gedanke der Gegenseitigkeit in den Mit- telpunkt des Verständnisses gerückt wird. Zudem wird das Wesen kommuni- kationspolitischer Entscheidungen, Maßnahmen und Instrumente in der spe- ziellen Marketingperspektive durch den Kommunikationsprozess verdeutlicht: „(…) durch den der Austausch von Gedanken und Bedeutungsinhalten zwi- schen Individuen oder zwischen Organisationen und Individuen ermöglicht wird“ (Kuß/ Kleinaltenkamp 2009, S. 218, zit. n. Christa 2010, S. 220). Kommunikation wird somit als Austausch von Informationen zwischen ei- nem Sender und einem Empfänger gesehen. Die Empfänger müssen die 240 University of Library Studies and Information Technologies (UNIBIT) 4

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Kommunikationspolitik im Marketing Juni 2023 Information dekodieren und verstehen, um sie in Handlungen umsetzen zu können (Kortendieck 2011, S. 134). 3.3 Kommunikationspolitik im Marketing-Mix Um ihre Legitimation sicherstellen zu können, haben für sozialwirtschaft- liche Einrichtungen kommunikationspolitische Maßnahmen einen hohen Stellenwert, weil sie nicht auf klare Erfolgsgrößen wie Gewinn oder Rendite verweisen können (Kortendieck 2011, S. 133). Nach Birzele & Thieme soll Kommunikationspolitik dazu dienen: „Aufmerksamkeit bei potentiellen Kunden zu wecken und bereits bekannte oder neue Leistungen vorzustellen“ (Birzele/ Thieme 2007, S. 114). Es geht also um die Wahrnehmung des Kunden und weniger um die Sicht der Experten. Natürlich dürfen Einrichtungen Ziele und Mitarbeiter ihre Mei- nung vertreten, doch gilt es die Wünsche und Anliegen der Kunden herauszu- finden: „(…) und nicht die Wünsche und Ziele der Einrichtung und/ oder der Mitar- beiter aufzuoktroyieren“ (Kortendieck 2011, S. 134). Des Weiteren ist zu beachten, dass vor dem Hintergrund der anderen drei Elemente des Marketing-Mix (Angebots-, Distributions- und Preispolitik) die Kommunikationspolitik zu gestalten ist (Christa 2010, S. 222). Um ein nach- vollziehbares Konzept für kommunikationspolitische Maßnahmen und Ent- scheidungen bieten zu können, müssen im Vorwege in gegenseitiger Abstim- mung, Maßnahmen und Entscheidungen der drei Elemente getroffen werden. Die Kommunikationspolitik entsteht somit strategisch gesehen, nachrangig auf der Basis von konkreten Entscheidungen zur Angebots-, Preis- und Distributi- onspolitik (ebd. S. 223). University of Library Studies and Information Technologies (UNIBIT) 5 241

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Kommunikationspolitik im Marketing Juni 2023 4. Kommunikationspolitische Zielgruppen und Zielstellungen Soziale Organisationen sind vor der Planung und Realisierung dazu ange- halten, Ziele und Zielgruppen herauszuarbeiten (Christa 2010, S. 227). 4.1 Zielgruppen Um kommunikationspolitisch erfolgreich agieren zu können, ist es von ent- scheidender Bedeutung, im Vorwege aussagekräftige quantitative und quali- tative Bestimmungen im Hinblick auf die zu kontaktierenden Personen oder Gruppen zu entwickeln. Gerade mit Sicht auf die spezifische mehrdimensio- nale Einbettung sozialer Organisationen in unterschiedliche institutionelle Ebenen werden u.U. komplexere Entwürfe notwendig (ebd.). Die folgende Abbildung soll einige relevante Zielgruppen kommunikations- politischer Maßnahmen im sozialen Bereich darstellen: Allgemeine Öffentlichkeit Politik Medien Spender Kostenträger Interne Öffentlichkeit Adressaten Fachöffentlichkeit Sponsoren Abb. 1: Zielgruppen der Kommunikationspolitik sozialer Organisationen (Quelle: Christa 2010, S. 228). Die genannten Zielgruppen weisen ein unterschiedliches Verständnis mit spezifischen Interessen auf, wodurch je nach Bedarf verschiedene Formen der Kontaktaufnahme, der Medien und der Inhalte ersichtlich werden (Christa 2010, S. 228). 242 University of Library Studies and Information Technologies (UNIBIT) 6

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Kommunikationspolitik im Marketing Juni 2023 So können z. B. Kitas dafür sorgen, dass sie zum einen in der Stadt oder in der Gemeinde als Einrichtung bekannt werden u.a. durch Zeitungsartikel in der Regionalzeitung oder Reportagen im Lokalfernsehen (z. B. Faschingsumzug der Kita…). Eine weitere Möglichkeit der Zielgruppenkommunikation die Kitas auch nutzen können, bietet das Internet, wo auf verschiedenen Fachseiten man Artikel, Projektberichte und Konzeptionen der einzelnen Kitas abrufen kann. Um die direkte Kommunikation zu den „Kunden“ Eltern zu verbessern, wäre eine Option, in Kitas ein für alle Mitarbeiter verbindliches Beschwerde- Management-System in Form von schriftlicher Elternbefragung sinnvoll. So wird den Eltern gezeigt, dass sie und ihre Bedürfnisse in der Einrichtung ernst genommen werden. 4.2 Zielstellungen Menschliche Fähigkeiten sind begrenzt, was Aufnahme und Verarbeitung von Informationen betrifft. Gerade hier wird die schwere Herausforderung für den sozialen Bereich deutlich, seine Anliegen bei der jeweiligen Zielgruppe erfolgreich anzusprechen (Kortendieck 2011, S. 139). Denn auf Massenmärk- ten besteht im Normalfall keine persönliche Beziehung zwischen Anbieter und Nachfrager. Dies wird erst durch das Kommunikationsmanagement geschaf- fen, welches Informationen des Anbieters übermittelt. Zudem zeichnen sich alle Märkte durch eine hohe Sättigung aus, wobei erschwerend hinzukommt, dass kommunikationspolitische Maßnahmen emotional zu differenzieren sind und sich der Zeitwettbewerb intensiviert (Schneider, 2013, S. 284). Dauerhafte erfolgreiche Kommunikation hängt nach Kortendieck von drei Komponenten ab (2011, S.140): 1. Kopf: Die Wahrnehmung muss beim Empfänger zu informatorischen Prozessen führen und ein Verstehen bewirken. Nur so wird die Botschaft ge- sehen, gehört und wahrgenommen. 2. Herz: Gerade im sozialen Bereich sollen durch die Botschaft Emotionen und Betroffenheit nicht nur beim möglichen potentiellen Spender, sondern auch beim Kunden ausgelöst werden, der damit sein Problem erkennen und annehmen kann. University of Library Studies and Information Technologies (UNIBIT) 7 243

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Kommunikationspolitik im Marketing Juni 2023 3. Hand: Explizit soll der Kunde seine Rolle als Außenstehender wahrneh- men und sich als Teil des Sozialen Dienstleistungsprozesses verstehen und aktiv mitarbeiten. Daraus entwickeln sich neben ökonomisch orientierten Zielen drei psycho- grafische Ziele der Kommunikationspolitik: „Kognitive (Bekanntmachung und Information) Affektive (Motivation und Begeisterung) Konative (Einstellungsänderung und Handlungsauslösung)“ (Bruhn 2005, S. 388, zit. n. Kortendieck 2011, S. 140). Die kognitiven Kommunikationsziele: Verstehen und Zustimmung werden in Fragen zu Berührungs- und Kontakterfolg (Wo?), Aufmerksamkeitswirkung (Wie?), Erinnerungswirkung (Was?) und Informationsfunktion (Wirkung?) un- terteilt. Die affektiven Kommunikationsziele beinhalten Sichtweisen auf die Ge- fühlswirkung (Problematik, Gefahren, Gefühle), positive Zustimmung (Bedürf- nisse, Nutzen), Generierung von Interesse (Zustimmung) und Imagewirkung (Vertrauen). Des Weiteren findet sich bei den konativen Kommunikationszie- len eine Unterteilung in der Auslösung von bestimmten Handlungen und Be- einflussung des Weiterempfehlungsverhaltens (ebd. S. 140-143). 4.3 Planung der Marktkommunikation Um Effektivität und Effizienz zu erreichen, sind in der Marktkommunikation folgende Maßgaben zu berücksichtigen: sie sollte auf fundierten Informationen zur aktuellen Situation der Orga- nisation beruhen, ihre Ziele sollten aus dem Zusammenhang der Gesamtstrategie der Or- ganisation abgeleitet sein, sie sollte mit Einbeziehung aller relevanten Instrumente erfolgen, die Vorbereitung sollte aufgrund etablierter und bewährter Planungs- konzepte erfolgen. (Christa 2010, S. 240) 244 University of Library Studies and Information Technologies (UNIBIT) 8

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Kommunikationspolitik im Marketing Juni 2023 Postmodernen Systemtheorien folgend, bestimmt nicht der Sender, son- dern der Empfänger den Inhalt der Botschaft. Soziale Organisationen haben darauf aufbauend es nur bis zu einem bestimmten Maß selber in der Hand, ob ihre kommunikationspolitischen Aktivitäten erfolgreich sind (ebd. S. 241). Der folgende Planungsablauf für Marktkommunikation als Grundgerüst zeigt, dass jedoch mit ausreichender Vorbereitung und guten Planungen soziale Organi- sationen dazu beitragen können, durch kommunikationspolitische Maßnah- men die Realisierung ihrer Ziele angemessen unterstützen zu können. Abbildung 2: Planungsprozess der Marketingkommunikation (angelehnt an Bruhn 2003, S. 45, Christa 2010: 241) University of Library Studies and Information Technologies (UNIBIT) 9 245

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5. Öffentlichkeitsarbeit als ein Instrument in der Kommunikationspolitik Abschließend wird kurz auf die Öffentlichkeitsarbeit als Beispiel gezielter Außenkommunikation in einer Kita eingegangen. Mit Öffentlichkeitsarbeit wird das Image einer Organisation, ihrer Leistun- gen und ihrer sozialen und pädagogischen Anliegen gefördert. Die Beziehung zwischen Organisation und Öffentlichkeit wird systematisch gestaltet, um Ver- trauen in die Einrichtung, in ihre Leistung und in die Unterstützung ihrer Anlie- gen zu fördern. Primär spricht die Öffentlichkeitsarbeit die externe Kommuni- kation (z.B. Tag der offenen Tür, Feste, Internetinformationen, Ausstellungen, Elternabende, Elternbefragung, Publikationen) an. Doch sollte die interne Kommunikation (z.B. Betriebsausflüge, Mitarbeiterbefragungen, Protokolle) gleichwertig gesehen werden, weil diese ebenfalls eine allgemeine öffentliche Wirkung erzielt, denn durch die Mitarbeiter*innen wird immer die Einrichtung als Aushängeschild vertreten (Kortendieck 2011, S. 147). 6. Ergebnis/ Erkenntnis Je nachvollziehbarer es sozialen Organisationen gelingt, die unterschiedli- chen Anforderungen kommunikationspolitisch zu formulieren, desto besser können sie sich auf dem Markt behaupten. Dabei müssen sämtliche Entschei- dungen, welche die bewusste Gestaltung von Informationen betreffen beach- tet werden, da sie an die Umwelt und an die Mitarbeiter der Organisationen gerichtet sind. Darin liegt u.a. die Herausforderung der Kommunikationspolitik, wobei die interne Kommunikation mit den Mitarbeiter*innen und deren Partizi- pation am Prozess, als Basis für die Außenkommunikation eine wichtige Rolle spielt, um die anzubietende Dienstleistung zu optimieren. University of Library Studies and Information Technologies (UNIBIT) 10 246

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Kommunikationspolitik im Marketing Juni 2023 7. Literaturverzeichnis Birzele, Hans-Joachim/ Thieme, Lutz (2007); Sozialmarketing. Schwalbach/Ts. Bornholdt, Christian/ Ruckh, Mario F. (2006); Zur Weiterentwicklung des Sozialmarke- tings. Warum Marketing im Nonprofit-Bereich als Management von Stakeholdern verstan- den werden sollte. In: Ruckh, Mario F., Noll, Christian, Bornhodt, Martin (Herausgeber) (2006); Sozialmanagement als Stakeholder-Management. 1. Aufl., Bern, Stuttgart, Wien, S. 21-22. Christa, Harald (2010); Grundwissen Sozio-Marketing. Konzeptionelle und strategische Grundlagen für soziale Organisationen. 1. Aufl., Wiesbaden. Kortendieck, Georg (2011); Marketing im sozialen Bereich. Strategien-Tools-Materialien. 1. Aufl., Augsburg. Schneider, Willy (2013); Operatives Marketing. Zielgerichteter Einsatz von Marketing-In- strumenten. München University of Library Studies and Information Technologies (UNIBIT) 247 11

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Führungsethik in der sozialen Arbeit Führungsethik in der sozialen Arbeit Sommer 2023 Sommer 2023 „FÜHRUNGSETHIK IN DER SOZIALEN ARBEIT“ „FÜHRUNGSETHIK IN DER SOZIALEN ARBEIT“ H. Nerger-Klosowski1 H. Nerger-Klosowski1 University of Library Studies and University of Library Studies and Information Technologies, Sofia Information Technologies, Sofia Keywords: Führen, Führungsethik, soziale Arbeit, Führungstheorie, Theorietransfer Keywords: Führen, Führungsethik, soziale Arbeit, Führungstheorie, Theorietransfer ABSTRACT ABSTRACT Für den wirtschaftlichen Sektor liegen bereits wissenschaftliche Er- kenntnisse zur Führungsethik vor. Auch entsprechende Theorien wur- den dazu entwickelt, doch für den sozialen Bereich finden sich hinge- gen kaum Theorien bzw. ausreichend Literatur zu dieser Thematik. Dabei wird dort ethisches Handeln praktiziert, weil stets die Frage nach richtig oder falsch, gut oder schlecht im menschlichen Tun zu klären sind. Für den wirtschaftlichen Sektor liegen bereits wissenschaftliche Er- kenntnisse zur Führungsethik vor. Auch entsprechende Theorien wur- den dazu entwickelt, doch für den sozialen Bereich finden sich hinge- gen kaum Theorien bzw. ausreichend Literatur zu dieser Thematik. Dabei wird dort ethisches Handeln praktiziert, weil stets die Frage nach richtig oder falsch, gut oder schlecht im menschlichen Tun zu klären sind. In sozialen Organisationen kann menschliches Handeln neben ge- lungenen Erfahrungen auch Schaden anrichten. Die Klärung, wie Füh- rungsarbeit in diesem Bereich ethisch verantwortungsvoll gestaltet werden kann, ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit. In sozialen Organisationen kann menschliches Handeln neben ge- lungenen Erfahrungen auch Schaden anrichten. Die Klärung, wie Füh- rungsarbeit in diesem Bereich ethisch verantwortungsvoll gestaltet werden kann, ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Eingebettet in den Rahmen von Non-Profit- Organisationen beglei- tet von Begriffsbestimmungen und Theorietransfer, soll ein Bewusst- sein für diese Thematik im Führungsalltag im sozialen Bereich erreicht werden. Eingebettet in den Rahmen von Non-Profit- Organisationen beglei- tet von Begriffsbestimmungen und Theorietransfer, soll ein Bewusst- sein für diese Thematik im Führungsalltag im sozialen Bereich erreicht werden. 1 Heidi Nerger-Klosowski; 21465 Wentorf (Germany), Berliner Landstraße 44a; heidi.klosowski@gmx.net 1 Heidi Nerger-Klosowski; 21465 Wentorf (Germany), Berliner Landstraße 44a; University of Library Studies and Information Technologies (UNIBIT) heidi.klosowski@gmx.net 249 1